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NGOs in China – Regierung will Registrierung für zivilgesellschaftliche Organisationen erleichtern

Seit langem machen chinesische Wissenschaftler und NGO-Vertreter* darauf aufmerksam, dass NGOs als Ergänzung zu Wirtschaftsreformen unverzichtbar sind. „Weniger Staat, mehr Gesellschaft“ lautet eine Parole der chinesischen Regierung. Dabei kommt man nicht daran vorbei, die NGO-Landschaft zu liberalisieren.

Schätzungen zufolge existieren in China ca. drei Millionen NGOs. Offiziell registriert sind aber nur rund 440.000. Registrierte NGOs genießen eine Reihe von entscheidenden Vorteilen: Steuervergünstigungen, aber auch Erleichterungen bei Spendenerwerb, Mitgliedergewinnung und in der Öffentlichkeitsarbeit. Das Ministerium für öffentliche Angelegenheiten kündigte nun im Juli 2011 Reformpläne an, die den NGOs im Wohltätigkeits-, Wohlfahrts- und Pflegebereich die Registrierung erleichtern sowie Neugründungen und die Arbeit bestehender NGOs fördern sollen. Die chinesische Netzöffentlichkeit diskutiert über den begrenzten Rahmen und die langfristige Implikation des Reformversprechens.

 

Problematischer Status quo chinesischer NGOs

 

Bislang müssen NGOs eine Reihe bürokratischer Hürden nehmen, wenn sie sich registrieren wollen. Die Bestimmungen sehen vor, dass NGOs eine „geschäftsverantwortliche Einheit“ vorweisen können – eine offizielle Regierungsorganisation, die für Aktivitäten der NGO verantwortlich ist und bürgt. Da aber viele Regierungsinstitutionen diese Verantwortung nicht übernehmen wollen oder können, scheitern bisher die meisten NGOs an dieser Schwelle. Außerdem dürfen sich NGOs nicht registrieren, wenn bereits eine Vereinigung mit gleichen oder auch nur ähnlichen Zielsetzungen registriert ist. Für viele dieser „Registrierungsplätze“ haben sich bereits andere Organisationen registriert – oft sind das auf staatliche Initiative hin gegründete GONGOS**, denen die bürokratischen Hürden aus dem Weg geräumt werden. Netizen „Shaoshui“ beschreibt den problematischen Status quo und urteilt:

 

Das widerspricht Paragraph 35 der Verfassung Die Bürger der Volksrepublik China genießen… Vereinsfreiheit. Die Vereinsfreiheit ist ein Bürgerrecht. Wohin gehören aber gemeinnützige Vereinigungen, die keinen rechtlichen Status als NGO erhalten können? Gemäß gewisser interner Dokumente müsste man sie bestimmt als illegal bezeichnen.

 

In der Onlineausgabe der „Southern Metropolis Daily“ heißt es:

 

Seit der Politik der Reform und Öffnung haben nichtstaatliche Vereinigungen eine umwälzende Entwicklung durchlaufen und als Triebkräfte gesellschaftlicher Dynamik und Gemeinnützigkeit gedient. Aufgrund künstlicher Beschränkungen konnten Chinas nichtstaatliche Vereinigungen bisher nicht die fördernde und schützende Rolle spielen, die sie hätten spielen können.改革开放以来,中国民间社团已经得到天翻地覆的发展,对于激发社会活力、促进社会公益发挥了巨大作用,仅汶川地震一例就足以彰显民间组织的能力。但是由于人为的制度约束,中国的民间社团还远没有发挥其应有的促进与保护功能。

 

