Verhätschelt? Selbstfixiert? Apolitisch? Von wegen: In Shifang demonstrierten Anfang Juli 2012 Schüler und Studenten gegen den Bau einer Chemiefabrik. China wundert sich über den neuen Aktionismus seiner Jugendlichen.
Der „Shifang-Zwischenfall“: Wirtschaftswachstum vs. Umweltschutz
Eigentlich sollte in Shifang什邡 in der südwestchinesischen Provinz Sichuan Ende Juni 2012 mit dem Bau einer Molybdän-Kupfer-Fabrik begonnen werden, einem teuren und gewinnträchtigen Prestigeobjekt des Unternehmens Hongda宏达 und der Lokalregierung. Man kam jedoch nicht weiter als bis zum Grundstein: Die Einwohner fürchteten die umwelt- und gesundheitsschädlichen Folgen des Projekts und gingen während der ersten Julitage 2012 zu Zehntausenden auf die Straße.
Nach heftigen Ausschreitungen mit der Polizei und landesweiten Schlagzeilen stoppte die Lokalregierung den Bau bereits wieder am 03.07.2012. Interessenkonflikte dieser Art kommen in China oft vor, doch selten erhalten sie in den Medien so viel Aufmerksamkeit wie zum Beispiel die Proteste in 2012 Shifang oder 2011 in Wukan. Was macht die vergleichsweise kurzen Proteste in Shifang dann so außergewöhnlich?
„Wir können Opfer bringen“: Als Rückgrat der Shifang-Proteste widerlegen chinesische Jugendliche Vorurteile gegenüber ihrer Generation
Der Journalist Zhang Jie mutmaßt, dass die Ereignisse in Shifang vielleicht nur wegen dieses einen Slogans für soviel Aufsehen gesorgt haben; der landesweit zum geflügelten Wort wurde:
Für die Menschen von Shifang: Wir können Opfer bringen, wir sind die post-1990-Generation.*为了什邡人民,我们可以牺牲,我们是90后。
Opfer zu bringen, das brachte der Volksmund bis dato mit den nach 1990 Geborenen eher nicht in Verbindung, im Gegenteil. Die Jugendlichen (als Folge der Ein-Kind-Politik meist Einzelkinder) galten als verhätschelt, selbstfixiert, materialistisch und politisch desinteressiert. Von einer „verlorenen Generation“ war schon die Rede. Gewaltig rüttelt nun der „Shifang-Zwischenfall“ an diesen Vorurteilen. Dort war auf einem Spruchband auch zu lesen:
Gehen wir heute nicht raus, dann können wir morgen nicht mehr rausgehen.今天不站出来,明天就站不出来。
Ein Abiturient und Teilnehmer der Proteste mutmaßt:
Ich denke, dass Bürgerbewusstsein und starkes soziales Verantwortungsgefühl unser Antrieb sind.我认为鼓舞我们的是公民意识和强烈的社会责任感。
Schüler und Studenten waren das Rückgrat der Demonstrationen in Shifang. Ihr mittels Internet organisierter Protest lässt manche Kommentatoren nun umdenken und euphorisch von einer „neuen demokratischen Kraft“ sprechen, mit der in Zukunft politisch zu rechnen sein müsse. Chinas Bloggerpapst Han Han prophezeit:
Diese Leute sind die Herren der Zukunft**, sie sind jetzt schon da.这些人,都是未来的主人翁,现在,他们已经来了。
Wie die „Roten Garden“? Kritik am Verhalten der Jugendlichen in Shifang
Aber es gibt auch mahnende Stimmen. Die staatseigene Zeitung „Global Times环球时报“ sieht die Gefahr, dass Jugendliche instrumentalisiert werden und fühlt sich an das Wüten der „Roten Garden“ während der „Kulturrevolution“ erinnert.
