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Stuttgart21 auf Chinesisch – Nanjinger Baumschutzbewegung Teil 1

Seit einigen Jahren besitzt die Metropole Nanjing eine
U-Bahn, die stetig erweitert wird. Dem fallen nun vermehrt die Bäume der langen Alleen zum Opfer.
Wen interessieren in China schon ein paar Bäume? Dennoch: Im März ging nicht nur in Nanjing, sondern landesweit ein Aufschrei durch die Gesellschaft – eine Situation, die in Deutschland wohl bekannt ist. Nicht nur ökologische Bedenken spielten eine Rolle, sondern auch hochbrisante politische Aspekte, die zivilgesellschaftliche Partizipation umfassen und sogar bis über die Taiwan-Straße führen. Der Blogger Meng Si, Mitherausgeber des Blogs „chinadialogue“, berichtet. Von Daniel Soesanto nach einem freundlichen Hinweis von Zhao Guyan.


Die Phönixbäume, die zu beiden Seiten der Straßen Nanjings emporragen, […] wurden einst als historisches Wahrzeichen dieser Stadt gesehen. Heute, aufgrund des voranschreitenden Bauprozesses der U-Bahn, werden genau diese Bäume entwurzelt […]. Die Proteststimmen aus dem Volk reißen nicht ab. Den historisch bedeutungsvollen Phönixbäumen Nanjings stehen wegen der Reparaturen an der U-Bahn Umpflanzungen […] bevor. Eine zunehmend aktivere Volksbewegung im Internet zum Schutz der Bäume hat sich [sogar] bis auf das andere Ufer nach Taiwan ausgebreitet.
„Beijing News“ berichtet, dass am 9. März an der Taiping-Straße mehr als 40 Bäume ausgerissen und für den Transport vorbereitet wurden, um für die Haltestelle „Da Xinggong“ der Linie 3 Platz zu machen. Dies verursachte großen Unmut unter der Stadtbevölkerung Nanjings und den Netizens. Einige Nanjinger Bürger zogen auf die Straßen, nahmen an der Bewegung „Rettet Nanjings Phönixbäume, bildet eine ‚grüne chinesische Mauer‘“ teil und steckten grüne Schleifen an die Bäume. Weitere Bürger nutzten ihre Blogs, um Fotos und Nachrichten zu verbreiten und eröffneten eine Bewegung zum Schutz der Phönixbäume Nanjings. Nach Schätzungen der Regierung werden für den Bau der Linien 3 und 10 1.100 Bäume umgepflanzt. Davon sind mehr als 200 Phönixbäume, ein Teil dieser Bäume ist über 60 Jahre alt. Die gegenwärtige Anzahl der Umpflanzungen ist bereits das Ergebnis der Verhandlungen mit dem U-Bahn-Amt. Ursprünglich waren etwa 2.600 Bäume vorgesehen.
„Die Phönixbäume sind das Wahrzeichen und die Repräsentanten Nanjings, etliche ältere Menschen kommen aus dem Ausland zurück, nur um diese Bäume zu sehen. Warum muss für den Bau der U-Bahn in so großem Umfang abgeholzt werden? Das ist eine Schande“, sagt ein Bürger bei einem Interview mit einem Jiangsu-Nachrichtensender.
Die Phönixbäume an den Straßen Nanjings sind bereits zum Symbol der Stadt geworden. 1928 wurden die sterblichen Überreste Sun Yat-sens1 von Peking nach Nanjing ins Sun Yat-sen Mausoleum verlegt. Der erste Bürgermeister Nanjings, Liu Jiwen, hatte damals die französischen Phönixbäume als Alleenbäume ausgesucht und sie an den Straßen, die der Sarg [Sun Yat-sens] passieren sollte (die heutigen nach Sun Yat-sen benannten Straßen), und im Sun Yat-sen Park anpflanzen lassen.
Nachdem diese Angelegenheit von den Medien berichtet worden war, wurde sie rasch im Internet verbreitet und zum „hot topic“ der Blogs. Der bekannte Popstar Wang Feng hat das Lied „Im Frühling“ abgeändert und den Phönixbäumen Nanjings gewidmet. Im Lied wird gesungen: „Falls ich eines Tages gefällt werde, dann begrabt mich im Frühling.“ Die lokale  Umweltorganisation „Grüner Stein Nanjings“ hat eine „Lächel-Aktion“ gestartet, in welcher die Teilnehmer Schilder hochhalten mit der Aufschrift „Bitte nutze dein Lächeln, um die Bäume in Nanjing zu erhalten“ und „Nicht fällen und nicht umpflanzen, nicht verschwinden und nicht preisgeben“. Sie machen Fotos und zeigen sie im Blog „Die Phönixbäume Nanjings“. Dieser Blog wurde vom aus den Medien bekannten Huang Jianxiang ins Leben gerufen, bis zum 18. März waren dem schon fast 10.000 Menschen beigetreten mit 16.909 Beiträgen.

