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Fünf Jahre nach dem Beben in Sichuan: Die Kritik reißt nicht ab

Besonders die überdurchschnittlich vielen zusammengebrochenen Schulen sorgten nach dem Beben in 2008 für Aufruhr und Kritik in Sichuan. © Viviane Lucia Fluck

Seit dem Erdbeben von Wenchuan 2008 sind mittlerweile fünf Jahre vergangen. Noch immer werden kritische Stimmen im Internet laut. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Veruntreuung von Spendengeldern. Einige Blogger und Wissenschaftler gehen inzwischen sogar noch weiter und stellen sich die Frage, ob die zahlreichen Beben in China vielleicht menschengemacht sein könnten.

 

Am 12. Mai 2013 jährt sich das große Erdbeben von Sichuan, bei dem laut offiziellen Angaben mindestens 69.195 Menschen ums Leben kamen, zum fünften Mal. 18.392 gelten seither als vermisst. Das Beben mit der Stärke 8,0 hatte vor allem im Bezirk Wenchuan großen Schaden angerichtet. Obwohl die Regierung 2008 ein Hilfspaket für die betroffene Region verabschiedete, riss die Kritik an instabilen Bauwerken und ausbleibender finanzieller Unterstützung nicht ab.

 

Seitdem hat es viele weitere Beben im Südwesten Chinas gegeben. Das letzte ereignete sich am 20. April 2013 in der Stadt Ya’an in der Provinz Sichuan. Die Reaktionen auf das Beben waren zunächst von Sorge um die Betroffenen geprägt. „SOso“ aus der Provinzhauptstadt Chengdu berichtet:

 

Heute früh um 8:02 bebte es plötzlich stark. (…). Jeder war aufgeregt. Alle zückten ihre Handys, um zu telefonieren, aber es kamen keine Verbindungen zustande. (…)今早八点零二分的时候突然震得很厉害. (…),每个人都显得很激动,都拿着手机打电话,电话接不通 (…).

 

Spendengelder und Korruption

 

Einige Tage nach dem Beben von Ya’an beschäftigt vor allem die Veruntreuung von Spendengeldern die Internetgemeinde. Nur zu oft sind Spenden in korrupte Hände gelangt. Hongkong hatte staatliche Hilfe zunächst aus diesem Grund abgelehnt. Blogger können das Zögern Hongkongs gut verstehen. „_Tuuut“ aus Shanghai schreibt:

 

Warum wurden die Spenden für das Wenchuan Erdbeben veruntreut? Es ist kaum verwunderlich, dass die Hongkonger vorsichtig sind. Das Geld der Steuerzahler ist schwer erarbeitet. Ich bewundere die Hongkonger Demokratie und Gelassenheit.谁叫汶川地震有挪用捐款的前科,就难怪港人存戒心。 纳税人的钱也都是滴滴血汗换来。 欣赏香港的民主与冷静。

 

Auch private Spender aus China haben Bedenken. Auf der Facebookseite des Honkonger Onlinemagazins inmediahk.net wurde einige Tage nach dem Beben in Ya‘an Fotos mit verfluchten Geldscheinen veröffentlicht. Ursprünglich waren die Bilder der Geldscheine auf chinesischen Blogs aufgetaucht. Inzwischen sind die meisten davon gelöscht worden. Auf ihnen steht: „Dieses Geld spende ich an Ya’an. Der Idiot, der es veruntreut, soll sehen wie seine ganze Familie stirbt.“

 

Der prominente Blogger Han Han ruft in seinem Blogeintrag zum fünften Jahrestag des Wenchuan-Bebens dennoch zum Zusammenhalt auf.

 

Im Angesicht einer riesigen Katastrophe muss die gesamte Bevölkerung mobilisiert werden, mit ganzer Kraft zu helfen (…). Je größer die Katastrophe desto größer müssen die gesellschaftlichen Anstrengungen sein.(…) 在巨大的灾难面前,一定是要动员全社会力量去救助的 (…)。灾难越大,越需要社会共力。

 

Sind die Beben von Menschen gemacht?

