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Der Fall Lei Yang: Tod in Polizeigewahrsam

Lei Yang bei seiner Abschlussfeier an der Renmin-Universität Quelle: Screenshot von Weibo, 22.5.16

Ein Sprung aus dem Polizeiwagen, eine nicht funktionierende Überwachungskamera und eine Quittung von einer Prostituierten? Die Todesumstände Lei Yangs erregen Misstrauen. Der Fall sorgt im Netz für viel Gesprächsstoff.

 

Seit dem Tod des 29-jährigen Lei Yang am 7. Mai bemüht sich die Beijinger Polizei, die Umstände seines Ablebens als rechtmäßig darzustellen. Der junge Umweltaktivist geriet angeblich vor einem Massage-Salon in eine Polizeikontrolle. Eine Quittung über 200 Yuan (30 Euro) soll beweisen, dass er dort Prostituierte aufgesucht hat.

 

Die Beijinger Polizei meldet, dass Lei Yang sich gegen die Festnahme gewehrt habe und anschließend durch einen plötzlichen Herzinfarkt gestorben sei. Passanten hingegen berichten von Hilfeschreien. Das Krankenhaus, in dem Lei Yang behandelt wurde, fand Spuren von Gewalteinwirkung.

 

Leis Familie betont, dass er auf dem Weg zum Flughafen gewesen sei, um Verwandte abzuholen. Seine Frau, die letzten Monat ihr erstes Kind zur Welt brachte, ist überzeugt, dass er mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun hatte und nur zufällig in die Polizeikontrolle geriet.

 

 

Unrechtmäßige Gewalt

 

Folgender Post von Twitter-Nutzer “64heishan_com” wurde vielfach geteilt. Darin drückt er sein Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber den staatlichen Autoritäten aus:

 

Um es klar auszudrücken, im Name der chinesischen Rechtssprechung hat die Polizei die Öffentlichkeit angegriffen, aber trägt trotzdem Uniform, natürlich, und kann heute auch schießen. Unser aller Leben liegt in der Hand von Banditen.其实说白了,在中国警察执法其实就是暴力殴打市民的代名词,不过是要求穿制服殴打,当然今天还可以枪杀。大家性命就在土匪手里。

 

 

Weibo-Nutzerin “Königin des Herbstwaldes” findet den Fall Lei Yang ebenfalls beunruhigend:

 

Wir sind betroffen vom Tode Lei Yangs, aus Gerechtigkeitsbewusstsein, aber auch aus Angst und Wut. In einer Gesellschaft, in der Würde und Menschenrechte wertlos sind, kann niemand seinen eigenen Fall vorhersehen. Egal ob Prostitution involviert ist oder nicht, kann jeder in einem Polizeiauto zu Tode kommen.每一个人都可能是下一个雷洋,这是我们恐惧和愤怒的原因。我们关注雷洋之死是出于正义和良知,也是出于恐惧和愤怒 (...) 。在一个没有尊严、人权、生命如同草芥的社会,谁也无法预知自己在嫖娼或没有嫖娼的情况下,会不会被警察塞进通往死亡的面包车。

 

Positivere Einstellung zu Prostitution

 

Der Vorfall hat neben Anprangerungen von Polizeigewalt aber auch noch Debatten zu einigen anderen Themen losgetreten. Die weniger politisch orientierten Social-Media Nutzer diskutieren vermehrt über Prostitution. Folgender Post von Weibo-User “Yang Jinlin” sorgte für Aufsehen und wurde sehr oft weitergeleitet:

 

Eine weibliche Weibo-Nutzerin schrieb: Ich habe meinem Mann gesagt: mit Prostituierten verkehren ist nicht relevant. Wenn du erwischt wirst, hab keine Angst! Ich werde mich nicht scheiden lassen, ich werde dir helfen es geheim zu halten und das Strafgeld zu bezahlen. Wenn du deswegen deinen Job verlierst, werde ich dich unterstützen! (…) Viele Frauen haben ihre Einstellung zu Prostitution nach Lei Yangs Fall geändert.微博一女网友写的:我跟团长(老公转者注)说,嫖娼不算什么,你要是给抓了,别害怕,我不会跟你离婚的,会帮你隐瞒帮你交罚款,要是你因为这件事被开除了,我养你(…)许多夫妻因雷洋事件在嫖娼态度上变得一致

 

Es scheint, dass die Vorkommnisse manche Paare näher zusammengebracht haben. Konfrontiert mit staatlicher Polizeigewalt wollen viele Paare in Zukunft zueinander halten, unabhängig davon, ob Prostituierte aufgesucht werden.

 

Gesichtsverlust für die Hochschule?

 

Außerdem hat das Ereignis Fragen zur moralischen Überlegenheit von Hochschulabsolventen aufgeworfen. Das Ansehen der Volksuniversität, an der Lei Yang vor kurzem seinen Abschluss gemacht hat, könnte beschädigt werden. Auf dem Newsblog „Neue Beijinger Nachrichten“ heißt es beispielsweise:

 

Es gibt keine Garantie, dass Absolventen dieser Uni perfekte Moralvorstellungen haben. Die Uni kann nur während der Studienzeit für das Verhalten der Studenten verantwortlich sein und dafür sorgen, dass sie innerhalb der moralischen und gesetzlichen Grenzen bleiben.没有哪个学校保证从自己学校毕业的学生都道德完美,绝无违法犯罪行为 。 学校只能负责学生在校期间的行为尽量不逾越道德和法律的边界

 

 

Angst und Argwohn

 

Insgesamt scheinen die Todesumstände Lei Yangs das Misstrauen gegenüber der Staatsgewalt offengelegt zu haben. Viele Netizens fühlen sich hilflos der staatlichen Willkür ausgeliefert. Dieser Artikel eines nicht genannten Autors, der im Netz viel Anklang gefunden hat, gibt deswegen ironische Ratschläge, wie man den nächsten Besuch im Massage-Salon überlebt:

 

Die erste Sicherheitsregel: Es ist besser, nicht alleine am Massage-Salon vorbeizugehen. Man kann auch laut revolutionäre Lieder singen, ohne jemanden anzusehen – das macht Mut. Oder rennen, das ist die beste Option. Du weisst, warum.安全准则第一条,最好不要经过洗脚屋。 如果为了壮胆,也可以目不斜视,高唱红歌。跑,为上策。 你懂的

 

 

Zum Weiterlesen:

 

 

Oiwan Lam: “Beijing police want you to know that a man who died in custody was accused of soliciting a prostitute”, Hong Kong Free Press, 18.5.2016

 

Mimi Lau: “Family of man who died in police custody in Beijing files complaint alleging abuse”, South China Morning Post, 17.5.2016

 

Didi Kirsten Tatlow: “Chinese Man’s Death in Custody Prompts Suspicion of Police Brutality”, New York Times, 12.5.2016

Kategorien: Gesellschaft, Politik, Tags: , , , . Permalink.

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