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Personenkult in China: Eine Frage der Perspektive

Die riesige Mao-Büste in Changsha ist auch heute noch ein Pilgerort für Mao-Verehrer. Foto: Wang Zhuo

Die riesige Mao-Büste in Changsha ist auch heute noch ein Pilgerort für Mao-Verehrer. Foto: Wang Zhuo

Die Mao-Ära gilt in China sowie im Ausland als Blütezeit des Personenkultes. Gibt es auch 50 Jahre später in China noch Vergleichbares? Diskussionen hierüber flammen im chinesischen Internet immer wieder auf.

 

Mao Zedong selbst förderte nach 1949 den Kult um seine Person, um seine Position innerhalb der Partei und der neu gegründeten Volksrepublik zu festigen. Erst ab 1970, in der Hochzeit der Kulturrevolution, begann er, einzelne Auswüchse dieses Kultes zu kritisieren und Änderungen zu fordern. Auch heute noch verehren viele Chinesen Mao als Gründervater des Staates und als Beschützer der Armen.

 

Führer verehren erlaubt

 

Netizen “Momo” verurteilt zwar das Vergöttlichen einzelner Personen als Gehirnwäsche, macht aber eine Ausnahme für Mao:

 

Die Zuneigung des Volkes für Mao kommt aus tiefstem Herzen. Obwohl der altehrenwerte Herr nun schon seit 40 Jahren nicht mehr unter uns weilt, hat das Volk ihn nicht vergessen. (…) Es ist nicht die Verehrung einer Person, in ihm verehren wir unser Volk.个人崇拜,是一种被洗脑的行为,终究会醒悟的,也是可以教育说服的。但是,人民热爱毛主席是发自内心的!老人家逝世四十年了,人民没有忘记他,这是发自内心的崇敬,是任何人任何力量也阻挠不了的,因为这不是个人崇拜,是人民崇拜。不信,你就试试看!

 

Die Verehrung macht aber nicht vor dem sagenumwobenen ersten Vorsitzenden Halt. Auch amtierenden Politikern wird aktuell ein hohes Maß an Begeisterung zuteil, wie Netzbürger “Der Onkel kratzt am Fuß” leicht spöttisch zu berichten weiß:

 

Über Neujahr war ich wieder in meinem Heimatdorf. Bei vielen Leuten hängt ein Bild von Xi Jinping im Haus. Das finde ich schon lustig…过年回了趟农村老家,很多挂着西大大的像。。。 看着很有喜感

 

Maos Zeiten sind endgültig überwunden

 

Trotz solcher Beispiele glauben viele nicht an die Existenz oder eine weite Verbreitung eines Personenkults in China. Als der britische “The Economist” im April 2016 diesen in einem Leitartikel unterstellte, sah sich der bekannte Politikwissenschaftler Chen Dingding zu einer Antwort genötigt. Diese, ursprünglich auf Englisch erschienen, findet sich in verschiedenen Übersetzungsfassungen im chinesischen Internet.

 

Es stimmt, dass viele Leute den übermäßigen Kult zu Zeiten Maos kritisieren. Aber diese Zeiten sind schon vorbei und werden sich nicht wiederholen. (…) Jedes Jahr reisen Millionen Chinesen ins Ausland und allein die Zahl der Austauschstudenten in den USA liegt bei mehr als 300.000. Früher war unser Volk von der Außenwelt abgeschnitten, heute haben sie alle die Fähigkeit, selbst zu analysieren und zu bewerten. Sie wollen nicht, dass unser Land das Damalige erneut durchlebt und werden es auch nicht zulassen.虽说很多国人认同,毛时代的个人崇拜现象严重,但那个年代已经逝去,将不会再复返。(…) 每年有数以百万的中国游客出境旅游,单是赴美留学的中国学生就高达30多万。 在毛时代,国民被动与外界隔离,而如今,中国人都有了自己的分析和判断能力。他们不想也不会允许国家重回以往的年代。

 

Auch an anderer Stelle wurde der Artikel beherzt diskutiert. Einigkeit herrscht darüber, dass die Verehrung zu Maos Zeiten Ausmaße erreichte, die heutzutage undenkbar sind. Netizen “Im Regen spazieren” ist dennoch der Meinung, dass man eine Einflussnahme der Medien auf das Bild der Regierung nicht abstreiten kann:

 

Der Artikel im Economist spricht nicht von einem Personenkult, der von Einzelnen selbst ausgeht, sondern kritisiert die Glorifizierung seitens der Medien. Auch wenn ich die meisten Positionen des Artikels nicht teile, so kann man nicht abstreiten, dass die Wahl der Titel bei Berichten nicht frei von Problemen ist. Ich habe das Gefühl, dass da Personenkult schon eine Rolle spielt.经济学人的那篇文章指的不是个人发起的崇拜,而是媒体的造神运动,虽然观点不敢苟同,但是我们国家媒体的某些报道标题确实有问题,给我的感觉就是有些个人崇!

 

Der Westen ist viel schlimmer

 

Oft wird auch kritisiert, dass der Kult um ehemalige Politiker im Westen noch viel ausgeprägter sei als in China. So fragt sich ein bekannter, in Frankreich lebender chinesischer Intellektueller, warum es im Westen De Gaulle- und Reagan-Flughäfen gibt, aber keinen Mao Zedong-Flughafen in China. Netizen “Fengzi”schlägt in eine ähnliche Kerbe:

 

In den USA finden sich überall nach amerikanischen Politikern benannte Orte, Gebäude und Waffen, aber niemand spricht dort über einen Personenkult. Zum Teufel! Das alles gibt es in China fast überhaupt nicht, aber hier wird der Kult angeprangert! Das ist doch echt das Allerletzte! 美国遍地是政治人物地名、建筑、武器,没人说美国搞个人崇拜,尼玛中国基本没这些居然说中国搞个人崇拜,还要碧莲不!!

 

Und für Netizen “Ein Fluss mit Frühlingswasser 369” geht die Debatte ohnehin am eigentlichen Problem vorbei.

 

Es ist unmöglich, dass ganz China eine einzige Person verehrt. Was man wirklich verehrt, ist das Geld!现在全中国都崇拜一个人是不可能的,崇拜钱是真的!

 

 

Zum Weiterlesen:

 

Lisa Krauss: „Nationalismus-Debatte in China: Wie muss ein echter Patriot sein?„, Stimmen aus China, 06.09.2015

 

Chen Dingding: „Sorry, There’s No ‚Cult of Personality‘ in China“, The Diplomat, 04.04.2016

 

Video aus ARD Weltspiegel: China: Der neue Mao, 08.03.2015

 

Johnny Erling: Chinas neuer Personenkult: „Onkel Xi ist supergut“, Der Standard, 29. August 2014

Kategorien: Allgemein, Gesellschaft, Politik, Tags: , , , . Permalink.

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