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Olympia 2012 – China nach dem Goldrausch von London

Was opfern chinesische Sportler für olympisches Gold? - Sportlerin Wu Minxia. ©Fabian Lübke

Nach der erfolgreichen Teilnahme an den olympischen Sommerspielen von London 2012 debattieren chinesische Kommentatoren im Internet über die Ausrichtung der nationalen Sportförderung. Sie gehen der Frage nach, welchen Preis Sportler wie die doppelte Goldmedaillengewinnerin im Kunstspringen, Wu Minxia, für ihre Erfolge zahlen müssen und schlagen alternative Wege vor.

Olympische Sommerspiele 2012 – erneute Erfolgsgeschichte chinesischer Sportler

 

Mit insgesamt 88 Medaillen, davon 38 in Gold, verabschiedete sich das chinesische Olympiateam als zweitstärkste Nation von den olympischen Sommerspielen in London. Nach den goldreichen „Heimspielen“ von 2008 ein weiterer Erfolg für das Land, welches sich 1984 erstmalig eine Goldmedaille sichern konnte.

 

Der hohe Preis einer Goldmedaille

 

Im Zentrum der Debatte über die Opfer, die chinesische SportlerInnen bringen müssen, steht die Ausrichtung der chinesischen Sportförderung auf das pure Ansammeln von Gold-Trophäen. Diese wird z.B. auch für persönliche Tragödien wie die der erfolgreichen Kunstspringerin Wu Minxia verantwortlich gemacht. Deren Eltern verheimlichten über mehrere Jahre den Tod der Großeltern und die Brustkrebserkrankung der Mutter um das „Projekt Gold“ ihrer Tochter nicht zu gefährden.

Der liberale Blogger „Wang Sixiang“ veröffentlichte einen vielbeachteten Beitrag mit dem Titel „Die Chinesen sind der Olympia-Falle entstiegen“.

 

Solche unmenschlichen Nachrichten müssen einfach dazu führen, dass die Bevölkerung eine Abneigung gegenüber den unter dem staatlichen System gewonnen Goldmedaillen entwickelt. Die Tatsache, dass eine Nichte innerhalb von acht Jahren nicht ein einziges Mal ihre Großeltern besucht hat, macht deutlich, dass der Umgang der [staatlichen] Sportabteilungen mit den Olympiakandidaten deren Charakter schädigt. Es ist, als seien diese Kandidaten in einen gefühlsauslöschenden Abgrund gesprungen.这种违背人性伦理的新闻,只会让民众反感举国体制下的金牌。8年时间,外孙女竟没去看过外公外婆,可见体育部门 对选手的管理多扭曲人性。这些选手就像跳进了一个泯灭人性的深渊。

 

Chinas Abkehr von der blinden Jagd nach olympischem Gold?

 

Der Kommentator der Changjiang News, Liu Hongbo, diagnostiziert ebenfalls eine zunehmende Ablehnung gegenüber der Goldmedaillen-Fixierung der chinesischen Sportförderung.

 

Die Leute finden sich immer weniger damit ab, dass sich die Sportförderung, gleich einer überdimensionale Maschine, einzig um die Produktion von Goldmedaillen dreht. (…) Die chinesische Bevölkerung ist bereits sehr weit gegangen – das Sportförderungssystem steckt hingegen noch im Morast der Gold-über-Alles-Mentalität.人们越来越不能接受体 育体系如同庞大的机器围绕着金牌生产运行. (…) 国 民已走得很远,而体育体制仍然在金牌至上的泥淖之中。

 

Einzelschicksal kontra Fortschritt

 

Doch nicht alle Netizens teilen diese Meinung. In seiner Replik auf den Artikel Liu Hongbos verwehrt sich Netizen „Yundanfengqing“ der Kritik am staatlichen Sportförderungssystem:

 

Würdest du die Olympiade auch dann noch anschauen, wenn China nicht eine einzige Goldmedaille gewonnen hätte? Langweiliges Geschwätz! Das staatliche Ziel China zu einer starken Sportnation zu entwickeln und die Richtung die dafür eingeschlagen wurde sind einwandfrei. Es ist eben unmöglich, dass in solch einem Entwicklungsprozess alles perfekt verläuft. (…)如 果中国一块金牌都不拿的时候你还会去看奥运会吗?吃饱了撑着的家伙。国家发展体育强国的目标和方向并没有错,只是在发展的过程中不可能什么都那么完善 (…)

 

Sport soll in ganz China gefördert werden

 

Netizen „Houge“ ist dafür, die Sportförderung gänzlich umzuorganisieren – insbesondere mit dem Ziel allen Bevölkerungsteilen sportliche Betätigung zu ermöglichen.

 

Zum Glück sind wir nicht Erster geworden. Was können andere denn schon von unserer Sportförderung lernen? Ich schlage vor, dass der Staat die Budgetzahlungen an das Sportministerium aussetzt und damit die Sportplätze von kommunalen und ländlichen Grund- und Mittelschulen repariert. Danach soll er verschiedene Sportverbände gründen, die dann die Aufgabe übernehmen, den Staat mit Talenten zu versorgen. Nur so kann man die gesamte Bevölkerung zum Sport machen animieren. Ist es wirklich so wichtig, wie viele Goldmedaillen man einsammelt? Hat die Regierung diese paar Goldmedaillen wirklich nötig um sich selbst damit zu brüsten*?幸 亏我们没有拿到第一。我们的体育有什么值得他人学习?我建议国家取消对体育总局的财政拨款,将这笔钱用于修建社区、农村中小学运动场,然后成立各种运动协 会,由他们向国家输送人才。这样才能带动全民健身。拿几块金牌真的就那么重要吗?政府真的就需要那几块金牌为自己贴金吗?

 

 

* 为自己贴金Wörtl: Sich mit Gold bekleben.

 

Zum Weiterlesen

Johnny Erling: „Chinas verbissener Siegeswille provoziert Kritik„, Welt online, 07.08.2012

Diana Bates: „Mass Medal Preparedness„, Caixin, 26.07.2012

Josh Rudolph: „China’s Olympic Fetish for First„, China Digital Times, 03.08.2012

 

Kategorien: Kultur, Politik, Tags: , , . Permalink.

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Eine Antwort zu Olympia 2012 – China nach dem Goldrausch von London

  1. Böse ist auch die Rechnung, die „Wang Sixiang“ aufmacht:

    为了有可能获得金牌,中国政府每年要投入大量资金,而这些资金,每一分钱都来自我们纳税人的血汗钱——据说,雅典奥运会上,中国获得32块金牌,为此花费224亿人民币,每枚金牌平均耗资7亿!

    „Die chinesische Regierung investiert jedes Jahr gewaltige Summen, um sich Chancen auf Goldmedaillen zu verschaffen. Aber jeder Cent dieser Gelder kommt von uns hart arbeitenden Steuerzahlern. Es heißt, dass China für die bei den Spielen von Athen erhaltenen 32 Goldmedaillen 22,4 Mrd. RMB [heute: mehr als 2,74 Mrd. Euro] ausgegeben hat, im Durchschnitt also für jede 700 Mio. RMB [heute: mehr als 85 Mio. Euro]!“

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