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Chinesische Reaktionen auf den Edeka-Opa: Das schlechte Gewissen der Einzelkinder

Opa vermisst seine Familie – auch in China wird das Thema Alterseinsamkeit debattiert; Screenshot Youtube-Video

Er verkörpert das schlechte Gewissen vieler Kinder und Enkel, die Weihnachten fern der Verwandtschaft verbringen: der einsame Opa aus der Edeka-Weihnachtswerbung. Dieser sorgte nicht nur in Deutschland für Gesprächsstoff, sondern auch in China, wo auf den Einzelkindern besonders hoher Druck lastet.

 

Die telefonischen Absagen seiner Lieben für das gemeinsame Weihnachtsfest möchte der allein lebende Großvater nicht hinnehmen, also wird er kurzerhand aktiv: Er täuscht seinen eigenen Tod vor, mit dem Ziel endlich einmal alle Familienmitglieder zu versammeln. Als die Nachkommen im Familiendomizil eintreffen, hat Opa bereits den Festtagstisch gedeckt und allen eine ordentliche Weihnachtsüberraschung verpasst. Überglücklich über sein unerwartetes Auftauchen, feiern sie nun gemeinsam das Fest. So die Handlung der neuesten Werbung der Supermarkt-Kette Edeka kurz zusammengefasst.

 

 

 

Dieser Werbespot, der das brisante Thema der Alterseinsamkeit anspricht, ist nicht nur in Deutschland auf eine breite Resonanz gestoßen. Das Video wurde in China innerhalb einer Woche 20 Millionen Mal angeklickt und u.a. von der South China Morning Post, Hongkongs größter englischsprachiger Tageszeitung, aufgegriffen.

 

Chinas Netzbürger China haben sich daraufhin ebenfalls eine Meinung zu dem Clip gebildet. Netizen Yingzi reagiert kritisch auf das Video:

 

Wir wissen nicht, ob diese Werbung Leute dazu bringt bei Edeka einzukaufen, aber wenn es darum geht Aufmerksamkeit zu erregen, dann ist es ohne Zweifel ein Erfolg.我们不知道这一个广告,是否会吸引你到 EDEKA 消费购买,但如果说这则广告的目的是吸引注意力,那它无疑是成功的

 

Das Thema Alterseinsamkeit ist in China mindestens genauso relevant wie hierzulande. Für die Mitglieder der Ein-Kind-Generation ist es besonders schwierig ausreichend Zeit und Geld für Familienbesuche zu finden. Denn: Wie soll ein Enkelkind vier Großeltern und zwei Elternteilen gerecht werden?

 

Viele Jüngere sind auf der Suche nach besseren Verdienst– oder Ausbildungsmöglichkeiten in Großstädte gezogen. Die Alten bleiben in den ländlichen Gegenden zurück. Große Distanzen, wenige Urlaubstage und finanzielle Sorgen lassen nur selten Besuche zu.

 

Netzbürgerin Xiao hui hui vs. Muzi  beispielsweise kommt aus der Binnenprovinz Anhui und arbeitet im circa 500 Kilometer entfernten Shanghai, wo die Lebenshaltungskosten vergleichsweise hoch sind. Sie erzählt:

 

Ich will immerzu nach Hause fahren, aber ich habe kein Geld – wie soll das gehen?我一直都想回家的,可是没有钱怎么回家

 

Mikroblogger Nüren jiu yao miren ist hingegen anderer Meinung:

 

Ob man viel oder wenig Geld verdient ist überhaupt nicht wichtig, an den Feiertagen sollte man unbedingt nach Hause fahren und Zeit mit den Eltern verbringen!钱挣多少都不重要,逢年过节一定要回家陪陪父母!

 

Auch Weibo-User Fennendaitiandekuaile fühlt sich angesprochen:

 

Für uns als Angehörige der Ein-Kind-Generation, gibt es etwas, das die Eltern glücklicher macht als wenn wir nach Hause kommen?对于唯一一代独生子女的我你他,还有什么比回家更令爸妈高兴的呢?

 

Für Kindesliebe ist es nie zu spät

 

Das konfuzianische Konzept der Kindesliebe ist im chinesischen Kulturkreis nach wie vor tief verwurzelt. Bis heute werden an manchen Schulen die 24 Klassiker der Kindesliebe aus der Yuan-Dynastie unterrichtet. Demgemäß sind Kinder ihren Eltern zu Loyalität, Fürsorge und Gehorsam verpflichtet.

 

Netizen LeYuJia aus Taiwan hat die Edeka-Werbung ebenfalls gesehen. Er fühlt sich diesen traditionellen Werten verbunden:

 

Denkt daran wie lange es her ist, dass Ihr Eure Eltern angerufen habt oder mit ihnen gemeinsam gegessen habt. Erinnert euch an die Wärme der Familie, erinnert euch rechtzeitig an die Kindesliebe, dafür ist es nie zu spät.想起自己有多久没给爸妈打一通电话、陪他们吃饭,想起家庭的温暖,想起及时孝顺父母,从来不嫌晚。

 

Im Grunde genommen sind sich die Netizens einig, dass Familie einen hohen Stellenwert besitzt. Bloggerin Cassiopeia1005 drückt dies so aus:

 

Nach Hause zurückzukehren ist für mich immer das Wichtigste!回家永远是我最重要的事!

 

Doch die Herausforderung, ausreichend Zeit für die ältere Generation zu finden, besteht weiter. Viele Kinder und Enkelkinder finden nur einmal im Jahr den Weg in die Heimat: Zum chinesischen Neujahrsfest.

 

Bereits in 17 Jahren, so prophezeien Wissenschaftler, werden in China 360 Millionen Alte wohnen. Das sind dreimal mehr als heute und entspricht in etwa der heutigen Bevölkerung der USA. Wer sich um all diese Senioren kümmern wird und wo genügend angemessener Wohnraum für sie geschaffen werden soll, sind Probleme, für die Chinas Einzelkinder bald Lösungen finden müssen.

 

Zum Weiterlesen:

 

Angela Köckritz: „Die Einsamkeit der Vielen“, Zeit Online, 29.10.2015.

 

Jobst Rüthers, Kathrin Harms: „Die Last der späten Einsamkeit“,  Kontinente Magazin, 01.05.2014.

 

Chen Wei: „Letzer Ausweg Suizid – Einsamkeit treibt Chinas Senioren in den Tod“, China Radio International 14.10.2014.

 

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