Anfang August 2013 berichteten Medien weltweit über eine vermeintliche Bakterienverseuchung in der Molke des neuseeländischen Konzerns Fonterra*. Daraufhin ließen chinesische Importeure Milchprodukte zurückrufen und stoppten Importe. Fonterra entschuldigte sich auf einer Pressekonferenz in Beijing für die Kontamination. Hinterher stellte sich jedoch heraus, dass es sich um einen Fehlalarm gehandelt hatte.
Fonterra war bereits 2008 im Melanin-Milchskandal verwickelt gewesen. Damals hatte der chinesische Babymilch-Produzent Sanlu dem Milchpulver die Chemikalie Melanin beigemischt, um einen höheren Proteingehalt vorzutäuschen. Dadurch erkrankten in China über 300.000 Säuglinge.
Ausländische Milch wird teuer bezahlt
Die Renmin Ribao beschreibt, wieso Chinesen bereit sind, einen hohen Preis für ausländische Milchprodukte zu zahlen.
Das kollektive Misstrauen chinesischer Konsumenten gegenüber der heimischen Milchindustrie seit dem Melanin-Skandal (2008) hat sich bis heute gehalten. Das Mantra der Chinesen lautet: „(Hauptsache) aus dem Ausland“ – trotz schlechter Wirtschaftslage. Nach der Abwägung zwischen Geld und Gesundheit entscheidet man sich am Ende doch für ausländisches Milchpulver. So avancierte Milchpulver aus Australien und Neuseeland zur ersten Wahl.三聚氰胺事件发生后,中国奶业的信任度集体瓦解,至今尚未恢复。(…)于是,一向相信“外来的和尚 会念经”的中国人,即使经济状况不是很好,在钱与健康的权衡之下,也纷纷选择“洋奶粉”。这之中,澳大利亚奶粉和新西兰奶粉成了上上之选。(…)
Der Trend geht zu Milch „Made in Germany“
Die Renmin Ribao schreibt weiter:
Der jüngste Milchskandal um das Unternehmen Fonterra hat das Sicherheitsgefühl chinesischer Konsumenten erneut erschüttert und den Markt verändert.然而,最近的新西兰恒天然毒奶粉事件再一次击溃中国消费者的安全感,也改变了市场格局。
„Made in Germany“ ist in den Augen der Chinesen ein außergewöhnliches Gütesiegel für Gewissenhaftigkeit und Verlässlichkeit. Daher ist deutsche Milch für Chinesen zu einer neuen Wahl geworden.“德国制造”在中国人心目中的形象一向是严谨、可靠,因此,德国奶成了部分中国人的新选择。
Chinesische Internetnutzer diskutieren
Netizen Zhang Diao Shi ist der Meinung, Fonterra habe sich vorbildlich verhalten.
(…) Fonterra hat aus Eigeninitiative das Milch-Problem bestätigt. Innerhalb kürzester Zeit sind der Firma zwar Verkaufsumsätze entgangen, aber dafür erlangte sie dadurch eine Unternehmensmarke, die Vertrauen verdient! Und Milchpulver von Fonterra ist jetzt noch viel bekannter.(…) 恒天然奶粉事件,恒天然主动承认奶粉问题,他输的是短时间销量,赢的是一个值得信任的品牌!反而,让更多人知道了恒天然奶粉。
Die Abhängigkeit vom neuseeländischen Anbieter ist in Anbetracht des rasant wachsenden Milchkonsums in China enorm. Bing Lan vom China Food Portal unterstreicht dies in einem knappen, aber eindeutigen Kommentar.
Ein „Niesen“ der neuseeländischen Milch erschüttert den chinesischen Milchmarkt gewaltig (…).新西兰的奶牛打个喷嚏,中国的奶粉市场就会震荡不已。(…)
Internetnutzer nehmen Xi Jinpings Ermahnung nicht ernst
Im Oktober 2013 traf sich Staatspräsident Xi Jinping mit dem neuseeländischen Premierminister John Key und mahnte angesichts der Fonterra-Affäre:
Die Lebensmittelsicherheit betrifft die Gesundheit der Bürger. Es ist zu hoffen, dass Neuseeland gute Lebensmittelqualität sicherstellt und ernsthaft die positive Entwicklung der Handelsbeziehung beider Länder schützt.食品安全问题事关人民身体健康,希望新方把好食品质量关,切实维护两国经贸合作良好发展势头。
Netizen Michael Yutu aus Shanghai teilt in diesem Zusammenhang folgenden Auszug aus The Wall Street Journal.