Zivile Organisationen stellten einen wichtigen Schutzmechanismus für den Einzelnen dar. Über Vereinsbildung wird eine Vielzahl ursprünglich schwacher Individuen stark. (…) Ohne den Schutz der Gruppe werden wir dagegen alle zu einer schwachen sozialen Gruppe die von anderen schikaniert wird. Die Gesellschaft wird zu einer Dschungelwelt, in der der Große den Kleinen, der Starke den Schwachen frisst. (…) Die Beschränkung der Vereinsbildungsfreiheit kann nur zur weiteren Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen führen. Wenn Harmonie und Stabilität der chinesischen Gesellschaft von Grund auf gewahrt werden sollen, dann nur über die Lockerung der Vereinsbildungskontrolle wie in Guangzhou. (…) Wenn die Regierung nach dem Abschied von der Planwirtschaft fortfährt, die freie Entwicklung von nichtstaatlichen Organisationen zu blockieren und auf dem Gebiet des sozialen Management keinen Fortschritt macht, die zivile Selbstverwaltung aber behindert wird, dann sind dem Machtmissbrauch durch Privatpersonen Tür und Tor geöffnet.(...)社团是人类个体自我保护的重要机制;通过结社,原本弱势的许多个人都变得强势起来。(...)反之,没有社团的保护,我们每个人都成了任人欺凌的弱势群体,整个社会就成了大吃小、强欺弱的丛林世界。(...)限制结社只能进一步恶化所有人的基本生存环境。要从根本上维护中国社会的和谐稳定,只有像广州新规那样放松结社管制。(...)计划体制衰落之后,如果政府继续捆绑着社团自由发展的手脚,在社会管理方面止步不前,但民间自我管理却受到阻碍,那么就变相为私人滥权创造了大量空间。

 

Die offizielle Begründung für die Beschränkung der Vereinsbildungsfreiheit durch strenge Registrierungsauflagen wird ad absurdum geführt:

 

Wie in anderen Bereichen der Regierungskontrolle auch begründet die Regierung die Beschränkung der Vereinsbildung damit, dass man illegaler, mafiöser und ähnlicher schädlicher Vereinigungen Herr werden müsse. Das Ergebnis ist aber immer, dass man den Edlen Steine in den Weg legt, nicht aber den Geringen***:  diejenigen Organisationen, die aufrichtig und öffentlich gemeinnützige Aufgaben verfolgen, können sich nicht registrieren, während die wirklichen Kriminellen sich überhaupt nicht um offizielle Bestätigungen scheren und wegen der Vereinsbildungsbeschränkungen auf keinen Fall ihre illegalen Aktivitäten einstellen. Der einzige Nutzen der Vereinsbildungsbeschränkungen ist, dass solche Organisationen in den Untergrund gehen, wodurch sie noch schwerer zu kontrollieren sind.

 

Die Reformvorhaben der Chinesischen Regierung als (überfälliger) Fortschritt begrüßt. Registrierung dagegen verpflichte Vereinigungen zur Offenlegung entscheidender Informationen, z.B. über Finanzflüsse und Aktivitäten, wodurch effektive Kontrolle möglich sei. Dementsprechend begrüßen die meisten Blogger die vom Ministerium für öffentliche Angelegenheiten minzhengbu民政部 angekündigte Lockerung der Bestimmungen als überfällige Maßnahme zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft. Eine Reihe von Provinzteilen und Städten experimentieren bereits mit einzelnen Reformmaßnahmen*****. In all diesen Orten wurden einzelne individuelle Regelungen, die Gründung und Registrierung behinderten, für unterschiedliche Arten von NGOs gelockert und Anreize zur Förderung der Gründung und des Wachstums von NGOs geschaffen. Netizen „Es gibt auch Leute, die meinen“ bewertet die Neuerungen positiv:

 

Nur so können die Bildung und Entwicklung von mehr NGOs gefördert, die Zusammenarbeit von Staat und Gesellschaft verwirklicht, gesellschaftliche Widersprüche aufgelöst und ein Kanal zum Ausdruck der pluralistischen Bürgerinteressen geschaffen werden. Das dient der grundlegenden Auflösung gesellschaftlicher Widersprüche, der Wahrung gesellschaftlicher Stabilität und der Beförderung gesellschaftlicher Harmonie. 这样才能培育更多的社会组织,更好地实现政社合作,化解社会矛盾,为反映公民的多元诉求提供新的渠道。更有利于从源头上化解社会矛盾、维护社会稳定、促进社会和谐。

 

Internetuser „jincheng918“ urteilt, wirkungsvolle Reformen in diesem Bereich seien das Mindeste, worauf die Regierung sich konzentrieren sollte, wenn sie den Eindruck von Reformwillen erhalten wolle:

 

Dies ist sozusagen die mindeste Erwartung der Öffentlichkeit in Sachen Reform. Wenn sie noch nicht einmal das reformieren, dann impliziert das, dass sie überhaupt nichts reformieren wollen.可以说,这是公众对改革的最低要求和期待,倘若连这个也不去改,那就意味着执政者什么都不愿意改了.

