Milchpulver-Shopping in Deutschland – Chinas Eltern im Ausnahmezustand

Milchpulver-Shopping in Deutschland – Chinas Eltern im Ausnahmezustand

Milchpulver-Regal einer dm-Filiale am Kölner Neumarkt © Irina Schmitz

2008 erkrankten in China etliche Säuglinge an gepanschtem Milchpulver eines chinesischen Herstellers, sechs von ihnen starben. Bis heute konnte das Vertrauen in die eigenen Marken unter Chinesen nicht wiederhergestellt werden. Wer Freunde und Verwandte im Ausland hat, lässt sich deshalb von dort Milchpulver schicken.

 

Deutsches Milchpulver ist heiß begehrt, so heiß begehrt, dass in vielen Drogeriemärkten bereits eine Begrenzung von drei Packungen pro Kunde eingeführt wurde. Gerade chinesische Touristen oder in Deutschland lebende Chinesen zieht es zum Milchpulver-Shopping in die Läden. Während Erstere mit ihrer Ausbeute direkt in die Heimat fliegen, schicken Letztere die begehrten Päckchen an Freunde und Verwandte – oder bauen sich mitunter einen kleinen Nebenerwerb auf.

 

Was steckt dahinter?

 

Als Hauptgrund für die Milchpulverkäufe im Ausland gibt eine große Zahl chinesischer Netizens das geringe Vertrauen chinesischer Eltern in die landeseigenen Marken an. Wie schlecht es um dieses bestellt ist, veranschaulicht Weibo-Mitglied „Nicht Xiao Mingming“:

 

(…) In letzter Zeit diskutiere (ich) mit vielen werdenden Müttern und solchen mit Säuglingen über die Milchpulver-Problematik. Unter ihnen gibt es keine, die nicht im Ausland Milchpulver kauft. Vielleicht liegt das auch an uns Stadtbewohnern, aber es zeigt auch, dass wirklich niemand Vertrauen in das einheimische Milchpulver hat. (…)(…) 最近好多孕妇哺乳期妇女在谈论奶粉的问题,没有一个不是从国外买奶粉,也许和城市阶层有关,但也说明国产奶粉真的没人信了(…)

 

Erfinderische Vertriebsinfrastruktur

 

In Chinas sozialen Netzwerken finden sich zum einen private Anbieter, insbesondere von deutschem, holländischem und englischem Milchpulver. Die Produkte werden nach Kundenwunsch gekauft und direkt nach China geschickt. Aufgrund der vielerorts üblichen Mengenbegrenzungen müssen hierzu gleich mehrere Läden angesteuert werden. Zur Situation in Deutschland schreibt z.B. Verkäufer „Entspanntes und fröhliches kleines Mädchen europäischer Gebrauchsartikel-Einkäufer“:

 

Wegen der beschränkten Kontingente der Supermärkte bin ich am Samstag auf einen „Milchpulver-Shoppingtrip“ gegangen. Ich bin in zehn Geschäfte gegangen, um den chinesischen Babys möglichst schnell ihre Verpflegung vorzubereiten. Man muss fleißig sein, anders geht’s nicht. (…) Diese Woche werde ich weiter einkaufen und noch ganz viele Pakete direkt hintereinander abschicken!(…) 因为超市限购 周六就进行了“采购奶粉之旅”。跑了上10家超市,为了尽快给同胞宝宝们备好口粮,不勤快点能行吗?(…) 还有好多包裹在继续采购这周都会陆续寄出!

 

Riskantes Onlineshopping

 

Auf Taobao, der populärsten Online-Shopping Plattform Chinas, tummelt sich wiederum eine Vielzahl gewerblicher Anbieter von vermeintlich aus dem Ausland stammendem Milchpulver. Woher die Produkte tatsächlich kommen, lässt sich allerdings online nur schwer erkennen. „Anna kauft in England Aptamil und Cow&Gate Milchpulver“, Direktverkäuferin auf Weibo, macht auf das Problem aufmerksam:

 

Heute haben erneut Eltern (…) gefordert, dass ich meinen Milchpulver-Kauf auf Video aufnehme (…)  und alle Nummern auf der Rückseite der Packungen aufzeichne. Von den vielen Müttern, die zu mir kommen, sind alle schon mal auf Taobao an gefälschtes Milchpulver geraten. Jetzt entscheiden sich immer mehr Mütter für den ausländischen Direktvertrieb.  今天又一亲(…)要求视频采购奶粉 (…)、记录下所有奶粉的背后所有号码、不少妈妈找我买奶粉都是之前在中国网上买到假奶粉、现在越来越多的妈妈们选择国外直邮。

 

Verhaltene Kritik

 

Kritik am Milchpulver-Import findet sich unter Chinas Netizens in der Tat erstaunlich wenig. Gegen die Ängste der chinesischen Eltern um ihre Kinder mag man wohl ungern Einwände erheben. Der ein oder andere wie „Yangchuanosaurus hepingensis“ muss seinem Ärger aber Luft machen:

 

Leute, die im Ausland Milchpulver kaufen haben sie doch nicht mehr alle! Die einheimischen Milchpulver(-marken) stehen den ausländischen doch in überhaupt nichts nach (…).国外买奶粉的人都是大脑进水了!中国的一些国产奶粉根本就不比国外的差 (…)

 

Weibo-User „Lian Bian“ fragt zudem in die Runde, weshalb man nicht stillt, wenn es um die Sicherheit des Milchpulvers so schlecht bestellt sei.

