Die relativ liberale Wirtschaftspolitik der chinesischen Regierung stößt nicht bei allen Intellektuellen auf Gegenliebe. Während in den letzten Jahrzehnten die amerikanischen Wirtschaftswissenschaften in China großen Zuspruch gefunden haben, argumentiert der Blogger Moluo für eine eigenständige chinesische Wirtschaftswissenschaft, die die Interessen Chinas besser vertritt. Eine Übersetzung von Jost Wübbeke und Jingjie Hou.
Bevor der Westen seinen kolonialistischen Raubzug begann, produzierte Asien achtzig Prozent der weltweiten Waren. China war der wichtigste Produzent, knapp gefolgt von Indien. Durch den Kolonialismus aber gewannen die Europäer ununterbrochen an Stärke und erlangten entscheidenden Einfluss auf die globalen Macht- und Besitzverhältnisse. In diesem Kontext stellten die Europäer unzählige Theorien auf und verfassten Berge von Büchern, um der Welt den europäischen Aufstieg zu erklären. Diese Erklärungen sind durchdrungen von ethnischer, kultureller und systemischer Ãœberlegenheit. Das Freihandelskonzept ist eine von diesen Erklärungen aus der Perspektive der Wirtschaftswissenschaften, deren Erfolgsgeheimnis scheinbar in der Verbindung der beiden Worte „Freiheit“ und „Handel“ liegt. […]
Nachdem China vom Westen (im 19. Jhd., anm. Ãœbersetzer) zerschmettert wurde, brach der Nationalstolz zusammen und Chinas geistige Stärke verfiel. Die Intellektuellen fielen geistig auf die Knie, erkannten die europäische Ãœberlegenheit unhinterfragt an und nahmen die Unterlegenheit und Verdorbenheit des chinesischen Volkes hin. Selbst wenn es wichtige Fragen wie die eigene Zukunft oder die des ganzen Volkes anging, konnten sie nur westlichen Erklärungen glauben. […] Deshalb büßten Chinas Gelehrte ihre Kreativität vollständig ein. Etliche Generationen nahmen westliches Wissen und Denken als ihr eigenes an und verkamen zu Konsumenten der westlichen Ideologie.
Generell dienen geisteswissenschaftliche Lehren meist einzelnen Gesellschaftsgruppen als Vorwand ihre Interessen zu schützen. Wenn solche wissenschaftlichen Vorwände für die Interessen der Schwachen sprechen, dann wird ihren Erfindern von der dominanten Gruppe „Irreführung“ vorgeworfen und sie werden nicht weiter beachtet. Wenn jene, die solche Vorwände schaffen, aber für die Interessen der Starken sprechen, dann werden diese Lehren zu Leitgedanken wie in der „Royal Society“. Die Urheber dieser Lehren werden dann geadelt oder zu Professoren gemacht, sie erhalten hohe Auszeichnungen oder sogar den Nobelpreis.
Zerschlagt die heuchlerischen Unwahrheiten und monopolistische Position des Freihandels
Aber diese eindrucksvollen, „geadelten Lehren“, denen nur ihre „Krone“ Wahrhaftigkeit verleiht, wirken in den Augen der Schwachen wie die größten aller Lügen. Wenn also die Schwachen ihre Interessen schützen wollen, müssen sie […] diesen Betrug erst einmal aufdecken und schließlich neue Lehren schaffen, die ihre eigenen Interessen schützen […].
Großbritannien ist ein mächtiges Land, das durch kolonialistische Ausbeutung zu Wohlstand gelangt ist. Die Engländer haben die Lehre vom Freihandel geschaffen, um die Hegemonialstellung auf den Ozeanen, in der Finanzwelt, in der Technologie, bei Rohmaterialen und strategischen Resourcen zu erlangen. England verlangte von schwachen Staaten dem Freihandel Tür und Tor zu öffnen, um dann umfassend deren Ressourcen und Märkte kontrollieren und ausbeuten zu können. Wenn wir solchen Lügen glauben schenken, dann ist das als würde man sich über die Ausbeutung freuen.
Es gibt auch Staaten und Gesellschaften, die sich nicht ausbeuten lassen möchten. Sie müssen eine andere wissenschaftliche Lehre etablieren, um die heuchlerischen Unwahrheiten und die Monopolstellung des Freihandels zu zerschlagen. Auch Deutschland war im neunzehnten Jahrhundert ein Nachzügler. Die Deutschen aber dachten nicht daran sich unterdrücken zu lassen. Im Einklang mit deutschen Interessen formulierte der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Friedrich List die protektionistische Theorie der „infant industry“ (unreife Industrie). In seinem Hauptwerk „Das nationale System der politischen Ökonomie“ zeigte er, dass „die von Adam Smith eingeführten kosmopolitischen und wirtschaftspolitischen Lehren tatsächlich den Freihandel idealisieren, um englische Interessen zu vertreten. Deutschland musste seine eigene wirtschaftspolitische Lehre finden, um seinen Handel zu schützen und deutsche Interessen zu wahren.
