Umweltjournalismus in China: Selbstzweifel eines Insiders

Der Umweltjournalist Feng hielt sich bis jetzt für das Idealbild eines Journalisten, berichtet er doch direkt vom Herzen der Umweltschutzszene und erklärt die Umweltproblematiken aus Sicht der Umwelt NROs. Doch kürzlich plagen ihn Zweifel- machen ihn die Fertignudeln, die seine Familie isst, zum Umweltsübder? Hat er ohne persönlichen Kaufboykott noch das Recht sich als kritischer Journalist zu bezeichnen? Eine Blogübersetzung von Roman Serdar Mendle.

 

Nachdem ich in der Nachrichtenbranche zwanzig Jahre herumgealbert habe, wachte ich eines Morgens auf und es fiel mir wie Schuppen von den Augen: „Eigentlich sind die Medien das reinste Theaterspiel“. Die Medien machen nichts weiter als täglich den Tragödien und Komödien, den amerikanischen und chinesischen Theaterstücken und den Seifenopern der Gesellschaft zu folgen. Umweltschutzorganisationen behaupten gerne, sie seien „Natürliche Verbündete“ der Medien. Sie agieren in einer äußerst dramatischen Randzone der Gesellschaft, die zudem extrem kontrovers ist und deren Gesuche dennoch am ehesten auf taube Ohren stoßen. Weil diese Randzone kontrovers ist, zieht sie die Zuwendung der Menschen auf sich. Weil ihre Anliegen auf taube Ohren stoßen, brauchen Umweltschutzorganisationen die Medien, um auf sich und ihre Interessen aufmerksam zu machen. In China gibt es weder über die Maßen viele, noch besonders wenige Umweltschutzorganisationen. Seit etwa zehn Jahren bin ich immer häufiger mit ihnen in Kontakt gekommen. Anfangs habe ich eher beiläufig die eine oder andere Nachricht über sie geschrieben. Als die Begegnungen häufiger wurden, habe ich eine Legende über Persönlichkeiten des Umweltschutzes verfasst. Wenn es so weiter geht, schreibe ich später vielleicht noch ein Buch darüber.

 

„Von Innen nach Außen Schreiben“

Je länger ich mit Umweltschutzorganisationen zu tun habe, desto mehr fühle ich mich selbst als einer von ihnen. Ich verstehe fast alle ihre Fachausdrücke und Probleme kann ihre nachvollziehen, als hätte ich sie am eigenen Leib erfahren. Die sozialen Ideale, die die Umweltschützer propagieren, empfinde ich meist schon als meine eigenen. Eines Tages sagte ich deshalb selbstherrlich zu meinen Freunden, die Nachrichten die ich schreibe seien besonders tiefgründig. Das nennt man „von Innen nach Außen schreiben“, während viele andere nur „von Außen nach Innen schreiben“. Egal ob man über einen Menschen oder eine Sache schreibt, man darf nicht nur technisches Verständnis für Person oder Sache haben sondern muss unbedingt auch über eine entsprechende gefühlsmäßige „Synästhesie“ verfügen. Erst wenn du mitten drin steckst und gleichzeitig das ganze auch von Außen betrachten kannst, mögen die Leser, was du schreibst. Ein „Nachrichtenvorfall“, der kürzlich stattgefunden hat, ließ mich jedoch ein wenig an dieser „Von Innen nach Außen“-Theorie zweifeln.

