Der renommierte chinesische Fernsehmoderator Cui Yongyuan übte kürzlich scharfe Kritik am Bildungsministerium der Provinz Hunan. Zuvor hatte dieses jegliche Unterstützung für eine von Cuis privater Stiftung geplante Lehrerfortbildung verweigert.
Im Rahmen des derzeitigen Projekts von Cuis Stiftung ist geplant, hundert Lehrer aus den ländlichen Gebieten Hunans für einen mehrmonatigen Fortbildungsaufenthalt in Beijing auszuwählen. Anfang Mai 2012 bat die Stiftung das Bildungsministerium der Provinz um Hilfe bei der Initiierung des Projekts. Laut Cui habe die Behörde daraufhin in einem amtlichen Schreiben an die Stiftung dargelegt, dass sie das Programm weder ablehne, unterstütze noch daran partizipieren werde. Daraufhin warf Cui dem Ministerium auf seinem Microblog vor, die Verwaltung zeige kein Bemühen, bringe nichts zustande und kenne keine Scham.
Die Arbeitsbedingungen von chinesischen NGOs – Überlebenskampf an der Graswurzel der Gesellschaft?
Cui Yongyuans Stiftung ist eine von derzeit schätzungsweise drei Millionen in China operierenden NGOs. Vor allem durch ihr Engagement im Bereich sozialer Dienstleistungen kompensieren sie die vielfältigen gesellschaftlichen Folgeerscheinungen der Wirtschaftsreformen. Die chinesische Regierung heißt gemäß ihrer Devise „weniger Staat, mehr Gesellschaft“ und angesichts ihres allmählichen Rückzugs aus bestimmten gesellschaftlichen Bereichen private Initiativen offiziell grundsätzlich willkommen. Allerdings unterliegt die Arbeit von NGOs weiterhin äußerst restriktiven politischen und gesetzlichen Regelungen.
Die Debatte in den chinesischen Medien – wie viel Staat darf in NGOs stecken?
Chinesische Experten diskutieren den Konflikt zwischen Cui Yongyuan und dem Bildungsministerium Hunans kontrovers. Der bekannte Journalist Guo Yukuan fordert in der chinesischen Tageszeitung „Southern Metropolis Daily“ eine grundsätzliche Distanz zwischen der Regierung und NGOs. Bei Projekten wie Lehrerfortbildungen plädiert er für die Zusammenarbeit von privaten Organisationen an der Basis der Gesellschaft. Eine Beteiligung von Regierungsstellen an solchen Programmen lehnt er unter Hinweis auf den damit verbundenen hohen bürokratischem Aufwand ab.
Auch Wei Yingjie, ein bekannter chinesischer Kolumnist, betont, dass zivilgesellschaftliche Organisationen unabhängig von der Regierung agieren sollten. Unter gewissen Umständen könne, so Wei, die Regierung zwar Dienstleistungen von NGOs als Ergänzung zu ihrer eigenen Arbeit in Anspruch nehmen. Die Forderungen von Cuis Stiftung hält er allerdings für unberechtigt:
要求下属部门配合民间公益活动,或者直接参与其中,[…]这肯定不是合理途径。这样做,政府职能与民间公益只会重叠一起[…]。其结果是,民间公益组织要么变成官方慈善机 构,要么沦为政府部门的应声虫。
[Von der Regierung] zu fordern, dass ihr angegliederte Agenturen mit NGOs kooperieren müssten, ist unangemessen. Es ist auch fehl am Platz, die direkte Partizipation der Regierung an NGO-Aktivitäten zu verlangen […]. Dies würde die Kompetenzen der Regierung und die der NGOs verwässern […]. Am Ende verkommen NGOs dabei noch zu staatlichen Wohltätigkeitsinstitutionen oder werden gar zu Marionetten der Regierung.
Sind zivilgesellschaftliche Initiativen im Bildungssektor ohne Regierungshilfe möglich?
