Unverschämt und lächerlich findet die in Deutschland lebende Kunstkennerin Zhu Ling die Ausstellung „Kunst der Aufklärung“, die am 1. April 2011 feierlich eröffnet wurde. Gezeigt werden Kunstwerke aus der europäischen Aufklärung, die den Chinesen  freiheitliches Gedankengut und Mündigkeit vermitteln sollen. Mit Aufklärung hätten die Werke nichts zu tun und dass Deutschland sich als Moralapostel aufspielt und Chinas eigene Erfahrung mit aufklärerischen Werten ignoriert, schade massiv dem deutschen Image in China, findet die Bloggerin. Eine Ãœbersetzung von Ella Daschkey und Daniel Soesanto.
Es ist bereits zwei, drei Jahre her, dass ich erstmals davon gehört habe, dass die drei großen deutschen nationalen Kunstgalerien die Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ im Pekinger Nationalmuseum veranstalten wollen. Da es sich dabei um ein riesiges Projekt handelt (diese Ausstellung kostet den deutschen Steuerzahler zehn Millionen Euro), hat sich die Eröffnung immer wieder verzögert. Am 1. April wurde die Ausstellung schließlich eröffnet. Der deutsche Außenminister ist eigens nach Peking gereist, um an der Eröffnungsveranstaltung teilzunehmen. Auch die staatlichen deutschen Medien hatten im Vorfeld schon provokante Fragen vorbereitet: „Ist die Kunst der Aufklärung für das autoritäre China nicht ein Schlag auf den Kopf?“
Als ich das erste Mal den Begriff „Kunst der Aufklärung“ gehört habe, habe ich mich sehr gewundert. Nach so vielen Jahren des Studiums der westlichen Kunstgeschichte bin ich mit Begriffen wie Barock, Rokoko, Romantik und klassizistischer Kunst vertraut. Aber noch nie gehört habe ich „Kunst der Aufklärung“! In der europäischen Geschichte hat es wirklich eine Zeit der Aufklärung gegeben, in der – so steht es in jedem deutschen Geschichtsbuch – Denker wie Voltaire, Rousseau und Montesquieu die Zerschlagung des feudalistischen Aberglaubens propagierten, um die Idee der Gewaltenteilung durchzusetzen. Innerhalb der Kunstgeschichte hat es aber keine Stilrichtung der „aufklärenden Kunst“ gegeben.
Aus Neugier habe ich mal nachgeforscht, was die drei Kunstgalerien eigentlich nach Peking gebracht haben. Ich musste lachen. Es sind einige namhafte Künstler ausgestellt, darunter Casper David Friedrich, ein Vertreter der deutschen Romantik, der gerne einsame Menschen vor einem großen naturellen Hintergrund malte. Außerdem Heinrich Füssli, ein relativ bekannter Künstler aus dem damaligen England, der gerne Traumwelten und Geister malte. Und schließlich der bekannteste, Goya, der zur damaligen Zeit das spanische Königshaus belieferte und gerne Damen des königlichen Hofes malte. Friedrich und Füssli haben zwar tatsächlich während der Periode der Aufklärung gelebt, aber was für ein Zusammenhang soll denn zwischen ihren Werken und dem Gedanken der Aufklärung bestehen? Am lächerlichsten ist, dass die Ausstellung darüber hinaus Bilder des englischen Künstlers Gainsborough sowie des französischen Künstlers Watteau ausstellt, deren unsagbar kitschige Bilder nur Königsfamilien und Portraits von Aristokraten darstellen – wollen die Deutschen in uns etwa den Feudalismus wiedererwecken? Die Ausstellung geht sogar soweit, die Kleidung adliger Frauen und einige wissenschaftliche Erfindungen aus der damaligen Zeit mit dem Etikett „Kunst der Aufklärung“ zu versehen und zur Ausstellung nach Peking zu verschiffen – haben die Deutschen einen Knall? Insgesamt leisten sich die Deutschen einen riesigen Scherz. Sie wollen in ihrer Ãœberheblichkeit die unzivilisierten Chinesen „aufklären“ und blasen sich dabei selbstgefällig auf. Kaum einer bemerkt, dass dabei fundamentale Grundlagen der Kunstgeschichte einfach ignoriert werden. Dies hat das ursprünglich großartige, gewissenhafte Bild der Deutschen in China zerstört. „Die Kunst der Aufklärung“ ist für die Chinesen nichts als eine große Lachnummer, für die die Deutschen zehn Millionen Euro ausgegeben haben.
