Am 1. August 2013 wurde in Shenzhen das so genannte „Gesetz für barmherzige Samariter好人法“ oder wörtlich das „Gesetz für gute Menschen“ verabschiedet. Mit dem Gesetz soll Rechtssicherheit für jene geschaffen werden, die anderen in Notsituationen zur Hilfe eilen.
Was eigentlich wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist in China ein echtes Problem und gleichzeitig Grund für unterlassene Hilfeleistung. „Barmherzige Samariter“ sind in China nicht davor sicher, von den Bedürftigen oder deren Angehörigen wegen Schadensersatz verklagt zu werden, wenn die Rettung missglückt oder weil angenommen wird, dass nur der hilft, wer Schuld hat. Aus diesem Dilemma ergibt sich, dass mitunter nicht mehr geholfen wird, in der Sorge, dafür buchstäblich bezahlen zu müssen.
Sorgenfreies Helfen durch Rechtssicherheit
Das Gesetz soll nun in der Stadt Shenzhen guten Seelen sorgenfreies Helfen ermöglichen. Es befreit denjenigen, der einem Mitmenschen in Not zur Hilfe eilt, von jeglicher Haftungspflicht. Außerdem wird die Beweispflicht vom Helfer auf den Betroffenen gelegt und Strafen für die fälschliche Beschuldigung von Helfern eingeführt. Einfacher wäre es, an dieser Stelle von einer Neuheit im chinesischen Rechtssystem zu sprechen. Blogger „Uniabsolvent“ teilt den Auszug eines Artikels der Beijing Youth Daily, der argumentiert, das Gesetz reflektiere die bestehende Rechtslage in China durchaus. Problematisch sei, dass sich bisher keiner daran hielte.
Die Bedeutung des in Shenzhen eingeführten „Gesetzes für barmherzige Samariter“ liegt bei Weitem nicht nur in seiner Neuheit sondern vor allem in seiner Umsetzung. Diese „Schutz-Anordnung“ umfasst in erster Linie das „Prinzip der Unschuldsvermutung“ und dass die „Beweislast beim Ankläger liegt“. Das Prinzip der Unschuldsvermutung spiegelt ein grundsätzliches Rechtsverständnis unserer modernen Gesellschaft wieder. Dass die Beweislast beim Ankläger liegt, ist eine der Grundregeln in der Beweiserhebung unseres gültigen Zivilrechts. Diese Neuheit in der Gesetzgebung in Shenzhen ist de facto eine Verfeinerung unserer Rechtsprinzipien. (…) Das Shenzhener „Gesetz für barmherzige Samariter“ kann lokalen Richtern helfen, gesetzesmäßige Urteile zu fällen, wohltätige und hilfsbereite Menschen von Sorgen um negative Folgen ihrer guten Tat befreien und beitragen zur Richtigstellung bestehender Missstände.深圳市出台的“好人法”,其“落实”的意味要大于“创新”。《保护规定》主要体现了“无罪推定原则”和“谁主张谁举证原则”。“无罪推定”体现了现代社会的基本法治精神,“谁主张谁举证”则是我国现行民事诉讼中的基本举证原则。深圳的“创新”立法,其实是对我国相关法律原则的细化。(…) 深圳“好人法”的出台,可以帮助当地法官依法判案,相信它也可以有效免除好心助人者的后顾之忧,为矫正时弊做出贡献.
Tragödien ohne Helfer beflügeln Diskurs
Dass das Gesetz in Shenzhen verabschiedet wurde, ist nicht verwunderlich. Zum einen gilt Shenzhen, ebenso wie seine Nachbarstadt Guangzhou, als besonders progressiv, wenn es um neue gesellschaftliche Entwicklungen geht. Zum anderen entspringt das Gesetz der Diskussion um den Tod der zwei-jährigen Yue Yue, welche am 13. Oktober 2011 in der südchinesischen Stadt Foshan von einem Kleinbus überfahren wurde. Erst die neunzehnte Person, die an den Unfallort kam, half dem Mädchen, welches am Ende dennoch seinen Verletzungen erlag.
