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Sieben-Tage-Woche: Netizens verpassen Chinas größte Militärparade

Militärparade am 3. September 2015 © 天下文章一大抄 via Wikimedia Commons

Stell dir vor es ist Militärparade und keiner feiert mit. Während die kommunistische Führung in Peking den Sieg über die japanischen Kapitalisten zelebriert, müssen viele Chinesen arbeiten. Das ist für Netizens Anlass genug, sich über ein grundsätzliches Problem zu beschweren: zu wenig Freizeit.

 

Am 3. September 2015 fand sich Staatspräsident Xi Jinping im Mao-Anzug über dem Mao-Porträt am Platz des Himmlischen Friedens auf der Ehrentribüne ein. Mit seinem Staatsgast Valdimir Putin verfolgte er die Militärparade, mit der China Japans Weltkriegsniederlage von vor 70 Jahren feierte. Während die Staatsmänner die marschierenden Soldaten, vorbeirollenden Kriegsfahrzeuge und schließlich die freigelassenen Friedenstauben beobachten, müssen viele Chinesen allerdings arbeiten und haben keine Zeit zum Feiern.

 

Dabei hatte man eigentlich an alles gedacht: Affen sorgten dafür, dass keine Vögel die Parade stören würden und die üblichen Unterhaltungssendungen wurden zugunsten von Kriegsdokumentationen und Anti-Japan-Dramen aus dem Fernsehprogramm gestrichen. Nur eines scheint die chinesische Führung vergessen zu haben: Das Arbeitsrecht.

 

Ein freier Tag pro Woche

 

Spielzeug „Made in China“ © Chris via Flickr

Spielzeug „Made in China“ © Chris via Flickr

Laut diesem hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf mindestens einen freien Tag in der Woche und muss auch an Feiertagen Urlaub haben. Dass viele Chinesen allerdings sieben Tage in der Woche arbeiten, ist kein Geheimnis und sorgt sonst nicht für viel Aufsehen.

 

Der 3. September ist ein besonderer Tag in China. Ein Großteil der Arbeitgeber gab ihren Angestellten deshalb frei. Dass andere hingegen arbeiten mussten, fiel diesen besonders auf. Da sie die groß angekündigte Parade nicht im Fernsehen verfolgen und den Jahrestag zum Ende der japanischen Besatzung feiern konnten, beschwerten sich viele. „Blumenblattliebe 99“ zum Beispiel schreibt auf ihrem Mikroblog:

 

An diesem großartigen Feiertag zum Sieg im Widerstandskrieg (gegen die Japaner) muss ich in einer japanischen Firma arbeiten. Ich bekomme den Tag nicht frei um die Freude über den Sieg zu genießen! Arbeitnehmerrecht – dass ich nicht lache! Das ist ein Gesetz für die Chefetage!在这大好的抗战胜利日我在日企不能放假享受这胜利的喜悦! (…) 劳动法对于我们就是个笑话!是给有关部门立的法!

 

Es geht jedoch nicht allein um die verpassten Feierlichkeiten vom 3.September, wie der Post von Netzbürgerin „Zhao Huier“ zeigt:

 

Letzten Herbst beim Mondfest musste ich Überstunden machen. Dieses Jahr während der Siegesfeier muss ich auch Überstunden machen. Ich bekomme keine zusätzlichen Ferien und die Überstunden werden nicht bezahlt. Da muss ich mal fragen: Schützt mich das Arbeitsrecht überhaupt?去年的中秋节,加班,今年的胜利日,加班。没有补休,没有加班费,敢问,还有《劳动法》保护我吗?

 

Diese Arbeitnehmerin fühlt sich genauso benachteiligt wie Netizen „o huanghuangyahuanghuang“. Auch sie muss an traditionell wichtigen Feiertagen wie dem Mondfest oder dem Drachenbootfest arbeiten.

 

Ob Neujahrstag, Tag der Arbeit, Kindertag, Mondfest, Drachenbootfest, Nationalfeiertag oder an anderen Feiertagen: Andere haben frei, aber wir müssen arbeiten. Nur zum Frühlingsfest habe ich drei, vier Tage frei. Das verstößt eindeutig gegen das Arbeitsrecht. Ich möchte (endlich) Ferien und mich ausruhen.元旦节,劳动节,儿童节,端午节,中秋节,国庆节等等节,别人休息我们上班,只有春节休息三四天。这,明明就是侵犯劳动法,我要放假,我要休息~

 

Kapitalistischer Alltag

 

Aus Angst ihre Arbeit zu verlieren nehmen viele Netizens hin, dass sie fast das ganze Jahr durcharbeiten müssen. So wie „Kalter Rauch nach dem Regen“, die über ihren Weibo-Account mitteilt:

 

Heute arbeite ich den achten Tag in Folge, morgen den neunten. Ich bin erschöpft. Das Arbeitsrecht ist völlig nutzlos. Bei uns auf der Arbeit sagen wir immer, wenn du nicht zur Arbeit kommen willst, entlässt man dich. Es gibt genügend Andere, die deine Arbeit machen wollen.今天是连续第八天上班,明天是第九天我的体力透支了. (…) 什么劳动法全无作用,在这里就用一句话告诉你不想上班就走人,你不想做有的是人要做。

 

Gerade am Tag, an dem der Sieg über die japanischen Kapitalisten gefeiert wird, fällt vielen auf, wie widersprüchlich das Leben im heutigen China sein kann. Die Kommunistische Partei, die, wie Xi Jinping in seiner Rede auf der Siegesfeier sagte, weiterhin an den Prinzipien des Marxismus-Leninismus festhalte, tut in den Augen der Netizens nicht genug, um die Arbeitnehmer zu schützen und für gesunde Arbeitsbedingungen zu sorgen.

 

Dieser Ansicht ist auch Weibo-Mitglied „Schneeverwehung in Zhuxi“. Angesichts der Militärparade zieht er diese historischen Lehren:

 

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hat auch mit der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung zu tun. Wie wird man im heutigen China laut Arbeitsgesetzt für Überstunden entlohnt? Heutzutage brauchen wir umso mehr ein China, das sich der tatsächlichen Probleme annimmt. Das jetzige China ist zu heuchlerisch und extrem instabil....二战起因也...和资本主义剥削压迫有关,可现在的中国 (...) 你的加班费在劳动法监督下得到了多少?我们更需要一个务实...的中国,现在的中国太虚伪浮躁夸张

 

Tatsächlich ist Unzufriedenheit am Arbeitsplatz einer der Hauptgründe für Unruhe im Land. Allein im vierten Quartal 2014 vermutet eine Hongkonger NGO 569 solcher Proteste.

 

Will Präsident Xi Jinping diese zukünftig vermeiden, dann sollte er die Beschwerden von Chinas Netizens genauso gut beobachten wie die Militärparade. Von den Vorgaben im Arbeitsrecht allein scheinen sich jedenfalls viele chinesische Arbeitnehmer nicht ausreichend geschützt zu fühlen.

 

 

 

Zum Weiterlesen

 

Katja Pessl: „Streiks in Chinas Schuhfabriken: Arbeiter allein gegen Gewerkschaften, Partei und Unternehmer“, Stimmen aus China, 14.05.2014.

 

Lisa Krauss: „Chinesisch-amerikanischer Konflikt erhitzt die Gemüter – US-Manager von Arbeitern in Fabrik festgehalten“, Stimmen aus China, 13.07.2013.

 

Marie-Luise Abshagen: „Da werd‘ ich lieber Wanderarbeiter – Chinesische Blogger über die Arbeitsmarktsituation für Hochschulabsolventen“, Stimmen aus China, 04.12.2012.

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