 

Nicht nur die Veruntreuung von Spendengeldern facht die Diskussion im Netz an. Zunehmend begründen Wissenschaftler die Erdbeben mit dem Bau von Staudämmen. Die Erdplatten seien dem Gewicht des gestauten Wassers nicht gewachsen. Ein Dozent der Naturwissenschaften der Pekinger Tsinghua Universität äußert sich auf seinem Blog:

 

Die Zipingpu-Talsperre am Yangzi ist ein großes Wasserkarftprojekt. (… ) Von dort bis zum Epizentrum des Wenchuan-Bebens sind es nicht einmal zehn Kilometer. Bis zum Epizentrum des Ya’an-Bebens ist es auch nicht weiter als 130 Kilometer. Deshalb meinen viele Wissenschaftler, dass ein Zusammenhang zwischen der Zipingpu-Talsperre und den zwei Erdbeben bestünde. (…) Die Zipingpu-Talsperre liegt auf dem Longmenshan-Bruch* – eine aktive Erdbebenregion. (…) Dort einen Staudamm zu bauen ist in etwa so, als wenn man sich in die Höhle des Löwen begibt. Selbst wenn die Erdbeben nicht vom Staudamm ausgelöst werden, kann er auf die Stärke und den Zeitpunkt eines Erdbebens Einfluss haben. Vielen fällt es schwer zu verstehen, warum dort überhaupt Staudämme gebaut werden, obwohl Experten wissen, dass das eine Erdbebenregion ist. Tatsächlich gab es vor dem Bau unterschiedliche Expertenansichten. Einige Wissenschaftler machten der Regierung das Leben schwer, andere schmeichelten sich bei den Führern ein. Am Ende siegten die Letzteren. (…) Sollte man bei einem Projekt, das sich auf die Sicherheit von Millionen von Menschen auswirkt, nicht vorsichtig sein? (…)紫平铺水库,或者紫平铺水利枢纽,是长江上游支流的一个大型水利工程, (…)。这里距离汶川地震的震中只有不到10公里,距离雅安芦县地震的震中也不过130公里,因此不少学者认为紫平铺水库与两次 地震有关。(…)紫平铺水库建在龙门山断裂带上,是非常活跃的地震带,(…)因此在这里修水坝,多少有点儿太岁头上动土的意思,即便地震不是水坝造成的,水坝也可能会对地震的强度和发生时间产生影响。让人难以理解的是,既然专家们都知道这里是地震活跃地带,为什么还要在这里修水坝呢?实际上在修水坝之前,学术界就有着不同的学术看法,有些学者专门和政府过不去,学者专门拍领导马屁,最终后者战胜了前者。(…),作为一项涉及千百万人生命安全的工程,是不是应该小心行事呢?(…)

 

Auch fünf Jahre nach dem schweren Erdbeben von Sichuan sind somit noch viele Fragen offen und Probleme ungelöst.

 

 

___

 

* Der Longemenshan-Bruch trennt das Sichuan-Becken von dem westlich gelegenen Longmen-Gebirge. Tektonische Bewegungen entlang des Longmenshan-Bruchs sind wesentlicher Verursacher für die immer wiederkehrenden Erdbeben im Südwesten Chinas.

 

 

Zum Weiterlesen

 

Colleen Lee und Ng Kang-chung: „Legco approves HK$100m Sichuan quake donation“, South China Morning Post, 04.05.2013.

 

May-Britt Wilkens: „Erdbeben in Yunnan – Eine vermeidbare Katastrophe?“, Stimmen aus China, 27.09.2012.

 

Florian Jung: „Vier Jahre nach dem Wenchuan Erdbeben – Ein kritischer Blick auf chinesischen Patriotismus“, Stimmen aus China, 13.05.2012.

 

Jost Wübbeke: „Zwei Jahre nach dem Beben: Lachen in Beichuan“, Stimmen aus China, 24.06.2010.

 

Viviane Lucia Fluck: „Zwei Jahre nach dem Beben: Korruption in Beichuan“,  Stimmen aus China, 24.06.2010.

 

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