 

Die „Wiederorganisierung“ in Verbänden und Interessengruppen nach der Lösung des Einzelnen aus den planwirtschaftlichen „Einheiten“ sei eine unausweichliche historische Entwicklung.

 

Diese Veränderungen weisen auf einen unumkehrbaren Trend hin. Die Regierenden können nur im Einklang mit diesem Trend handeln, sie können sich nicht entgegen dem Lauf der Geschichte bewegen. Falls sie unter den gegeben politischen Voraussetzungen (die Möglichkeit zur) freiwilligen Vereinsbildung schaffen, wird das letztendlich zur Entwicklung einer modernen Gesellschaftsform führen.这种演变其实已呈现出不可逆转的趋势,为政者只能顺势而为,不可以逆历史潮流而动。倘若在法治的前提下,他们建立在个人权利基础上的自愿组织化,最终必将演进出一个现代社会的形态。

 

Den meisten chinesischen Netizens sind die NGO Reformen zu beschränkt

 

Gleichzeitig empfinden nicht wenige Netizens die angekündigten Lockerungen im Grunde als zu beschränkt und sehen weiterreichende Maßnahmen als notwendig an. Viele Netizens fordern, die Reform auf alle Arten von NGOs auszudehnen, solange ihre Zielsetzungen nicht in offenem Konflikt zu Staatsinteressen stünden. Außerdem wird kritisiert, dass einige Pilotexperimente keinen Abschied von dem Grundsatz genommen hätten, nur NGOs mit verwandten Zielsetzungen zu registrieren. Dadurch würden weiterhin Vereinigungen abgelehnt, die Rechte spezifischer Interessengruppen verträten oder Pflegedienste für Menschen mit speziellen Krankheiten anböten. „MaxGQ“ gibt zu bedenken, die Registrierungshürde sei nur ein Aspekt des Problems:

 

Ein zweiter Aspekt (des Problems) ist, dass der Aktionsspielraum legal registrierter NGOs unzureichend ist und ihre Arbeit systematischen Behinderungen unterworfen ist.另一方面是合法注册的NGO组织的活力严重不足,集体遭遇运营瓶径

 

Qualitätsüberwachung bestimmter Arten bestehender NGOs, z.B. im Bereich der Bildung oder medizinischen Versorgung, seitens der Regierung sei nötig, aber sie müssten allein den Interessen der Bevölkerung dienen, nicht dem Machtkalkül der Regierung. Kommentator Zhou Wenhua stellt sich auf eine Wartezeit von ungewisser Dauer bis zur flächendeckenden Durchsetzung der Reformpläne ein:

 

Auch wenn hier von einem Haufen neuer politischer Maßnahme geredet wird, das Problem ist: Wann wird das alles in der (NGO) Gemeinde umgesetzt?虽说一堆新政策新说法 但问题是 什么时候落实到社区呢

 

Die stellvertretende Leiterin des Instituts für NGO-Forschung der Qinghua Universität wird mit der Einschätzung zitiert, dass sich ein Trend zur Vereinheitlichung und Vereinfachung der Registrierung abzeichne:

 

(…) langfristig gesehen hat China bis zur Etablierung eines NGO-Managementsystems mit offener, steuerfreier Registrierung, klaren Rechten und Pflichten und rechtlich gesicherten Verfahrensregeln noch einen ziemlich weiten Weg vor sich.(...)从长远看,成立开放、免税登记、责权清晰、依法规制的民间公益组织管理体系,中国仍然有较长的路要走。

 

Vertrauenskrise als Katalysator politischen Fortschritts

 