 

Blogs spielten bei Verbreitung der Nachricht eine große Rolle

Die Generalsekretärin von „Grüner Stein Nanjings“, Li Chunhua, meint, dass Nanjing auch früher Abholzungen wegen des U-Bahn-Baus hingenommen hat. Aber die dieses Mal hervorgerufene Reaktion der Bevölkerung sei besonders heftig, die Blogs haben bei der Verbreitung der Nachrichten eine große Rolle gespielt. Huang Jianxiang, der Moderator Meng Fei, Regisseur Lu Chuan und andere Prominente haben in den Blogs nach und nach die Aufmerksamkeit für die Umpflanzung der Bäume in Nanjing geschaffen. Auf den Blogs von „sina.com.cn“ hat Huang Jianxian mehr als 4,26 Millionen Fans und Meng Fei 1,79 Millionen. In den Blogs von „Tencent“ hat Meng Fei 6,69 Millionen Fans und Lu Chuan sogar 7,9 Millionen.
Eine große Anzahl von Netizens hat über Abstimmungen, die Weiterverbreitung von Nachrichten und anderen Arten an dieser Sache teilgenommen und sie publik gemacht. Bis zum 18. März wurde die oben genannte Bewegung „Rettet Nanjings Phönixbäume, bildet eine grüne ‚chinesische Mauer‘“ schon 15.160 Mal weitergeleitet. In der Umfrage „Die Umpflanzung im Zuge des U-Bahn-Baus in Nanjing“ meinen 3.827 Menschen (98% der Befragten), dass [das Projekt] „unverzüglich ausgesetzt, mehr Experten sowie Institutionen bei einer neuen Evaluierung des Plans eingeladen“ werden sollten. Aber die Verbreitung der Blogs scheint unter Zensur zu stehen. Am 18. März kamen auf „sina.com.cn“ bei der Suche nach Huang Jianxiangs Blog in Verbindung mit dem Begriff „Nanjing“ nur Suchergebnisse von vor Juni 2010 heraus. Bezüglich der Umpflanzung in Nanjing konnte jedoch nichts gefunden werden. Gleichermaßen konnte bei „sina.com.cn“ auch nichts zu den Suchbegriffen „Nanjing“ und „Lächel-Aktion“ gefunden werden. Der Blog von Meng Fei auf „Tencent“ zu diesem Thema war ebenfalls bereits gelöscht.Trotzdem gärt diese Sache über die Blogs weiter und wurde ferner von allen möglichen Medien aufgegriffen. Innerhalb weniger Tage wurde dies sowohl in den lokalen als auch nationalen Medien zur heißesten und größten Nachricht.


