Natur- oder Geisteswissenschaft? – Für einen dieser Zweige mussten sich chinesische Schüler vor ihrem High-School-Abschluss bisher entscheiden. Eine Bildungsreform soll dies ändern. Die freie Fächerwahl wird im Netz engagiert debattiert.
In Shanghai und der Provinz Zhejiang ist es bereits etablierte Praxis – nun ziehen auch viele andere Provinzen nach: Die Abschaffung der naturwissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Zweige soll es Schülern ermöglichen, ihre Abiturprüfung ihren persönlichen Stärken und Schwächen anzupassen. Gleichzeitig soll so verhindert werden, dass Schüler zu Fachidioten verkommen.
Bisher war es üblich, am Ende der zehnten Klasse die Schüler in naturwissenschaftliche (Biologie, Chemie, Physik) und gesellschaftswissenschaftliche (Geschichte, Politik, Geographie) Zweige einzuteilen. Nur die jeweils gewählten Fächer waren Teil der Abschlussprüfung „Gaokao“ am Ende der zwölften Klasse. Die übrigen Fächer wurden in der elften Klasse in einem sogenannten „kleinen Gaokao“ geprüft, der nur bestanden werden musste. Das Bestehen dieser Prüfung stellte keine große Hürde dar und so wurden die nicht gewählten Fächer meist eher stiefmütterlich behandelt.
Die Neuregelung sieht nun vor, dass im Abitur außer den Hauptfächern, Mathematik, Chinesisch, Fremdsprache, drei weitere Fächer entsprechend den eigenen Vorlieben ausgewählt werden müssen.
Allgemeinbildung ist wünschenswert
Der Elftklässler Wang Kailun, der den naturwissenschaftlichen Zweig gewählt hat, sieht Vorteile in der Reform und bereut, zu früh eingeschult worden zu sein.
Xin Chen, ein anderer Elftklässler, der bereits im reformierten System zur Schule geht, ist da schon skeptischer.
Wegweisende Entscheidung
Ganz gleich, wie man die Reform beurteilt – die Zweigteilung war bereits vor der Abiturprüfung eine Entscheidung mit sehr weitreichenden Konsequenzen.
Viele Fächer an der Universität waren nur für Absolventen eines der beiden Zweige zugänglich ein späterer Wechsel des Zweiges war schwierig und ungern gesehen. Wie tiefgreifend diese Entscheidung sein kann, erzählt Netizen „hyhfantastis“ , welcher sich für den gesellschaftswissenschaftlichen Zweig entschieden hatte:
Vorurteile zur Entscheidungsfindung
Im Internet gibt es zahlreiche Foren, in welchen sich Schüler, die an diesem Scheideweg stehen, Hilfe von älteren Schülern erhoffen. So auch „Mandschurische Prinzessin Fan i“, eine Zehntklässlerin, die sich für Naturwissenschaften begeistert, aber bessere Leistungen in den Gesellschaftswissenschaften aufweisen kann.
Netizen „Ruhig 80733“ rät ihr, sich für die Naturwissenschaften zu entscheiden und bedient gängige Stereotype.
Es bleibt zu hoffen, dass die Reform es den Schülern zukünftig ermöglichen wird, eine falsche Wahl zu vermeiden und letztlich ein passendes Studienfach an der Universität zu studieren. Interessant wird es auch sein zu sehen, ob Vorurteile gegenüber Absolventen durch den Wegfall der rigiden Zweigrichtlinien abgebaut werden können.
Zum Weiterlesen
Florian Jung: „Individualisierung des chinesischen Abiturs – bessere Bildung durch Gaokao-Reform?“, Stimmen aus China, 29.09.2014.
Lisa Krauss: „Schüler-Suizid in China: Zu leben lernten sie nicht“, Stimmen aus China, 02.03.2016.
Florian Jung: „Sexualkunde in der Schule: Wenn Bienchen ins Leben helfen“, Stimmen aus China, 11.05.2016.
*Im kleinen Gaokao werden absteigend die Noten A, B, C und D vergeben. Die Notenstufe richtet sich danach, wie viele Punkte der maximalen Punktzahl von wie vielen Schülern (in Prozent) erreicht worden sind. Ein schlechtes Abschneiden führt zur Nichtzulassung zum „Gaokao“.
Beitragsbild von Rex Pe via Flickr.