„Annette, komm‘ nach China!“ Chinesen staunen über den Fall Schavan

„Annette, komm‘ nach China!“ Chinesen staunen über den Fall Schavan

Noch ein Rücktritt. Nach Guttenberg, Koch-Mehrin und Wulff steigerte jetzt auch Annette Schavan ihren Bekanntheitsgrad in China. Die Affäre um die deutsche Ex-Ministerin fällt auf fruchtbaren Boden, wird doch gerade in China das Thema Plagiat heiß diskutiert. Im Internet entladen nun viele Chinesen ihre Wut und sehnen sich nach deutschen Verhältnissen.

 

Chinesische Internetnutzer nehmen die Affäre begierig auf

 

Nachdem die Universität Düsseldorf Annette Schavan (CDU) den ihr 1980 verliehenen Doktorgrad wegen „vorsätzlicher Täuschung durch Plagiat“ am 05.02.2013 entzogen hat, trat die Bundesministerin für Bildung und Forschung am 09.02. zurück. Noch am selben Abend erschienen im chinesischen Internet erste Artikel und „Weibos“*, an denen in den Folgetagen eine Diskussion über Redlichkeit in Politik und Wissenschaft entflammte.  Auch auf die Skandale um Karl-Theodor zu Guttenberg, Silvana Koch-Mehrin und Christian Wulff stürzten sich chinesische User bereits begierig. Diese Plagiats- und (in Wulffs Fall) Korruptionsaffären dienen als Kontrastfolien für die Zustände in China, denn beides ist dort allgegenwärtig und Plagiieren gilt vielerorts immer noch als Kavaliersdelikt. User „flaceer“ fragt angesichts der Schavan-Affäre daher auch etwas ungläubig:

 

Wäre das auch in China eine Meldung wert?天朝这也算个事?

 

Wohl nicht, bemitleidet „yuanqijianjiaoyiwangzongbianji“ die Ex-Ministerin doch spöttisch:

 

Schade, dass Du nicht in China geboren wurdest.可惜你没生在中国。

 

Fang Zhouzi, Chinas „Plagiatorenjäger“ Nr. 1 © Wikimedia Commons

Dann hätte sie sich aber Fang Zhouzi erwehren müssen, Chinas eifrigstem „Plagiatorenjäger“.** Als die Guttenberg-Affäre 2011 auch in China Wellen schlug, stellte er in einem Interview mit der Deutschen Welle dem chinesischen Wissenschaftsbetrieb ein Armutszeugnis aus:

 

In China ist Plagiieren in den Wissenschaften schon ein so weit verbreitetes und halb öffentliches Verhalten, dass es niemanden mehr verwundert. Verschiedenste Leute aller Ebenen sind darin verwickelt, von Bachelor- und Masterstudenten, Doktoranden, über einfache Lehrer und berühmte Professoren bis hin zu Akademie-Mitgliedern und Rektoren. Alles ist dabei. Das ist schon kein bloßes akademisches Fehlverhalten mehr. Ich nenne das „akademische Korruption“. Das ist etwas spezifisch Chinesisches.学术造假在中国已经是大面积而且是半公开的行为,已经到了见怪不怪的地步。涉及各种各样的人,各种层次的人,从本科生、研究生到普通的老师到著名的教授,一直到院士、校长,都参与其中。这已经不是一般的学术不端的行为,我把它称作'学术腐败',这是个很有中国特色的东西。

 

Als sehr „deutsch“ hingegen und für China lehrreich empfinden viele Netizen die Unabhängigkeit deutscher Hochschulen bei ihrer Entscheidungsfindung. Dass ein universitäres Gremium einem Kabinettsmitglied ohne Rücksicht auf die Position den Doktortitel aberkennt, bewundert nicht nur „cange1“:

 

Deutsche Rektoren sind wirklich mutig! Sogar einer Bildungsministerin nehmen sie den Doktorhut weg, Respekt!徳国的校长胆子还真够大的,竟能撸教育部长的博士帽!好钦佩。

 

Ein heiß diskutierter Sina- Artikel über die Schavan-Affäre startet mit dieser Galerie zurückgetretener deutscher Politiker. © Screenshot by Oliver Poettgen

Auch der Pekinger Germanistikprofessor Li Changke lobt seine Düsseldorfer Kollegen und attestiert Gesellschaft und Medien im Fall Schavan eine wichtige Kontrollfunktion, die für China vorbildhaft sei.

 

Der Fall Schavan als Imagegewinn: „Von Deutschland lernen!“

 

Selbst wenn sich manche User über die Häufung solcher Affären in den letzten Jahren wundern, so entlockt der Fall Schavan doch vielen dieses Deutschlandbild: In Deutschland herrsche ein transparenter Rechtsstaat, der Verfehlungen von Amtsträgern penibel verfolge und bestrafe, ungeachtet ihrer Stellung. Deutschlands wirtschaftliche Stärke und technologische Innovationsfähigkeit begründeten sich gerade darin. Zudem seien Deutsche meist akkurat, verantwortungsbewusst und ehrlich. Für das Zusammenspiel von Gesellschaft und Regierung in Deutschland bietet User „bugaigemeichulu“ eine Metapher:

 

