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Scheidung in China – Im Fernsehen, tatsächlich und zum Schein

So beliebt die Hochzeitsfotoshootings auch sein mögen, sie können nichts daran ändern, dass die Scheidungsrate in China weiter steigt © Sigismund von Dobschütz, via Wikimdia Commons

Ob in den Nachrichten, in Film und Fernsehen oder in der Internetgemeinde – Chinas steigende Scheidungsrate ist in aller Munde. Viele rätseln über die Gründe oder verurteilen die Geschiedenen. Dabei trennen sich gar nicht alle, die eine Scheidung einreichen.

 

Chinese Style Divorce“ (zhongguoshi lihun中国式离婚) und „Divorce Lawyers“ (lihun lüshi离婚律师) können unterschiedlicher kaum sein. Während „Divorce Lawyers“ mit Humor, Dramatik und Kurzweil an amerikanische Serien erinnert, so ist „Chinese Style Divorce“ eine ruhige lakonische Serie. Sie erzählt von drei ganz alltäglichen urbanen Paaren, ihren Träumen und Eheproblemen. Eines haben die Serien jedoch gemeinsam: Das chinesische Publikum verfolgt mit großem Interesse, wie sie das Leben von Geschiedenen und Noch-Verheirateten darstellen. Denn seit zehn Jahren sind Scheidungen ein prominentes Thema.

 
2004 wurde das Scheidungsgesetzt in China extrem vereinfacht. Seitdem können sich Paare scheiden lassen ohne dass der Arbeitgeber oder das Nachbarschaftskomitee zustimmen müssen, so wie es bis dahin der Fall gewesen war. Nun verzeichnet China immer mehr Scheidungsfälle. Besonders unter den Jüngeren nehmen Scheidungen zu. Während es 2004 noch 1,6 Millionen waren, beantragten 2013 schon 3,5 Millionen Paare die Scheidung.

 

Netizens rätseln über die Scheidungsgründe

 

In den Nachrichten sorgen die gestiegenen Scheidungszahlen für Schlagzeilen. Immer wieder wird nach den Gründen gesucht. Neben dem häufigsten Scheidungsgrund – dem Verlangen sich einen finanziell erfolgreicheren Lebenspartner zuzulegen – gibt ein Artikel bei „sina.com“ noch folgende Scheidungsgründe an:

 

Affären, über lange Zeit verschiedene Wohnorte, die Frau ist dominanter als der Mann, Konflikte zu Hause und ein unharmonisches Sexleben. 婚外恋;长年分居;女比男强;家庭矛盾;性生活不和谐

 

 

Nicht alle sehen das jedoch so pragmatisch. In den Augen Vieler ist die Scheidungsrate Ausdruck eines tieferliegenden gesellschaftlichen Problems. Ein „Netizen“ macht die Verrohung der Sitten verantwortlich. Es ginge immer nur ums Geld. Das führe zu einem „Mangel an Religiösität (und zu) moralischer Degeneration 缺乏信仰,道德沦丧“. Auch der bloggende Anwalt „Kang Zhenyu“ macht den Atheismus vieler Chinesen für die Trennungen verantwortlich. Einerseits würden sich die Geschiedenen nicht vor der Hölle fürchten und andererseits:

 

In einigen Religionen meint man, dass die Hochzeit die Verbindung zweier Seelen bedeutet. Also darf man sich – wie bei den Katholiken – nicht scheiden lassen. Für die ungläubigen Chinesen existiert das Konzept einer Seele nicht. Es ist ihnen also völlig egal, dass sich zwei Seelen verbinden.一些宗教认为,婚姻是两个人灵魂的结合,所有不许离婚,比如天主教徒。对于不信教的中国人来说,是没有灵魂的概念的,就更无所谓灵魂结合了。

 

Scheidung zum Schein

 
Besonders eine Gruppe unter den Geschiedenen sieht sich momentan solchen Anfeindungen ausgesetzt. Sie lassen sich zwar scheiden, sind aber nach wie vor ein Paar. Das hängt mit dem chinesischen Wohnungsmarkt zusammen. In den Ballungsräumen traten seit 2010 Bestimmungen in Kraft, die besagen, dass ein Ehepaar nur noch eine Wohnung kaufen darf. So sollen die hohen Quadratmeterpreise gedrückt werden. Weil aber Viele eine Wohnung an Familienmitglieder verschenken möchten, hohe Zusatzzahlungen beim Kauf einer Zweitwohnung vermeiden wollen oder darin eine gute Investmentmöglichkeit sehen, sind Scheinscheidungen keine Einzelheit mehr. „Frau Qin“ beispielsweise reichte die Scheidung ein, obwohl sie und ihr Mann weiterhin zusammen in der gemeinsamen Wohnung leben. Einem Lokalreporter erklärt Frau Qin ihre persönlichen Beweggründe.

 

‚Meine Eltern haben keine Wohnung. Also habe ich mir gedacht, dass ich ihnen eine kaufen könnte. Aber meine Eltern sind schon alt. Auf ihren Namen einen Kredit aufzunehmen ist unbezahlbar und die ganze Summe auf einmal zu bezahlen, können wir uns nicht leisten. Wegen der Erwerbseinschränkungen sind (mein Mann und ich) generell nicht zu einem Wohnungskauf befähigt.‘ Also gab der Bauunternehmer Frau Qin einen Rat: Scheinscheidung.“我父母没有房子住,我们就想给他们再买一套房,但父母年纪大了,用他们名义买也贷不了款,全款付清我们又没有那么多钱。而且因为限购的影响,我们根本没有买房资格了。”于是,开发商给秦女士出了个主意——假离婚。

 

Da aus dem Wohnungskauf trotzdem nichts wurde, will Frau Qin ihren Mann nun ein zweites Mal heiraten. Und wer weiß, vielleicht sind Geschichten, wie die von Frau Qin und ihrer Scheinscheidung schon bald Stoff für eine neue Fernsehserie.

 

Zum Weiterlesen

 

Lisa Krauss: „Chinesische Hochzeiten – Eine Frage des Geldes“, Stimmen aus China, 29.07.2013.

 

Lisa Krauss: „Gestiegene Ansprüche und traditionelle Geschlechterrollen: Wer kauft das Eigenheim?“, Stimmen aus China, 01.06.2013.

 

Yong Yang: „Häusliche Gewalt – eine Amerikanerin kämpft um ihre Rechte in China“, Stimmen aus China, 13.05.2013.

 

Miriam Börsting: „Neufassung des chinesischen Ehegesetzes: Ungerecht, frauenfeindlich oder notwendige Änderung?“, Stimmen aus China, 09.03.2012.

 

Ha Jin: „Warten“, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2004.

 

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