Historische Bedeutung der Phönixbäume

Gerade zum 100-jährigen Jubiläum der Xinhai-Revolution2 zieht die Stadtregierung Nanjings und die Umpflanzung auch die Aufmerksamkeit der taiwanesischen Kuomintang (KMT)3 und der Medien auf sich. Der Politiker Qiu Yi sagt in seinem Blog: „Während beide Seiten der Taiwan-Straße das Jubiläum der Xinhai-Revolution feiern, fällt bzw. verpflanzt die Stadtregierung Nanjings wegen des U-Bahn-Baus die historisch bedeutungsvollen Phönixbäume. In meiner Funktion als Mitglied des ständigen Ausschusses der KMT muss ich meinen nachdrücklichen Protest ausdrücken. Wie kann die KMT-Führung dazu schweigen?!“ Er sagte weiter, dass er schon den stellvertretenden Vorsitzenden der KMT, Chan Chuen-pao, über die Hintergründe dieser Sache und die historische Bedeutung, die die Phönixbäume Nanjings repräsentieren, benachrichtigt hat. Chan Chuen-pao stimmte zu und erklärte, dies dem Vorsitzenden Ma Ying-jeou4 mitzuteilen. Laut einer Nachricht der „United Daily“ vom 17. März hat Qiu Yi im ständigen Ausschuss der KMT einen Vorschlag gemacht und hofft, dass über die ARATS 5 und die SEF [Straits Exchange Foundation; Anm. d. Ãœbers.: Kommunikationsorgan Taiwans mit dem Festland] die Angelegenheit um die Abholzung der Phönixbäume Nanjings geregelt wird. Einige Tage später haben die Netizens auf dem Festland eine Baumschutz-Demonstration mit dem Code 3/19 [19. März] gestartet und verkündet, wenn „diese Phönixbäume das Nanjing-Massaker6 überstehen können, werden sie auch die U-Bahn überstehen“. […] Konfrontiert mit der Kritik an der Abholzung, erklärte die Stadtregierung, dass sie [die Bäume] nicht fälle, sondern umpflanze. Aber diese Aussage beruhigte die Gemüter der Bevölkerung nicht. Der Chefredakteur der „Nanjing Times“, Zhu Fulin, verfolgte im Jahr 2006 die Umpflanzung von 190 Platanen im Gebiet der U-Bahnlinie 2. Er entdeckte, dass in der Baumschule des Forstamts im Bezirk Baixia von 83 Bäumen 68 starben. […] Als im April 2006 die Bäume umgepflanzt werden sollten, versprach das Forstamt der Stadt Nanjing, dass 80% erhalten würden; in Wahrheit starben 80%.
Zhu Fulin schreibt in seinem Blog: „Wir möchten nicht nur, dass die Regierung weniger Bäume umpflanzt. Wir möchten, dass die Regierung einen Mechanismus einführt, in welchem es den Bürgern gestattet ist, bei der Verwaltung teilzunehmen. Wir wollen [der Regierung] nicht wegen der Sterberate von 80% in den Ohren liegen. Wir wollen nur wissen, wo das Geld der Steuerzahler hinfließt.“ Der Bericht der „Southern Weekly“ vom 17. März erinnert an den Bau der Linie 2 vor fünf Jahren, der wegen seiner Transparenz weniger Protest [verursacht hat]: Lange vor der Umpflanzung haben die U-Bahn und die Forstabteilung über die Medien entsprechende Nachrichten verkündet. […] Aber dieses Mal beim Bauprozess der U-Bahnlinie 3 war es nicht möglich, ähnlich ausreichende Nachweise und Informationen zu erhalten.


Der gewaltsame Aufbau ist überall

Angesichts des zweifachen Drucks von einer Masse von Netizens und der Führungsebene Taiwans erklärte die Stadtregierung am 15. März erstmals öffentlich, dass sie den Plan zum Schutz der Bäume optimieren werde. Am 18. März verkündete die Stadt Nanjing den Baustopp für die U-Bahnlinie 3. Li Chunhua sagte gegenüber „chinadialogue“, dass der „Grüne Stein Nanjings“ aktiv die Gründung einer vierseitigen Arbeitsgruppe aus Nicht-Regierungs-Organisationen, den Medien, Experten und der Öffentlichkeit vorantreibe, um über die Experten an der faktischen Planung der Regierung teilzunehmen und die öffentliche Meinung umzusetzen. Nach der Meldung des „21st Century Business Herald“ vom 22. März haben einige Regierungsabteilungen gemeinsam ein Dokument konzipiert und es vorab dem Volkskongress Nanjings zur Diskussion zur Verfügung gestellt. Sie möchten, dass Nanjing zur ersten Stadt wird, in der auf lokale Initiative Gesetzgebung mit dem Fokus „grüne Stadt“ durchgeführt wird.
Die rapide Urbanisierung überall in China sowie die Konflikte um Erhaltung von Kultur und Natur sind bereits alltägliche Erscheinungen. Der Wissenschaftler Xiong Peiyun kommentiert: „Heutzutage schwindet die gewaltsame Revolution zusehends, aber der gewaltsame Aufbau ist überall. Wenn dem nicht mit aller Macht Einhalt geboten wird, fürchte ich, dass von diesen Bäumen in Nanjing alle gefällt werden, bis keiner mehr übrig bleibt. Die Logik des gewaltsamen Aufbaus ist simpel – [falls] die Abholzung von 3.000 Bäumen nicht gestoppt wird, so werden bestimmt 30.000 Bäume gefällt, 300.000 Bäume gefällt…“

 

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1 Anm. d. Übers.: Gründer der Republik China 1912
2 Anm. d. Ãœbers.: Ende der chinesischen Kaiserzeit
3 Anm. d. Ãœbers.: Aktuelle Taiwanesische Regierungspartei und Hauptbeteiligte an der Xinhai-Revolution
4 Anm. d. Übers.: Amtierender Präsident Taiwans
5 Association for Relations Across the Taiwan Straits; Anm. d. Ãœbers.: Kommunikationsorgan der Volksrepublik mit Taiwan
6 Anm. d. Verf.: Japanischer Angriff auf China 1937-38

 

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