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Werdet zuerst Menschen! – Nach Campustragödien überdenken chinesische Netzbürger das Bildungssystem

Ausgezeichnete Noten sind Ziel des chinesischen Bildungssystems. Auf dem Plakat gratuliert die Schule den besten Prüflingen des Gaokao* © Vmenkov, Wikimedia Commons

Am 16. April 2013 starb Huang Yang, ein staatlich geförderter Medizindoktorand der Fudan Eliteuniversität in Shanghai, an einer Vergiftung. Der Täter, sein eigener Zimmergenosse Lin, ist ebenfalls ein begabter Medizindoktorand. Das Motiv der Tat ist seitens der Polizei noch nicht aufgeklärt. Die Öffentlichkeit jedoch geht von einem Rivalitätskampf unter Konkurrenten aus.

 

Gewalt und Mord unter Kommilitonen an chinesischen Universitäten sind nichts Unbekanntes. Am Tag der Tragödie in Shanghai kam auch am Jincheng College der Nanjing University of Aeronautics and Astronautics (NUAA) ein Student durch die Hand seines Zimmergenossen ums Leben. Huang Yangs Tod erinnert an die Tragödie von Zhu Ling an der Tsinghua Universität vor 19 Jahren, deren Thalliumvergiftung durch die Zimmergenossin zu Blindheit und geistiger Behinderung führte. Das wirft unter Bloggern und Forenschreibern in China die Frage auf, wie leicht ausgebildete chinesische Studenten zu Mördern werden können.

 

Neid zwischen den Konkurrenten

 

In China, wo Erfolgsstreben von klein auf beigebracht wird, fällt es Vielen schwer, Schulkameraden und Kommilitonen Erfolg zu gönnen. So ist Schadenfreude keine Seltenheit an chinesischen Schulen und Universitäten, wenn ein Konkurrent – und sei es ein guter Freund – zu Fall kommt. Vor diesem Hintergrund vermutet Jia Ye, freiberuflicher Autor:

 

Es kann gut sein, dass der gegenseitige Hass Huangs und Lins durch Konkurrenz zwischen den Beiden entstanden ist: beide haben sehr gute Leistungen erbracht. Sehr wahrscheinlich hat Lin sich an Huang gerächt, weil er es nicht ertragen kann, dass Huangs „Glanz“ seinen eigenen überdeckt hat.黄洋与林某之间的恩怨,可能缘于两人之间的竞争:两人成绩很好。他很有可能是为了能够出一口被黄洋盖住“光辉”的恶气,

 

Seelische Gesundheit hat Priorität

 

Die Berufsschullehrerin Jiang Xiaoyue aus Shanghai macht darauf aufmerksam, dass extremer Arbeits- und Leistungsdruck zu schwer auf der Seele lägen. Die Priorität der Erziehung sollte nicht die Überbewertung von guten Leistungen der Schüler und Studenten sein.

 

Einer Umfrage der China Association for Mental Health zufolge, weisen ca. 40 Prozent der Studenten im ersten Semester und mehr als 50 Prozent der Absolventen verschiedene seelische Probleme auf. Druck im Studium und bei der Arbeitssuche, Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen und Liebeskummer sind die vier größten Probleme. (…) Wenn man ein gebildeter Mensch werden will, muss man zuerst einmal ein „Mensch“ werden. (…) Bevor man Kindern Wissen und Fähigkeiten beibringt, sollte man sie zu Menschen erziehen!调查表明,近40%的大学新生和50%以上的毕业生存有不同的心理问题,其中“人际交往、学习压力、就业压力、情感困境”是最为突出的四大“心病”。(…)要成才,先成人,(…)先教孩子做人,再教孩子知识和技能!

 

Fehlender Unterricht für Moralwerte

 

Professor Zhou Xinmao von der Chongqing University of Posts and Telecommunications macht vernachlässigten Ethikunterricht für die Campustragödien verantwortlich.

 

Im heutigen Bildungssystem, angefangen bei der Grundschule bis zur Mittelschule, existiert das Sprichwort: „Wenn man Mathematik, Physik und Chemie beherrscht, hat man im Leben nichts zu befürchten.“ Das Erlernen von Englisch- und Computerkenntnissen fängt schon im Babyalter an. Einzig die Bildung zur Menschlichkeit, Ethik, chinesischen traditionellen Kultur und der Unterricht in den Gesetzen (Chinas) ist unzureichend.今天的教育从小学到中学,拼命灌输的就是:学好数理化,走遍天下都不怕。英语、计算机等都是从娃娃抓起的。惟独在人性教育和养成、中国传统文化教育、规则法制教育等方面相当薄弱。

 

 

Für Netizen „Der erste Blog in der lärmenden Stadt“ ist aber auch die Erziehung der Eltern nicht zu unterschätzen.

 

Es ist nicht gerecht, dem Bildungssystem die komplette Schuld für Morde unter den Studenten in die Schuhe zu schieben. Wegen unserer Ein-Kind-Politik, sind fast alle Studenten Einzelkinder. Sie sind von Geburt an (von der Familie) verwöhnt worden. Dadurch hat sich bei vielen ein egozentrischer Charakter herausgebildet. Wie können sie noch Toleranz, Verständnis oder Liebe gegenüber anderen und Respekt vor ihren Leben haben? Viele Eltern kümmern sich nicht um die Moralerziehung, sondern um die Prüfungsleistungen ihrer Kinder. Die familiäre Erziehung muss mehr Verantwortung vermitteln.把我国大学生杀人事件频发的所有责任都归于学校教育有失偏颇。由于我国计划生育政策的实施,当今大学生几乎都是独生子女,这些独生子女从小娇生惯养,形成以自我为中心的偏激性格,哪里还顾得上包容、理解、关爱他人,尊重他人的生命。不少父母并不关心孩子的思想品质,他们所关心是孩子的考试分数. 因此,家庭教育也要负一定的责任。

 

Für Ehrfurcht vor dem Leben werben

 

Wie kann man die häufigen Tötungsdelikte auf dem Campus in China verringern? Dr. Zhang Daolong, ein renommierter Psychiater und Berater für psychische Gesundheit an der Midwest Asian Health Association sieht den fehlenden Respekt vor dem Leben als problematisches Element im chinesischen Bildungssystem.

 

Vorstellungen von Ehrfurcht vor dem Leben und Respekt vor dem Menschenleben sollten verbreitet werden. Erst danach sind Studienleistungen und fachliche Kompetenzen dran; aber nicht umgekehrt.应该对每个人都宣传对生命的尊重,对人性的尊重,然后才是你的学位,你的能力,而不是倒过来。

 

 

 

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* Gaokao bezeichnet die Zugangsprüfung, der sich chinesische Schüler unterziehen müssen, um zum Studium an einer chinesischen Universität zugelassen zu werden. Eine hohe Punktzahl ist Voraussetzung für eine Aufnahme an einer guten Universität. Auch die Zulassung zu den Studienfächern hängen an bestimmten Punktzahlen.

 

 

Zum Weiterlesen

 

Christ Luo: „Poisoning, death of Fudan student recalls disturbing case of Zhu Ling“, South China Morning Post, 17.04.2013.

 

Sophie Song: „Chinese Graduate Student May Have Been Poisoned By Roommate For A Ph.D Slot“, International Business Times, 16.04.2013

 

Chang Meng: „Student dies after alleged poisoning attack“, 17.04.2013.

 

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