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100 Jahre Erster Weltkrieg: Wie blickt China zurück?

4. Mai 1919: Demonstranten protestieren gegen den Versailler Vertrag in Peking © Unbekannt, via Wikimedia Commons

2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum einhundertsten Mal. China kämpfte an der Seite der Alliierten und verlor nach dem Krieg dennoch bei den Verhandlungen zum Versailler Vertrag Gebiete an Japan. Dieser Rückschlag war Anlass für die Vierte-Mai-Bewegung. Im Internet sorgen der Erste Weltkrieg und seine Folgen nach wie vor für Diskussionsstoff.

 

Am 14. August 1917 schloss sich China den Alliierten an und erklärte Deutschland und Österreich-Ungarn den Krieg. Ein Schritt der dem verbündeten Japan missfiel. Um Japan, eine militärische und wirtschaftliche Aufstiegsmacht in Asien, mit großem Interesse an chinesischen Kolonien, nicht zu verärgern, versprachen Großbritannien und Frankreich, das deutsche Gebiet um Qingdao  (Provinz Shandong) nach dem Krieg an Japan zu geben. Genauso wurde es schließlich im Versailler Vertrag festgesetzt. Für China, das an der Seite der Alliierten gegen Deutschland gekämpft und für Frankreich und Großbritannien ungefähr 140.000 Soldaten (genannt „Arbeiter“) an die Westfronst geschickt hatte, war diese Entscheidung ein Schock.

 

Anhaltender Streit mit Japan

 

Im Versailler Vertrag liegt zwar nicht der Ursprung, aber doch ein beträchtlicher Beitrag des andauernden chinesisch-japanischen Streits. Erst kürzlich sorgte der japanische Premierminister Abe Shinzo für Unmut, als er das chinesich-japanische Verhältnis mit dem von England und Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg verglich und damit erneut Kriegsangst herauf beschwor. Der Pekinger Professor Wang Yuanfeng kommentiert:

 

Die Geschichte ist ein Spiegel. Die Menschheit soll aus früheren Kriegen Lehren ziehen, um Kriegsgründe zu vermeiden. 2014 ist nicht nur das Jahr, in dem sich der erste Chinesisch-Japanische Krieg zum 120. Mal jährt, sondern auch der 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieg. (…) Tatsächlich kann man aus den Betrachtungen zum Ersten Weltkrieg wirklich nützliche Lehren ziehen, um einen erneuten Kriegausbruch zwischen China und Japan zu verhindern. Die wichtigste Erkenntnis tritt hervor, wenn es um das falsche Gedankengut und das Wertesystem dem Krieg gegenüber geht! (…) Man muss die folgenden Denkfehler umgehen: Krieg sei unvermeidbar (…) Krieg sei heldenhaft (…) Krieg sei lokal und kontrollierbar.历史是一面镜子,人类应该从历史的战争教训中提高避免战争的理性。2014年不但是中日甲午战争120周年,更是第一次世界大战的100周年。(…) 实际上从人们对第一 次世界大战的反思中,确实可以得到对于避免中日两国之间再次爆发战争的有益启示。这些启示最为重要的就是要从对战争的错误思想和价值观念中走出来!(…)要走出以下误区。战争是不可避免的 (…) 战争是光荣的 (…)战争是局部的,战争是可控的。

 

Auswirkungen auf lange Sicht

 


Der Erste Weltkrieg und die beteiligten Staaten: Grün: Alliierte, Orange: Mittelmächte, Grau: neutrale Staaten © Helmandsare, Joaopais, El Jaber, Aivazovsky, via Wikimedia Commons

Wu Jike, Professor für Mechanik,  schreibt auf seinem Blog über den Ersten Weltkrieg:

 

