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50 Jahre Kulturrevolution: Aufarbeitung im Stillen

Mao-Propaganda aus der Zeit der Kulturrevolution, © Mark via Flickr

Mao-Propaganda aus der Zeit der Kulturrevolution, © Mark via Flickr

1966 begann Mao Zedong eine Auslöschkampagne gegen seine Feinde. In der Folge starben Millionen von Chinesen, doch heute schweigen Medien und Politik in China dazu. Im Netz aber berichten viele Chinesen von diesen traumatischen Erlebnissen.

 

Die Kulturrevolution war eine Kampagne des damaligen chinesischen Führers Mao Zedong gegen seine Feinde innerhalb der Partei. Indem er der Bevölkerung erlaubte, alles „Alte“ zu zerstören, vernichte er ebenso die gesellschaftliche Grundlage Chinas. Die Roten Garden, fanatische Studenten und Anhänger Maos, verfolgten, beleidigten, erniedrigten und folterten wahllos Leute im ganzen Land. Fast alle Chinesen haben heute noch eine Familiengeschichte aus dieser Zeit zu erzählen. Eine Auswahl:

 

 

Verdrängte Vergangenheit

 

 

Am 16. Mai dieses Jahres schwiegen die offiziellen Medien in China zum 50. Jahrestag der Kulturrevolution. Es fanden auch keinerlei offizielle Gedenkfeiern statt. Die Regierung möchte lieber, dass dieses dunkle Kapitel in Vergessenheit gerät. Das ist auch einigen Chinesen Recht, die die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als zu schmerzhaft empfinden. Forist Huang Xin aus Hohhot schrieb dazu:

 

 

Ich wollte mich nie wirklich mit der Kulturrevolution befassen. Auch wenn ich das Thema sehe, versuche ich, mich davon fernzuhalten. Doch sie wühlt zu tiefe Gefühle in mir auf: Mein Großvater war ein gebildeter, attraktiver Mann, doch leider hielt er dem emotionalen und physischen Druck nicht stand. Er starb 1976, als alles fast vorüber war.关于文革,这段历史一直是我不愿意去深刻了解,看见了也默默规避的。但其实也算是感触颇深。我爷爷,我亲爷爷,是个饱读诗书眉目如画的男子受不了身体和心灵的双重打击,在文革的尾声,也就是1976年的某一天,久病不愈,去世了。

 

 

Viele Netzbürger scheinen jedoch auch erleichtert, wenn sie von ihren Familiengeschichten dieser Zeit erzählen. Unter dem Titel „Damals war ich fünf“《那年我十五岁》 findet man auf Weibo folgende Erzählung:

 

 

Im turbulentesten Jahr der Kulturrevolution war ich fünf Jahre alt. In jenem Jahr kam mein Vater ins Gefängnis, denn die Roten Garden behaupteten, er sei ein Spion. Aber das war nur, weil er in der Mittelschule Englisch unterrichtete! Meine Mutter konnte nicht schreiben und verstand nicht, warum dies alles passierte. Ein Strick beendete dann ihr Leben! 文化大革命搞的最红火的那一年,我十五岁,也就是那一年,父亲被抓入狱,造反派们说他是间谍,是特务,那只是因为他在中学里教英语!母亲不识字,她不明白为什么会发生这一切,一根绳子结束了她的生命!

Die Last der Erinnerung

 

 

Der Schmerz dieser tragischen Zeit wird oftmals von der jüngeren Generation weitergetragen. Denn es bleibt einzig die Erinnerung, mit der man den Vorfahren noch Ehre erweisen kann. Weibo-Userin Yu Xiaoyun berichtet:

 

 