Stilles Eis“ begrüßt das Reformvorhaben, kritisiert aber den politischen Mechanismus, den er hinter der Veränderung sieht. Der Impuls zur Reformierung des NGO-Rechts sei nicht von der Regierung, von den NGOs, oder denen, für deren Interessen sie sich einsetzen, ausgegangen. Stattdessen habe die im Guo-Meimei-Vorfall gipfelnde Vertrauenskrise gegenüber GONGOS die Reformentscheidungen in Gang gesetzt oder zumindest beschleunigt:

 

Unter dem vehementen Druck der öffentlichen Meinung und, um die Vertrauenskrise zu beseitigen, entschloss sich das Ministerium für öffentliche Angelegenheiten schließlich, die Registrierung von NGOs zu lockern, das Ganze hat etwas von der Tragik des Helden, der sich die Hand abschlagen muss, um sich vorm Schlangenbiss zu retten.****迫于强烈的社会舆论压力,为消除信任危机,民政部终于下定决心放开对这些民办社会组织的登记,还真有点壮士断腕的悲壮。

 

Dieses politische Verhaltensmuster zeichne sich auch in anderen Bereichen ab, wie der Lebensmittelkontrolle und den Sicherheitsbestimmungen für Hochgeschwindigkeitszüge. Ein negativer Vorfall, der oft Menschenleben koste führe, zum Vertrauensverlust und erst als Reaktion darauf würden Veränderungen eingeleitet. Wünschenswert sei aber Berücksichtigung der öffentlichen Meinung und eine aktive Suche von Problemlösungen der Regierenden, bevor es zur Katastrophe komme.

 

Hinter jedem gesellschaftlichen Fortschritt liegt der Schatten einer Guo Meimei (…). Diese Art von Vorfällen fördern alle auf gewisse Weise den gesellschaftlichen Fortschritt, aber immer ist ein gesellschaftlich negatives Ereignis der Auslöser oder es werden sogar Menschenleben geopfert. Eine gesunde, wohlgeordnete Gesellschaft sollte eine Gesellschaft sein, die in vollem Maße die Meinung der Bevölkerung respektiert, aktiv gesellschaftliche Missstände reformiert und zur Beförderung gesellschaftlichen Fortschritts nicht auf Guo Meimeis angewiesen ist, und erst Recht keine Gesellschaft, die Fortschritt mit Menschenleben bezahlt.

 

 

______

* Der Begriff „gesellschaftliche Vereinigung“, im offiziellen Sprachgebrauch das Synonym für „NGO“ (Engl. Non Governmental Organisation, dt. Nichtregierungs Organisation), umfasst in der Definition des Ministeriums für öffentliche Angelegenheiten drei Arten von Vereinigungen: „gesellschaftliche Vereine“ (shehui tuanti), z.B. Akademien und Vereinigungen, die auf dem Zusammenschluss von Menschen mit ähnlichen Zielen und Interessen beruhen, zivile gemeinnützige Einrichtungen, wie private Altenheime, Pflegedienste für Menschen mit Behinderungen, die Dienstleistungen anbieten, und zuletzt Stiftungen.

** Government-Organised Nongovernmental Organization

*** Chinesisches Sprichwort, das sich auf Maßnahmen bezieht, die nur dafür sorgen, dass moralisch aufrichtigen, gesetztestreuen Individuen das Leben erschwert wird, während die tatsächlichen Kriminellen Mittel und Wege finden, sie zu umgehen.

**** seit 2008 Shenzhen, weitere Städte folgten 2010. Siehe: „Reform ziviler Angelegenheiten in 17 Pilotprovinzen und -städten“ (chinesische Quelle)

***** Sprichwort aus den „Chroniken der Drei Reiche“ . Der Held muss sich die Hand abschlagen, um die Ausbreitung des Schlangengifts auf den restlichen Körper zu verhindern.

 


Zum Weiterlesen:

 

Chinas Rotes Kreuz im Sumpf der Korruption„, Stimmen aus China, 22.07.2011

 

Skandal um Rotes Kreuz: „Alles hypokritische Hetzjagd„, Stimmen aus China, 25.02.2011

 

NGOs in China„, e-politik (Deutsch)

 

„Das Doppelmanagement chinesischer NGOs“ 中国 NGO 的双重管理 (Chinesisch)

 

 

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