Die deutsche Gesellschaft ähnelt einem sauberen und aufgeräumten Büro. Bevölkerung und zivile Organisationen sind in diesem Büro die Angestellten, die Regierung eine Putzfrau. Wo Dreck ist, putzt sie. Macht sie’s schlecht, fliegt sie raus.德国社会就象一间干净整洁的办公室,百姓和民间组织是这办公室的雇员,政府就是清洁工,那里脏了就清理那里,搞不好就炒掉。

 

Angesichts des Umgangs mit der Schavan-Affäre in Deutschland begeistert sich auch der Pekinger Künstler und Kulturfunktionär Guo Hongjun und verallgemeinert:

 

Gerechtigkeit! Offenheit! Freiheit! Demokratie! Das sind westliche Werte!公正!开明!自由!民主!西方价值观就是这样!

 

Trotz seines Patriotismus will „baixingdeyuanku“ seinen Nachkommen von nun an folgenden Ratschlag mit auf den Weg geben:

 

Ich erziehe meine Kinder und Enkel dazu, nicht auszuwandern, selbst wenn sie einmal mehr Geld haben sollten. Aber jetzt, nach dieser Nachricht, werde ich ihnen sagen, dass sie dann auf jeden Fall nach Deutschland auswandern sollen.我教导我的子孙,即使有再多的钱也不移居他国。但是看到这新闻后,从此我会教导我的子孙,有钱一定要移居去德国。

 

Nüchterner orakelt hingegen „jasonwindy“ zur Zukunft Annette Schavans:

 

Nach einem Jahr ist sie wieder da. Der frühere Verteidigungsminister war doch auch sofort wieder da.过你年还能回锅呢。那个前国防部长,马上也要回锅了吧。

 

 

___

 

Anmerkungen

 

* Mikroblogs, mit den „Tweets“ bei Twitter vergleichbare Kurznachrichten.

 

** Der streitlustige und oft angefeindete Fang Zhouzi ist in China eine Reizfigur. Unter großem Aufsehen warf er Han Han (Chinas bekanntestem Blogger) Anfang 2012 vor, seine Texte von Ghostwritern schreiben zu lassen. Ende 2012 hat er sich sogar an Chinas neuen Machthaber Xi Jinping herangewagt, wenn auch sehr viel vorsichtiger und weniger öffentlichkeitswirksam. Xis Doktorarbeit sei nicht sehr gehaltvoll und wohl nicht nur von ihm selber geschrieben, mutmaßte Zhou in einem Interview.

 

*** Der Sina-Artikel, von dem in der Unterschrift des dritten Bildes die Rede ist, kann unter folgendem Link abgerufen werden: http://tinyurl.com/ahdsso3

 

 

Zum Weiterlesen

 

Plagiatsvorwurf: Bildungsministerin Schavan tritt zurück“, Zeit Online, 09.02.2013.

 

Pressemitteilung der Universität Düsseldorf zur Aberkennung des Doktorgrades“, 05.02.2013.

 

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10 Antworten zu „Annette, komm‘ nach China!“ Chinesen staunen über den Fall Schavan

  1. Dass die deutschen Plagiatsaffären durch das Engagement vieler Internetnutzer überhaupt erst aufgedeckt und befeuert wurden („VroniPlag“), hat in den chinesischen Reaktionen keine große Rolle gespielt. Das ist erstaunlich, weil Schwarm-Modelle a la „VroniPlag“ doch gerade für das so wuselige und Gegenöffentlichkeit ermöglichende chinesische Internet (https://www.stimmen-aus-china.de/2013/02/06/sina-weibo-spiegel-einer-kritischen-gegenoffenlichkeit-in-china/) interessant sein müssten…

  2. Dass (Teile von) Xi Jinpings 2001 eingereichter Dissertation Anfang Januar 2013 ins Netz gestellt wurden, weist aber möglicherweise in die „Vroniplag“-Richtung > http://tinyurl.com/abwxyzj

  3. Und auch zu diesem Text gibt es eine wilde Promo-Collage: http://tinyurl.com/bagbf4o

  4. avatar Klaus sagt:

    Auf der Seite „Erbloggtes
    “ findet sich ein Kommentar unter dem Titel „Von China lernen heißt Siegen lernen. Chinesen aber blicken sehensüchtig nach Deutschland“.

  5. Pingback: zoom » Umleitung: Arbeit geschafft, bisschen im Schnee laufen und durch die Blogs surfen … Amazon, Zeitungskrise, Schavan in China und mehr. «

  6. Im September 2011 nahmen das Goethe-Institut China und die Germanisten der Universität Nanjing die Guttenberg-Affäre zum Anlass, um einen Literatursalon zum Thema „Anständigkeit im Leben, im Schreiben und in der Politik“ zu veranstalten. Überschriftet war der chinesische Flyer (als Scan: http://tinyurl.com/c2ly5hd) mit „Leistung“. Übersetzt wurde „Leistung“ hier mit „劳,而后获“, wofür sich auch ein deutsches Sprichwort anbietet: „Ohne Fleiß kein Preiß“.

  7. Pingback: Von China lernen heißt Siegen lernen. Chinesen blicken aber sehnsüchtig nach Deutschland | Erbloggtes

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