Damals schickte China ungefähr 700.000 Arbeiter* an die europäische Front. Sie leisteten einen wertvollen Beitrag zum Sieg der Alliierten. Tausende von ihnen sind in der Fremde gestorben. (…) Trotzdem wurde am 18. Januar 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz tatsächlich beschlossen, das Shandong-Gebiet des Kriegsverlierers Deutschland an Japan zu geben. Für die damaligen Großmächte blieb der Beitrag der chinesischen Arbeiter zum Kriegsgewinn unbemerkt. Das gab Anlass zur späteren Vierte-Mai-Bewegung. (…)(…) 当时中国先后派出了大约七十万华工,开赴欧洲前线,为协约国取得胜利做出了难能可贵的贡献,其中有数万人客死他乡。(...) 然而在1919年1月18日,在巴黎召开的巴黎和会竟然将战败国德国在山东权益转交给日本。可见当时的列强的眼中,根本就无视中国劳工对战争取得胜利的贡献,这才引起了后来的五四运动。(…)

 

Der Name Vierte-Mai-Bewegung五四运动 geht auf landesweite Proteste am 4. Mai 1919 gegen den Versailler Vertrag zurück, in deren Folge Streiks und Boykotte stattfanden. Auf lange Sicht bündelten die anti-japanischen Proteste Erneuerungsbestrebungen in der Schriftsprache, Literatur, Politik, Militär und vielen anderen Bereichen. Diese Errungenschaften sind bis heute fest im nationalen Gedächtnis verankert und die Hauptakteure der Bewegung werden bis heute bewundert.

 

Xu Guoqi, Professor in Hongkong und Autor mehrer Monographien zum Ersten Weltkrieg, fasst in einem Interview seine Sicht zusammen.

 

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, bedeutete das für das damalige China eine schwere „Krise“. Die chinesischen Schriftzeichen für „Krise“ haben zwei Konnotationen. Einerseits deuten sie Gefahr oder Herausforderung an. Andererseits deuten sie auf Chance oder Glücksfall hin: Ergreift China seine Chance, kann es sich mit einem Streich von internationalen und nationalen Fesseln befreien und als gleichberechtigt in die internationale Gemeinschaft aufgenommen werden. Ergreift es seine Chance nicht, stürzt es in einen Abgrund. (…) Als China in den Ersten Weltkrieg eintrat, hatte es das kurzfristige Ziel, finanzielle Unterstützung von den Alliierten und Souveränität über Shandong zu erhalten. Das langfristige Ziel war, gleichberechtigt in die internationale Gemeinschaft aufgenommen zu werden.一战的爆发,对当时的中国而言可谓一次重大“危机”,必须强调的是,这里所谓的“危机”包含双层涵义。一是“危”,即危险或挑战。二是“机”,即机会或机遇。把握得好,中国则可能一举摆脱内外枷锁,以平等身份进入国际社会。把握得不好,则会堕入深渊。(…)中国参加一战的短期目标是为了获得协约国的财政支援,收复山东主权等;长期目标则是以平等身份参与国际社会。

 

Auf lange Sicht hat China seine Ziele verwirklicht: Das Shandong-Gebiet ging erst 1922-38 und dann 1949 endgültig zurück an China. 1971 nahm die Volksrepublik China anstelle von Taiwan Sitze bei der Vollversammlung und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein und lenkt seitdem die Geschicke der Welt mit. In diesem Sinne wird der Erste Weltkrieg nicht als isoliertes Ereignis betrachtet, sondern als Chinas erster Schritt in die Selbständigkeit.

 

 

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* Damit sind die von Frankreich und England rekrutierten Soldaten gemeint. Die meisten Forscher gehen allerdings von anderen Zahlen aus. Am wahrscheinlichsten sind 140.000 „Arbeiter“.

 

 

 

Zum Weiterlesen

 

Japan fühlt sich wie Deutschland vor dem Weltkrieg“, Die Welt, 23.01.2014.

 

Xu Guoqi: „China and the Great War“, New York: Cambridge University Press, 2005.

 

Tsingtau – Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China. 1897-1914: Online-Katalog der Ausstellung des Deutschen Historischen Museum 1998 in Berlin.

 

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