Ende April 2013 sprach der Ausschuss für Menschenrechte des Deutschen Bundestages über die Menschenrechtslage in Tibet und forderte die chinesische Regierung auf, diese sowie die kulturelle und religiöse Identität der Tibeter zu garantieren.
Der Bundestag ist dabei nicht die einzige parlamentarische Einrichtung, die sich weltweit mit den Menschenrechten in China beschäftigt. Auch in anderen westlichen Ländern und dem Europäischen Parlament appellieren Abgeordnete regelmäßig an die chinesische Regierung, den Tibetern mehr Freiheiten zu gewähren. In China selbst ist solch eine öffentliche Diskussion über Proteste, Menschenrechtsverletzungen oder Selbstverbrennungen von Mönchen nicht möglich. Zu stark ist die Linientreue des Volkskongresses, zu filigran die Kontrolle der Medien. Die virtuelle Welt hat es allerdings geschafft, ein Schlupfloch zu kreieren, in dem Meinungsaustausch und Diskussion auch zum Thema Tibet und Menschenrechte – zwei Begriffe, die für gewöhnlich zensiert sind – existieren können.
„Voice of America“ als Plattform der virtuellen Opposition
Nennenswert sind hierbei Blogs, die sich im Zuge der Jasminrevolution gegründet haben und z.B. von Auslandschinesen in den USA betrieben werden. Ganz unverfänglich scheint im Gegenteil dazu die chinesische Seite der „Voice of America“, einer Einrichtung vergleichbar mit der Deutschen Welle. Und doch, zum Thema Menschenrechte in Tibet finden sich hier einige Artikel, die eine regelrechte Kommentarschlacht nach sich ziehen.
Unter jeglichen Artikeln über Tibet findet sich zunächst die offizielle Leitlinie der Partei wieder. „bigwww“ kommentiert dies:
Tibet war früher eine Gesellschaft von Sklavenhaltern. Viele von genau diesen Leuten sprechen jetzt über Menschenrechte. Bevor man also über Menschenrechte spricht, sollen sich die ehemaligen Sklavenhalter erst mal entschuldigen.西藏以前是奴隶社会,现在好多奴隶主转身开始讲人权了。所以,在讲人权之前请这些昔日的奴隶主先道歉。
Viele Netizens, die die chinesische Regierung in ein gutes Licht rücken, werden oft verdächtigt, von der Partei für ihre Kommentare bezahlt zu werden. Der gängige Begriff für das „Einkaufen“ von Netizens lautet „Fünf-Mao-Partei“, nach der Höhe der Bezahlung für einen regierungsfreundlichen Kommentar.* Auch in der Tibet-Diskussion wird positiven Kommentaren wenig getraut. Ein namenloser Netizen schreibt:
Die „Fünf-Mao-Parteiler“ habe alle eine Sache gemein, nämlich dass sie sich über das Übel der Kommunistischen Partei ausschweigen. Von 1959 bis 1962 sind in China 45 Millionen auf dem Land verhungert, was eine der größten menschengemachten Katastrophen in der Geschichte war!!! „Fünf-Mao-Parteiler“, steht auf und rechtfertigt eure Herren! Könnt ihr etwa sagen wie viele Menschen unter der früheren Leibeigenschaft in Tibet verhungert sind?五毛党都有一个共同特征,那就是对共产党的罪恶闭口不谈。1959年至1962年,4500万农民饿死。这是人类历史上的最大的人为制造灾难!!!五毛党,站出来为你们的主子辩护啊!西藏的“农奴制”下,饿死过多少人?你们能不能说说?
Geringes Interesse an Verhandlungen mit Tibetern
Die wichtigsten Kritikpunkte an der chinesischen Tibetpolitik fasst „Alle „Fünf-Maoler“ fangen“ zusammen. Einschränkung der freien Ausübung von Religion und Politik und Besuchsverbot für ausländische Journalisten zählt er genauso dazu wie die Weigerung der chinesischen Regierung, sich mit der tibetischen Exilregierung auszutauschen. Er bringt dabei das Beispiel vom Versuch zweier Mitglieder der Exilregierung zur Kooperation mit der chinesischen Regierung. „Fünf-Mao-Parteiler“ sieht er als Kollaborateure der Regierung an.