 

Gibt es in der heutigen Gesellschaft eigentlich gar keinen mehr, der Muttermilch füttern möchte anstatt im Ausland Milchpulver zu kaufen? (…) Unfassbar!现在这社会,与其国外买奶粉,难道没有人愿意用母乳吗?(…)不可思议

 

Alternative Stillen?

 

Anscheinend haben es Frauen, die sich für das Stillen entscheiden, jedoch nicht einfach: Einige weibliche Netizens berichten etwa von skeptischen Freunden und Verwandten. So bestehen u.a. Ängste vor Schadstoffen in der Milch – insbesondere durch die Luftverschmutzung. Daneben befürchten Angehörige – und auch einige Mütter selbst – ihr Kind würde mit der Muttermilch nicht satt. Von weiteren negativen Vorurteilen weiß Internetuserin „Ängstliches Fräulein und draufgängerischer Herr“ zu berichten:

 

Ein paar Leute, die ich kenne, finden, Stillen sei etwas Ekliges. Ich kann die Ansichten anderer Leute nicht unterdrücken, aber ich möchte ihnen sagen, dass die Mutter dem Baby während des Stillens Geborgenheit gibt und das Baby der Mutter Erfüllung und Glück bringt. Wenn man in diese Wärme eintaucht, wie kann man denn da noch Ekel empfinden!? Manche werden dieses Gefühl nie im Leben erfahren können. 我认识的有一些人认为母乳喂养是件很噁心的事。我阻止不了别人的想法,但我想告诉他们,哺育的过程就是母亲帮助婴儿建立安全感,而baby带给母亲满足感与幸福感的过程,当你沉浸在这份温暖当中,又怎么会感到噁心呢!有些人终其一生都没能体会这种感觉。

 

Wie sieht der Ausweg aus?

 

Tatsächlich erscheinen die Praktiken chinesischer Online-Händler, Milchpulver en masse zu kaufen, etwas fragwürdig. Privatleute, die auf Reisen Milchpulver zum Eigengebrauch einkaufen oder Freunden ein paar Pakete schicken, fallen da wohl weniger ins Gewicht. In jedem Fall stecken dahinter jedoch chinesische Eltern, die im festen Glauben daran sind, das Beste für ihr Kind zu tun und keine geeignete Alternative sehen. Ein Ende des Milchpulver-Shopping-Trends ist also nur abzusehen, wenn das Vertrauen der chinesischen Bevölkerung in die chinesischen Marken entscheidend gestärkt werden kann. Essentiell hierfür dürften stärkere staatliche Kontrollen der Produzenten sein.

 

 

 

 

Zum Weiterlesen

 

Duc-Hien Huynh: „Fonterra Milchskandal und die chinesische Debatte über Lebensmittelsicherheit“, Stimmen aus China, 26.10.2013.

 

Verena Menzel: „Wieder vergiftete Milch in China – Neuer Lebensmittelskandal empört Chinas Verbraucher“, Stimmen aus China, 29.02.2012.

 

Gerd Niewerth: „Essener dm-Markt verkaufte Chinesen kein Milchpulver“, der Westen, 30.01.2015.

 

Gordon Wüllner: „Warum Milchpulver in Drogeriemärkten rationiert wird“, der Westen, 07.02.2015.

 

Kerstin Kottlar: „Nur drei Päckchen pro Kunde. Milchpulver-Engpass: Warum Chinesen deutsche Drogerien leer kaufen“, Focus-Online, 11.02.2015.

 

 

„China matters: Ein Informationsportal für die Zivilgesellschaft“, mit freundlicher Unterstützung durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen

„China matters: Ein Informationsportal für die Zivilgesellschaft“, mit freundlicher Unterstützung durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen

 

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Eine Antwort zu Milchpulver-Shopping in Deutschland – Chinas Eltern im Ausnahmezustand

  1. avatar Da Wolf sagt:

    Habe als gebürtiger Österreicher selbst einiges durch Bekannte in Erfahrungen bringen können und dies in meinem Blog unter dem Eintrag „Dm- Hier bin ich Mensch, in China kaufe ich ein“ veröffentlicht. Vor allem der Absatz bezüglich des „Milchpulverhandels“ über Online Netzwerke ist eventuell für euch von Interesse.

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