Während der Kulturrevolution gab meine Großmutter meinem Großvater eine Schüssel voll Suppe. Dieser war gerade von einem Verhör zurückgekehrt. Er nahm einige Schlucke zu sich, spuckte dann Blut und starb. Meine Mutter erinnert sich auch, wie mein Vater zu «ideologischen Erziehungsmaßnahmen» aufs Land geschickt wurde. Dieser Schmerz hat meine Kindheit und Jugend begleitet, und auf der Uni habe ich von Anfang bis Ende geweint. Eines Abends kam ich zu meiner Großmutter, und sie rief zum letzten Mal, dass Pan Pan gekommen ist. Der Druck des Lebens ist zu groß für mich. Wenn ich meine Augen schließe, wird alles zu Staub.(...) 文化大革命奶奶端了一碗汤给刚拷问回来的爷爷 爷爷喝了几口就吐血倒地死了 妈妈刚怀着我爸爸就被派去上山下乡 成长的阵痛大学从暑假哭到寒假又哭到暑假 晚上回家奶奶最后一次叫盼盼回来啦 生命历程压的我太沉重 若闭上双眼一切化为尘土

 

 

Doch die Bevölkerung fürchtete damals nicht nur um ihr Leben, sondern auch um das Hab und Gut der Familien. Die Kulturrevolution wollte gezielt alle alten Schätze vernichten. Internetnutzer „Kamelstachel“ schildert die Geschichte seiner Mutter:

 

 

Als Mutter damals die Kulturrevolution erlebte, wurde von Haustür zu Haustür alles konsequent abgesucht und zerstört! Wir hatten damals eine weiße Porzellanvase (…), in welcher Großmutter ihre Jade-Mitgift aufbewahrte. Aufgrund unseres schlechten Landbesitzer-Status wollten wir diese bei einer Tante verstecken, die jedoch Angst vor den Konsequenzen hatte. Also warf sie die Vase in den Teich vor dem Haus. Meine Großmutter konnte nächtelang nicht schlafen. Nach einigen Jahren war der Teich ausgetrocknet, aber die Vase fanden wir nie wieder!母亲小时逢文化大革命,破四旧立四新,打倒牛鬼蛇神,挨家挨户搜砸!那时家中有白瓷(玉)瓶 (…) 装姥姥的陪嫁首饰玉器,因为地主成分高,不敢留家里,让成分好的二姨代藏,二姨怕被搜出遭罪,扔在门口大塘里,姥姥知道后好几夜不能入睡,若干年后池塘干涸,挖塘泥也没有找到!

 

 

Zukunftssorgen

 

 

In China findet keine historische Aufarbeitung dieser turbulenten Zeit statt. Den Menschen bleibt somit nur die stille Auseinandersetzung und Erinnerung, obwohl die Sorge vor Rückfällen in alte Zeiten real scheint. Ein Netizen fasst dies so zusammen:

 

 

Vielleicht ist China nun wohlhabend, aber wo bleiben Freiheit, Gleichheit und Demokratie? Ist die Kulturrevolution wirklich vorbei? Das fürchterlichste ist, dass nur sehr wenige Menschen sich wehren, wenn ihre berechtigten Interessen beeinträchtigt werden. Die Kulturrevolution ist bereits Geschichte, doch sie ist nie weit entfernt.也许是富强了,但民主自由平等在哪里?文革真的结束了?(…) 我觉得现在最可怕的事情是,即使合理的利益被压榨也很少有人站出来反抗。 文革已去,文革也从未远离。

 

 

Zum Weiterlesen:

 

 

Lisa Krauss, „Wie in der Kulturrevolution“: Chinas Netizens diskutieren über die Terrorgruppe IS, Stimmen aus China, 25. März 2015

 

Ulrich Delius, Kulturrevolution verbreitet Angst und Schrecken im ganzen Land, Gesellschaft für bedrohte Völker, 10. Mai 2016

 

50 Jahre Kulturrevolution – Viele Leben später, Zeit Magazin, 25. Mai 2016

 

Chris Buckley, Excerpt from People’s Daily on the Cultural Revolution, New York Times, 17 May 2016

 

Zeitmagazin, 50 Jahre Kulturrevolution – Viele Leben später, 25 Mai 2016

 

Bild: Mark via Flickr

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Eine Antwort zu 50 Jahre Kulturrevolution: Aufarbeitung im Stillen

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