Der deutsche Kultur-Kolonialismus
Außerdem denke ich, dass das Verhalten der Deutschen noch aus einem anderen Grund problematisch erscheint: Sie werden dadurch zu typischen kulturellen Kolonialisten ignorieren dabei Chinas eigene Geschichte. Der Gedanke der Aufklärung ist für Chinesen nichts Unbekanntes, ganz im Gegenteil: Schon während der Republikzeit* haben im Ausland studierte Akademiker wie Cai Yuanpei die Gedanken der Aufklärung propagiert. Das hat in China zu einer ganzen Reihe von Reformen geführt, so dass diese Gedanken in Politik umgesetzt wurden. Man könnte auch sagen, dass China schon früh seine eigene Aufklärungsbewegung durchlebt hat. Wenn die Deutschen die chinesische Geschichte wirklich respektieren, sollten sie lieber diese zehn Millionen Euro dazu nutzen, uns eine Ausstellung über unsere eigene Geschichte in dieser Zeit zu schaffen anstatt eine ursprünglich nicht existente „aufklärende Kunst“ erfinden und sie den Chinesen aufzwingen.
Bedenkt man ferner die heutige internationale Situation, möchte ich die Deutschen fragen: was qualifiziert euch eigentlich dazu, den Chinesen die Gedanken der Aufklärung nahe zu bringen? Als Verlierer des Zweiten Weltkrieges habt ihr damals entschlossen versprochen, nie wieder Krieg zu führen. Bis heute habt ihr euer Versprechen aber wiederholt gebrochen und seid im Namen anderer bereits in sieben Kriege, darunter Jugoslawien und Afghanistan, involviert gewesen. Die verbündeten Truppen der USA, Englands und Frankreichs bombardieren mittlerweile Libyen und nur wegen der Landtagswahlen und aus Angst, die Gefühle der Wähler zu verletzen, nehmt ihr nicht daran teil. Gleichzeitig habt ihr ebenfalls Angst davor, die USA zu verärgern, weshalb mehr Truppen nach Afghanistan entsandt werden, angeblich um die Last der NATO zu lindern. Ich möchte euch fragen: China hat ja sehr viele innenpolitische Probleme, aber hat die Volksrepublik etwa Bomben auf den Irak, Afghanistan und Libyen gefeuert? Was qualifiziert den kriegerischen Westen dazu, Chinesen Moral, Ethik und Aufklärung beizubringen?
Politisierung ist Vergewaltigung von Kunst
Um aber auf das eigentliche Thema zurückzukommen, diese Ausstellung entspringt von vorne bis hinten der Fantasie der Deutschen. In Deutschland wird viel heiße Luft erzeugt, aber in China schlägt das keine großen Wellen. Ich habe die Nachrichten über die Ausstellungseröffnung im Radio gehört und auch die Stimmen der Deutschen, die mit Ai Weiwei sympathisieren: „Die chinesische Regierung erlaubt die Ausstellung von aufklärenden Ölgemälden, aber keine dementsprechenden Debatten.“ (Sind die deutschen Reporter Sympathisanten Ai Weiweis? Oder wie kommt sowas sonst immer wieder in die Primetime der deutschen Medien?). Ich würde Ai Weiwei gerne fragen: Welche Elemente der Aufklärung können Sie aus den Werken der Ausstellung herauslesen? Wenn man schon diskutiert, dann sollte man auch den künstlerischen Wert der ausgestellten Werke diskutieren. Statt dessen werden sie von den Deutschen einfach mit dem Etikett „Aufklärung“ versehen. Ist das etwa kein Paradebeispiel davon, wie Kunst durch Politisierung vergewaltigt wird?
Selbstverständlich möchte ich nicht die mit zehn Millionen Euro erkaufte Stimmung vermiesen. Ich schlage vor, dass ihr euch selbst Zeit nehmt, die Ausstellung anschaut und danach sagt, ob ihr euch selbst aufgeklärt fühlt!
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* Anm. d. Ü.: 1912-1949
Das Leben ist – wie so oft – komplizierter!
Hier ein weiterer interessanter Artikel (auf deutsch) von Zhu Ling in der NZZ mit besonderem Fokus auf Ai Weiwei: http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/ai_weiwei__kein_wirklicher_regimekritiker_1.10548627.html