[Anfang Februar 2010] ging ich ins Umwelt-Fortbildungszentrum der berühmtesten Umweltschutzorganisation Chinas, Global Village Beijing. Ganz nebenbei merkte ich die neue Verhaltensstrategie von Global Village Beijing: Sie gehen allmählich dazu über, sich nach außen als „social enterprise“ zu vermarkten. Der Begriff social enterprise wurde erst in den letzten Jahren zunehmend populär. Normalerweise wollen alle möglichen Unternehmen, die sich nach Kräften für ihre persönlichen Interessen einsetzen als „gemeinnützige Unternehmen“ geheiligt werden. Der Kampf für die eigenen Interessen ist ja auch die treibende Kraft des sozialen Fortschritts. Das Ideal der social enterprises ist hingegen, die Wildform eigeninteressenorientierter Unternehmen beizubehalten, diese aber zugleich als gemeinnützige Organisationen zu domestizieren [so dass sie den sozialen Fortschritt zum Eigeninteresse macht; Anm. d. Ãœbers.]. Das ist selbstverständlich eine schwierige Operation.  Man sollte zwar auf keinen Fall glauben, dass Global Village Beijing mit dem Ãœbergang von einer gemeinnützigen Organisation zur „social enterprise“ ein Ding der Unmöglichkeit zu verwirklichen [im Original: „Himmel und Erde auf den Kopf zu stellen“; Anm. d. Ãœbers.] versucht, nur weil man kaum erfolgreiche Präzedenzfälle für solche Unternehmen erlebt hat.

Zweifellos ist das aber ein äußerst verwegener Versuch. Ich weiß nicht welche Gefahren das mit sich bringt. Aber mir ist schon ein bisschen mulmig geworden, weil ja nicht nur Global Village Beijing mit solchen Ideen spielt, sondern auch andere Organisationen wie die Friends of Nature, Green SOS usw. Ich weiß nicht was ich dazu schreiben soll. Wenn ich mich nicht in diese Organisationen hineinversetzen kann und mir immer nur sorgen um sie mache, wie soll ich dann „von Innen nach Außen“ schreiben?

Reden vs. Handeln – bin ich ein Journalist oder ein Verbraucher?

Dann hat vor ein paar Tagen eine andere berühmte Umweltschutzorganisation, das Institute for Public & Environmental Affairs, zusammen mit 30 anderen Umweltschutzorganisationen eine „grüne Warnliste“ 20 ausgewählter Markennamen erstellt, die umweltschädigende Unternehmen repräsentieren. Alle Produkte dieser Firmen werden in Tabellen aufgeführt. Die Organisationen hoffen, dass umweltbewusste Verbraucher dadurch motiviert werden, eine Boykottbewegung gegen diese Umweltschutzverstöße zu starten. Damit sollen die Unternehmen zur Besserung gezwungen werden und gleichzeitig umweltbewussteres Konsumverhalten und aktiver Umweltschutz in der Bevölkerung stimuliert werden. Als ich davon gehört habe, war ich begeistert. Aber ich weiß trotzdem nicht, was ich dazu schreiben soll. Ich habe mir die Produktliste der 20 aufgeführten Unternehmen genau angesehen und festgestellt, dass eine überwältigende Mehrheit der Produkte direkt mit meinem Leben zu tun hat. Fertignudeln esse ich zwar selbst nicht, aber meine Familie gegessen. Vielleicht auch nicht zum Abendessen, aber wenn man mal Zug fährt, sind sie fast unvermeidbar. Speiseöl konsumiere ich jeden Tag und achte dabei nicht auf die Marke, sondern schleppe einfach den nächst besten Kanister nach Hause. Vermutlich habe ich daher jede Marke schon mal konsumiert. Von Milchpulver und Kuhmilch brauche ich gar nicht erst sprechen. Familien mit kleinen Kindern kommen selbst dann mit Milchpulver in Berührung, wenn sie eigentlich gar keine Milch trinken.

Deswegen bin ich in letzter Zeit ziemlich unentschlossen: Bin ich Konsument, oder bin ich Journalist? Jetzt, wo ich diesen Artikel geschrieben habe, muss ich mich dann nicht auch am Kaufboykott beteiligen? Wenn ich nicht im Stande bin, mich wie ein Umweltschützer zu verhalten, wie soll ich dann noch „von Innen nach Außen schreiben“? Vielleicht war mein bisheriges, euphorisches Dasein nichts als ein Leben voller Irrtum.

 

aus: http://fengyongfeng1108.blog.sohu.com/144249537.html

Kategorien: Umwelt. Permalink.

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