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Verurteilter nach sechsjähriger Haft in Todeszelle freigesprochen

Acht Jahre lang saß Nian Bin hinter Gittern nun ist er frei © Screenshot Yong Yang, via Youku

Nian Bin kämpfte sechs Jahre um sein Leben. 2008 wurde er nach zweijähriger Untersuchungshaft zum Tode verurteilt. Man warf dem Kioskbetreiber aus der südost-chinesischen Provinz Fujian Vergiftung zweier Kinder aus der Nachbarschaft vor. Als Beweis diente sein Geständnis auf dem Polizeirevier, welches er allerdings schon bei der ersten Gerichtsverhandlung widerrief: Es sei unter polizeilicher Folter erzwungen worden.

 

Immer wieder ging er in Revision – insgesamt viermal. Im August 2014 wird Nian Bin schließlich aufgrund mangelnder Beweise vom Obersten Gericht Chinas freigesprochen. Ein seltener Fall in der Volksrepublik.

 

Todesurteil verworfen durch das Oberste Gericht

 

Auf die Frage, wie er so viele Jahre durchhalten konnte, antwortet Nian Bin in einem Fernsehinterview:

 

(…) Die Leute am Obersten Gerichtshofes sagten mir etwas, was ich niemals in meinem Leben vergessen werde: Wir kommen hierher, um Ihr Todesurteil zu überprüfen. Selbst wenn Sie heute die Tat gestehen würden, würden wir das Geständnis nicht ohne handfeste Beweise annehmen (…).(...) 最高人民法院一男一女下来,他们讲了一句我今生今世都没有办法忘记的话。他说念斌,我现在是来死刑复核,即便你今天说都是你做的,我们也不会采纳,我们是讲证据的 (...)

 

Seit 2007 muss der Oberste Gerichtshof der Volksrepublik jedes Todesurteil überprüfen bzw. bestätigen bevor es vollstreckt wird. Etliche Hinrichtungen hatten deshalb verhindert werden können. Früher entschieden örtliche Gerichte selbständig, was zum erheblichen Missbrauch führte. Jurist Pang Jiulin kommentiert:

 

Wenn die Befugnis, das Todesurteil zu verifizieren, nicht an den Obersten Gerichtshof zurück gegangen wäre, wäre Nian Bin schon hingerichtet worden.  该案件如果不是死刑复核权收归最高法院,念斌也许已经被执行死刑了!

 

Sieg für das Rechtssystem

 

„Jede Person, die wegen einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig,“ so die Unschuldsvermutung. Dies ist auch im chinesischen Gesetzbuch verankert. So sieht Rechtsanwalt Deng Xueping den Freispruch Nians als Triumph eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens.

 

Das Gericht hat das frühere falsche Urteil aufgrund des Prinzips der Unschuldsvermutung aufgehoben. (…) Der Fall Nian Bin ist ein Sieg für das Rechtssystem.法院依据疑罪从无的刑法原则,纠正了过去的错误判决。(...) 念斌案是一次法治的胜利

 

Folterverhör immer noch aktiv

 

Neben dem persönlichen Schicksal von Nian Bin, hat dieser Fall auch Probleme des chinesischen Justizsystems wiederholt ans Licht gebracht. So beispielsweise die Misshandlungen bei Verhören von Tatverdächtigen, um erwünschte Aussagen zu erzwingen. Dies ist laut dem chinesischen Gesetz verboten. In der Praxis kommt es jedoch vor. So warnt Rechtsanwalt Liao Honghao:

 

Der Fall, bei dem das „Geständnis“ durch Folter erzwungen wird, ist nur die Spitze des Eisbergs.这个案件也只是众多刑讯逼供冤案之一而已。

 

Todesstrafe wieder in Kritik

 

Da das Folterverhör in China immer noch praktiziert wird und dadurch erzwungene Aussagen – wie im Fall Nian Bin – zum Justizirrtum führen können, wird im Netz erneut über Todesstrafe bei falschen Todesurteilen diskutiert. Blogger „TA“ ist der Meinung:

 

Man kann sich vorstellen, wie viele Menschen durch Justizirrtümer hingerichtet worden sind. Ich selber habe auch unzählige solcher Fälle gesehen. Die Zeit ist für China gekommen, die Todesstrafe endgültig abzuschaffen.  想来中国该有多少冤死的鬼啊,而且我也看过无数。中国是该是时候废除死刑了。

 

Durch den langen Kampf um sein Leben, wurde auch Nian Bins Familie stark belastet. Es heißt, sein Vater sei vor Traurigkeit gestorben. Die Mutter, durch die Situation psychisch erkrankt, habe vor ihrem Tod überall verwirrt nach ihrem Sohn gesucht. Acht Jahre lang sagte man Nian Bins inzwischen zwölfjährigem Sohn, dass sein Vater im Ausland arbeite. Eine bittere Bilanz für diesen Freispruch.

 

Keine Gerechtigkeit trotz Freispruch

 

Rechtsanwalt Sun Jiangge zitiert ein Sprichwort von William Ewart Gladstone, einer der bedeutendsten britischen Politiker des 19. Jahrhunderts, zu dem Fall.

 

Verzögerte Gerechtigkeit ist verweigerte Gerechtigkeit.迟到的正义是非正义。

 

Blogger „HK“ fordert, dass die zuständigen Beamten, die immer noch auf freiem Fuß leben, zur Rechenschaft gezogen werden.

 

Wenn man diejenige, die aufgrund des Machtmissbrauchs für das falsche Urteil verantwortlich sind, nicht hart bestraft, wie kann man dann Justizirrtümer stoppen? Wo ist dann die Gerechtigkeit?对滥权枉法制造冤案, 以合法之身行罪恶之事者不予严惩, 冤案何以止息? 何来正义?

 

Nian Bin ist freigesprochen. Er ist jedoch noch lange kein freier Mensch. Seit der Freispruch bestätigt wurde, wurde seine Familie schon mehrmals von der Familie der Opfer attackiert. In einem Fernsehinterview sagt er:

 

Ich lebe immer noch wie ein gesuchter Krimineller.我还像个逃犯一样

 

 

 

Zum Weiterlesen

 

Rare acquittal for China murder convict on death row“, BBC, 22.08.2014.

 

Patrick Boehler: „Hawker Nian Bin in hiding after Chinese court overturns death sentence“, South China Morning Post, 22.08.2014.

 

Patrick Boehler: „Deadline for death sentence in Fujian murder case extended“, South China Morning Post, 25.05.2013.

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Eine Antwort zu Verurteilter nach sechsjähriger Haft in Todeszelle freigesprochen

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