Der chinesische Medienwissenschaftler Yan Lieshan, der selbst Erfahrung mit der Organisation von Bildungsprogrammen in den ländlichen Gebieten Chinas hat, reagiert in seinem in der „Southern Metropolis Daily“ veröffentlichten Essay verständnislos auf die Einschätzungen Guos und Weis. Cui Yongyuan habe das Hunaner Bildungsministerium lediglich um Genehmigung gebeten, mit dem Projekt beginnen zu dürfen, keinesfalls aber dessen weitere Beteiligung am Programm gefordert. Da der chinesische Bildungssektor unter staatlicher Kontrolle steht, hält er es für unmöglich, Bildungsprojekte ohne das Einverständnis der Regierung zu realisieren:
没有湖南省教育主管部门的同意,也根本不可能进行。如果“越过”省教育 厅,直接找“下边的”市县教育部门,“下边的”教育官员会为难;如果没有教育主管部门的同意,极少有校长敢“擅自”同意他的教师进京。虽然学生放假了,老 师也还是要服从学校统一安排。
Ohne die Zustimmung vom Bildungsministerium Hunans kann [das Projekt] nicht durchgeführt werden. Übergeht man das Bildungsministerium der Provinz und wendet sich direkt an die Bildungsämter der Landkreise, bringt man die Beamten auf der unteren Veraltungsebene in Verlegenheit. Und ohne Zustimmung der lokalen Behörden würden nur wenige Schulleiter es wagen, ihre Lehrer eigenmächtig nach Beijing zu schicken. Auch die Lehrer würden auf das Einverständnis der Schulleitung warten – selbst wenn gerade Ferien sind.
Daher fordert Yan die Bildungsbehörden dazu auf, von Stiftungen organisierte Weiterbildungsprojekte für Lehrer aktiv zu unterstützen:
众所周知,中国现在是“强政府,弱社会”,民间组织还处于发育初期,说什么“民间组织要习惯于(!)在没有权力撑腰的环境下自主呼吸”云云,脱离生活常识太远,好像中国的市民社会早已建成了!
Wie jeder weiß, hat China derzeit einen starken Staat und eine schwache Gesellschaft. NGOs stecken noch in den Kinderschuhen […]. Wie kann man da behaupten, NGOs müssten sich daran gewöhnen ohne Rückendeckung des Staates auszukommen? Solche Auffassungen sind lebensfern – als gäbe es in China schon längst eine voll entwickelte Zivilgesellschaft!
Chinesische Lokalfunktionäre – gleichgültig gegenüber den Interessen der Bürger?
Der Rechtswissenschaftler und Kolumnist Chen Jieren verweist dagegen auf die grundsätzlich einzuhaltende Regelung, nach der die Aufgabenbereiche von Regierung und NGOs strikt zu trennen seien. Cuis Forderungen an die Behörden hält er daher für ungerechtfertigt. Der Tonfall des amtlichen Schreibens an Cuis Stiftung bringe allerdings die Gleichgültigkeit der Regierungsbeamten gegenüber den Interessen der Bürger ans Tageslicht:
湖南省教育厅为什么会作出如此强硬的、容易刺激公众神经的表态?我认为源于长期以来很多地方政府和官员漠视草根、高高在上的老爷作风。我们设想一下,倘若 湖南省教育厅内心有着民本精神和服务理念,绝不会说出那种冷漠的“三不言论”。
Warum nur gibt das Bildungsministerium […] eine Stellungnahme ab, die derart unerbittlich ist und die Öffentlichkeit provoziert? […] Weil viele Lokalregierungen und Funktionäre schon lange die Bedürfnisse der Gesellschaft ignorieren und sich wie überhebliche Mandarine aufführen! […] Wenn das Bildungsministerium […] von dem Geist getragen wäre, dem Volk – also der Basis unseres Staates – zu Dienst verpflichtet zu sein, hätte es sich niemals zur Erklärung dieser teilnahmslosen „drei Neins“ hinreißen lassen!
Zum Weiterlesen:
Gesa Stupperich: „NGOs in China – Regierung will Registrierung für zivilgesellschaftliche Organisationen erleichtern“, Stimmen aus China, 03.03.2012
Hagen Pietzcker: „NGOs in China“ , E-Politik, 10.12.2004