[…] Rong Hongbing, ein Wirtschaftswissenschaftler der jungen Generation, erklärt List’s Aussagen folgendermaßen: „Im der freien Wettbewerb mit den starken, industrialisierten Staaten ist es für einen zurückgebliebenen und wirtschaftlich ungeschützten Staat schon nicht mehr möglich zu einer Industriemacht aufzusteigen. Er muss sich der industriellen, kommerziellen und maritimen Ãœbermacht der Großmächte beugen. Hätte man verlangt, das rückständige Deutschland auf dem Gebiet des Freihandels gegen das entwickelte England antreten zu lassen, wäre das wie, ein Kind gegen einen Erwachsenen kämpfen zu lassen. Nachzüglerstaaten müssen in so einer Situation protektionistische Maßnahmen für ihre heimischen „infant industries“ ergreifen. Die protektionistische Theorie der „infant industries“ konzentriert sich auf das Zollsystem. Durch erhöhte Zölle wird die Produktionskraft des eigenen Landes maßgeblich gestärkt, insbesondere die industrielle Produktionskraft.“ […]
Als „Nachzügler-Staaten“ befindet sich China in einer ähnlichen Lage wie Deutschland , nur dass China noch weiter nachhängt. Als Deutschland aufholte, waren seine Wirtschaftswissenschaftler in der Lage, durch neue Lehren die nationalen Interessen zu wahren. Warum fällt jetzt, wo China gerade am aufholen ist, den chinesischen Wirtschaftswissenschaftlern nichts anderes ein als lautstark angelsächsische Autoren nachzuplappern?
[…] Einige Jahrzehnte [nachdem List seine Theorie vorstellte] sagte ein amerikanischer Gelehrter (James M. Blunt), dass das Mysterium der westlichen Vorherrschaft über den Globus überhaupt nicht mit der ethnischen, kulturellen oder geistigen Ãœberlegenheit des Westens zu erklären ist. Tatsächlich gebe es nur einen Grund dafür die Europäer über fünfhundert Jahre kolonialistischer Ausbeutung den Reichtum der Erde in ihre eigenen Länder verschachert haben. Und nur deshalb gilt auf dieser Welt das, was sie sagen, als wahr […].
Chinas Eliten müssen ihr geistiges Sklaventum beenden
Wie das Kind in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ bricht Blunt mit allem, was chinesische Wirtschaftswissenschaftler und andere Gelehrte über zweihundert Jahre geblendet hat. Indem die Schwachen die Ideologie der Staaten annehmen, erhalten sie geistigen Trost und Raum zum Existieren. Das ist ein gewöhnliches Gesellschaftsphänomen. Aber Schwache, die ihre Würde, Interessen und Zukunft nicht aufgeben wollen, sollten sich rechtzeitig von der Ideologie der Starken befreien.
Ich denke, im „Chinesischen Aufstiegs“ sollten Chinas Eliten möglichst schnell ihr geistiges Sklaventum beenden und aus der westlichen Ideologie erwachen. Wir sollten eine chinesische Weltanschauung und eine eigene Geisteskultur inklusive einer eigenen Wirtschaftswissenschaft aufbauen. Wir brauchen eigene Wirtschaftswissenschaftler, die für die Verteidigung unserer Interessen die Fahnen hochhalten. […] Man sollte niemals denken, es wäre nach den Spielregeln des internationalen Kapitalismus selbstverständlich, seine Interessen an den Westen zu verschenken. Wenn China keine eigene Wirtschaftswissenschaft etablieren kann, kann es sich unmöglich aus der Schlinge der kolonialistischen Wirtschaftswissenschaft herauswinden. Dann können wir uns nur idiotisch und vergeblich abmühen und dem mächtigen Westen zu „leichtverdientem Ruhm“ verhelfen.
Aber seit der entschlossenen Bewegung des vierten Mai sind die Chinesen zu intellektuellen Konsumenten der westlichen Ideologie geworden, besonders schlimm ist es in den letzten 30 Jahren. Ihr Irrglaube und ihre Sturheit hat einen negativen Einfluss auf China.
Aus: http://blog.sina.com.cn/s/blog_4aff84920100gr64.html?tj=1