Der neue Führer der tibetischen Exilregierung Lobsang Sangay sagte einmal, die Kommunistische Partei würde öffentlich dafür werben, dass die Führung der Exiltibeter zu Gesprächen ins Land kommen sollte. Lobsang Sangay reiste deshalb zu Gesprächen nach China, als er aber in Peking ankam, redete keiner mit ihm.西藏藏人行政中央新领导人洛桑森格曾谈到,中共历来宣传要国外的藏人领导人到国内去访问 (…)。为此洛桑森格应邀去国内访问,可是他到北京后一直无人理睬。
Kelsang Gyaltsen, Mitglied des Parlaments der tibetischen Exilregierung, wies einmal darauf hin, dass die Menschen in Tibet zwei generelle Forderungen haben. Die erste sei die Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet und die zweite Freiheit für die Tibeter. (…) Man darf den „Fünf-Mao-Parteilern“ nicht erlauben, andere Gerüchte in die Welt zu setzen. „Fünf-Mao-Parteiler“, ich verabscheue eure niedere Arbeit.藏人行政中央人民议会议员格桑坚赞指出,境内藏人的普遍诉求有两点,一是要求达赖喇嘛回归西藏,二是藏人拥有自由。不许瘟五毛造谣。(…) 五毛,我鄙视你们的下贱职业。
Nicht jede Kritik ist von einem „Fünf-Mao-Parteiler“
Leise Kritik an Unterstützern der tibetischen Sache kommt von einem weiteren namenlosen Kommentator. Für ihn sind gerade die vielen Berichte über Selbstverbrennungen tibetischer Mönche mehr Propaganda gegen die chinesische Regierung als tatsächliches Mitgefühl mit den Tibetern.
Die sogenannten tibetischen Aktivisten haben alle Folgendes gemein: Erstens lieben sie ihr Leben (…) und würden sich nicht selbst anzünden wollen. (…) Zweitens sind sie sehr aufgewühlt, wenn sie von der Selbstverbrennung der gutherzigen, unschuldigen Tibeter hören. Außerdem sehen die Aktivisten die Chance, aus diesen unschuldigen Leben schmutziges politisches Kapital zu schlagen und rechtfertigen ihr eigenes Handeln mit religiösen Gründen. Drittens ist die überwältigende Mehrheit von diesen Leuten in den letzten 20 Jahren nicht mehr in Tibet gewesen oder weiß noch nicht einmal, wo Tibet eigentlich liegt. (…) Man darf jetzt aber nicht jeden Andersdenkenden in den Dreck ziehen, wie es die Regierung macht, und ihn gleich einen „Fünf-Mao-Parteiler“ nennen. Hier will niemand den Dreck der autokratischen Diktatur der kommunistischen Partei leugnen.所谓的西藏活动人士一般都具备以下特征:一是绝对爱惜自己的生命,(…) 绝对不愿意自焚。(…)二是一听到善良无辜的藏民被自焚就极端亢奋,还能为拿无辜生命当肮脏政治筹码的极端行为找出宗教理由和依据。三是绝大多数甚至几乎所有人在这20年里根本就没有去过西藏,甚至连西藏在什么地方都不知道 (…)。请不要动不动就象共党那样污蔑不同看法者是什么5毛,没有人否认共党专制独裁的黑暗和肮脏!
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* Ein Mao entspricht ca. sechs Cent. In diesem Zusammenhang ist auch lesenswert: Eine Anleitung zum „Fünf-Mao-Kommentieren“.
Zum Weiterlesen
Christina Maags: „Selbstverbrennung in Tibet: Mönche zünden sich für die religiöse Freiheit an“, Stimmen aus China, 21.03.2012.
Oliver Pöttgen: „Tabu-Thema Tibet: China stoppt „Kraftwerk““, Stimmen aus China, 22.04.2013.
Lisa Krauss: „Fünf-Mao-Partei: Betsochener Internetkommentator erzählt von seiner Arbeit“, Stimmen aus China, 22.05.2013.
J. Lietschund S. Hansen: „Selbstanzündung in China“: Protest oder Kalkül?, taz, 27.12.2011.
Helmut Schmidt: „Tibet als Prüfstein“, Zeit, 15.05.2008.
Mark Siemons: „Ai Weiwei über Tibet: „Es ist Zeit für die Wahrheit““, Faz, 30.03.2008.