Die Aufgabe von Schülern ist zu lernen.中学生的任务是学习。
Keine voreiligen Schlüsse wollen chinesische Soziologen ziehen, so die Deutsche Welle:
Jetzt schon zu beurteilen, ob die post-1990-Generation zum Rückgrat der nächsten Welle landesweiter Proteste werden wird, das wäre verfrüht. Die Mehrzahl der Abiturienten und Uni-Absolventen folgt nach wie vor dem ‚traditionellen Weg’: Auslandsstudium oder Anstellung im gut bezahlten öffentlichen Dienst.现在判断90后是否会成为下一波全国性抗议浪潮的骨干还为时过早。毕竟大多数高中毕业生以及大学毕业生遵循的仍然是'传统的老路'-出国留学或者当上旱涝保收的公务员。
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* Je nach Geburtsjahr werden Chinesen umgangssprachlich einer „post-X0-Generation“ zugeordnet, die jeweils mit Vorurteilen und Klischees zu kämpfen hat. Besonders für die nach 1980 und 1990 Geborenen hat sich diese Bezeichnungsform eingebürgert.
** „未来的主人翁“ (dt.: „Herren der Zukunft“) ist möglicherweise eine Anspielung auf ein gleichnamiges Lied von Luo Dazuo aus dem Jahr 1983, das auch von gesellschaftlichem Wandel und jugendlicher Tristesse handelt.
Zum Weiterlesen
Oliver Poettgen: Chinesische Dorfbewohner rebellieren erfolgreich gegen Korruption in Wukan, Stimmen aus China, 04.01.2012.
Johnny Erling: Chinas Wutbürger zwingen den Staat in die Knie, Welt Online, 04.07.2012.
Youtube-Video (eines Falun Gong nahestehenden Senders) mit weiteren Hintergrundinfos und Einschätzungen (Chinesisch mit engl. Untertiteln)
感谢你们,善意和真诚的关注!
中国工人在不断的觉醒,也在不断的团结起来,切实维权!
我做为中国工人的成员,我很欣喜的看到,中国工人阶级,面对现实,在不断发出群体的声音!做为一个再就业的工会工作者,我很欣慰,看到了中国工人阶级,在不断团结的斗争和抗争!
德国工会组织与中国工会组织,具有交流与合作。我希望,更多的务实与创新的合作,更多的劳工积极分子和工会积极分子的参与,一定可以推断中国工会不断的改革,凸显维权职能!
感谢你的帖子!本网页会继续关注那些声音的。我也希望中国工会要成形为名副其实的“工会”了!
Herzlichen Dank für deinen Post! Diese Seite wird solche Stimmen weiter im Auge behalten. Ich hoffe auch, Chinas Gewerkschaft(en) werden sich so entwickeln, dass sie die Bezeichnung „Gewerkschaft“ zu Recht tragen!
翻译 / Übersetzung des chinesischen Kommentars:
„Für die guten Absichten und das aufrichtige Interesse danke ich Euch herzlich!
Chinas Arbeiter wachen mehr und mehr auf und vereinigen sich, um ihre Rechte möglichst zu schützen! Als chinesischer Arbeiter sehe ich erfreut, wie sich die chinesische Arbeiterschicht der Realität stellt und immer mehr mit einer Stimme spricht! Als jemand, der für eine Wiederbeschäftigungsgewerkschaft arbeitet, habe ich zufrieden gesehen, wie die chinesische Arbeiterschicht zusammen unaufhörlich kämpft und Widerstand leistet!
Deutsche und chinesische Gewerksschaftsorganisationen tauschen sich aus und arbeiten zusammen. Ich hoffe, dass es zur einer noch pragmatischeren und innovativeren Zusammenarbeit und zu noch mehr Teilnahme engagierter Arbeiter und Gewerkschafter kommt. Dann kann man ganz sicher schlussfolgern, dass sich Chinas Gewerkschaft(en) weiter reformieren, so dass ihre Rechtsschutzfunktion mehr Beachtung erfährt!“