Dass Xi Jinping mit dem neuseeländischen Premier über Lebensmittelsicherheit sprach, hat unter Internetnutzern großes Gelächter verursacht. Die offiziellen chinesischen Medien berichteten aggressiv und negativ über Fonterra Milchpulver. Vielen chinesischen Konsumenten ist bewusst, dass dies mit der Absicht geschieht, von dem eigenen inländischen Problem der Lebensmittelqualität abzulenken. Man erinnert sich noch gut daran, dass sich die chinesischen Milchproduzenten nach dem Melanin-Skandal 2008 nicht veranlasst sahen, Maßnahmen zu ergreifen.习近平与新西兰总理谈食品安全遭网友哄笑 | 中国官方媒体曾集中火力炮轰恒天然乳品丑闻,许多中国消费者认为这明显是分散对中国自己食品安全问题的注意力,其中一些人还回想起2008年中国爆发三聚氰胺丑闻后,中国乳品制造商甚至不愿采取行动的情景.
Netizen aus Zhejiang „40jiedeyu“kommentiert dies:
Die ganze Welt lacht über Xi Jinpings Satz, den er gegenüber dem neuseeländischen Premier geäußert hat.习近平对新西兰总理说了一句话 全世界都笑了.
Netizen „Changpingxinzai“ aus Shanghai Kommentar geht in dieselbe Richtung:
(…) Ist dieser Satz von Xi Jinping ein sarkastischer Witz? Oder soll das Selbstkritik sein?(…) 是主席的说冷笑话?还是自我批评?
Fonterra auf Expansionskurs
Indessen befürchtet Fonterra angesichts der Affäre keinen schwerwiegenden Vertrauensschaden in China. Im September 2013 gab das Unternehmen bekannt, die Anzahl der Betriebe in China bis 2020 von 5 auf 30 erhöhen zu wollen.
Nach wie vor schenken chinesische Internetnutzer ausländischen Milchproduzenten mehr Vertrauen als chinesischen Anbietern. Der jüngste Skandal hat die ohnehin große chinesische Nachfrage nach deutschen Milchprodukten vermutlich weiter gesteigert**. Seit Langem wird im chinesischen Internet deutsches Milchpulver zum Verkauf angeboten. Gibt man beispielsweise bei dem beliebten chinesischen Online-Marktplatz Taobao die Suchbegriffe „Deutsch“ und „Milchpulver“ ein, so erhält man rund 4.000 Angebote.
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* Fonterra ist der weltweit größte Exporteur von Milchprodukten. China importiert Milchpulver für Säuglinge zu 90 Prozent aus Neuseeland. Laut Zahlen des chinesischen Zolls importierte China in der ersten Jahreshälfte 371.000 Tonnen Milchpulver aus Neuseeland.
** Zwischen 2010 bis 2012 haben deutsche Molkereien ihre Milch-Exporte nach China vervierfacht. In den ersten fünf Monaten 2013 waren die Lieferungen fast zweieinhalb Mal so hoch wie im Vorjahreszeitraum. China ist mit mehr als 38.000 Tonnen einer der größten Abnehmer außerhalb der EU. Drogerieketten wie dm hatten daher den Verkauf von Milchpulver Produkten wie Aptamil und Milumil rationiert.
Zum Weiterlesen
Claus Hecking: „3,50 Euro pro Liter: Chinesen zahlen Höchstpreise für deutsche Milch“, Spiegel Online, 16.08.2013.
Reuters: „Neuseeländischer Vorzeige-Konzern leistet Abbitte“, Handelsblatt, 05.08.2013.
Josh Chin: „Xi Jinping Gets Mocked Going After New Zealand on Food Safety“, The Wall Street Journal, 07.10.2013.
Auch in Deutschland ist ja hinsichtlich der Lebensmittel nicht alles eitel Sonnenschein. Nur haben wir (zumindestens bei der Unbedenklichkeit von Verunreinigungen, nicht aber bei der allgemeinen Qualität) strengere Kontrollen. Wenn Nahrungsmittel ausreichend vorhanden sind, wird genauer auf dessen Zusammensetzung geachtet.
Von Vertrauen in große Firmen sind wir aber auch weiter entfernt als jemals zuvor. Klebefleisch, Analogkäse, genmanipulierte Inhalte. Während die einen um grundlegende Sicherheit kämpfen, sind die anderen damit beschäftigt Ehrlichkeit einzufordern. Dieses Hase und Igel Rennen zwischen Hersteller und Konsument wird wohl noch lange Bestand haben.