Kommentator Mu Yifei versucht zu verstehen, warum Hilfsbereitschaft in China so rar ist. Seiner Meinung nach ist es insbesondere die Angst, bei Einmischung selber in Schwierigkeiten zu geraten.
Warum passieren so komische Dinge wie, dass ein Rentner stürzt und keiner ihm aufhilft oder ein Kind ins Wasser fällt und keiner es rettet? Weil die Kosten einer guten Tat zu hoch sind. Weil die Kosten für einen guten Menschen zu abschreckend sind. Wenn man jemandem helfen möchte, muss man sich zuerst selbst absichern. Vor dem Einschreiten ein Foto machen, sich umschauen, ob irgendwo Überwachungskameras angebracht sind und alle wichtigen Rettungsnummern wählen. Es scheint so einfach, jemandem zu helfen. Aber viele Leute zögern, weil es in solchen Situationen unsicher ist, ob sie jemandem helfen oder sich selbst schaden.为什么会出现那么多咄咄怪事——老人摔倒没人扶、孩子落水没人救,原因之一,就是做好事的成本太大,做好人的代价太可怕。想要救人可以,先要做好自我保护:拍下救助前的照片,看看是不是有监控摄像头,拨打“110”、“120”……必要的程序,一个也不能少。看似简单的搭把手,却让很多人犹豫了,这是在救别人还是害自己,谁也说不准。
Keine Moral in der chinesischen Gesellschaft?
Die bekannten Fälle grober Fahrlässigkeit unterfüttern die landesweite Diskussion um fehlende Moral und Mitmenschlichkeit in der chinesischen Gesellschaft. Immer mehr Chinesen fragen sich, ob ihre Gesellschaft jenseits der Parteipropaganda nur noch von Profit- und Prestigewahn getrieben wird. Auch Blogger Wang Chuantao stellt sich diese Fragen und sieht das „Gesetz des barmherzigen Samariters“ als einen Schritt in die richtige Richtung.
Die Gesetzmäßigkeiten einer Gesellschaft erscheinen sehr kompliziert, obwohl sie ganz einfach sind: Solange ein Rechtssystem die guten, schützenswerten Menschen beschützt und die schlechten, zu bestrafenden Menschen verurteilt, kehren die Werte einer Gesellschaft wieder zur Normalität zurück. Unsere heutige Gesellschaft wird als „eine Gesellschaft der Fremden“ bezeichnet. (…) Das Misstrauen untereinander ist schon zur Normalität geworden. Selbst wenn das „Gesetz für barmherzige Samariter“ umgesetzt wird und unsere gesamte Gesellschaft möglicherweise das Gefühl des Misstrauens in der Öffentlichkeit beheben möchte, haben wir noch einen sehr langen Weg zu gehen. Um Tragödien wie den Fall Yue Yue nie wieder passieren zu lassen, braucht es einen ernsthaften Rücklauf der „Gesellschaft der Fremden“, (…) braucht es eine Zügelung von Macht und Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit von Beamten.社会运转的规律看似多变复杂,实则道理简单——只要法律制度保护到那些应该保护的好心人,惩治那些应该受到惩治的恶人,整个社会的价值次序就会回归正常。当下社会被称作是“陌生人社会”。(…) 人与人之间的不信任已经成为常态。因此,即便“好人法”得以实施,整个社会若图消除掉公众之间的不信任感,仍然有很长的路要走。彻底杜绝“小悦悦事件”之类的悲剧重演,仍然离不开“陌生人社会”诚信的回归,(…)离不开对权力的约束和官员的清正……
Zum Weiterlesen
Harvey Dzodin: “A Welcome to China’s First Good Samaritan Law”, China Daily, 20.07.2013.
Jill Levine: “Good News for Good Samaritans in Southern China”, Tea Leaf Nation, 30.07.2013.
“Shenzhen’s Good Samaritan Law can be Model for Nation”, South China Morning Post, 04.08.2013.