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„Ich bin nicht Charlie“: Chinesische Reaktionen auf den Charlie Hebdo-Anschlag

Der französische Slogan und Hashtag „Je suis Charlie“ in einer chinesischen Variante © Gongashan, via Flickr

Der islamistische Terroranschlag auf das Pariser Satireblatt Charlie Hebdo vom 07. Januar 2015 sorgt auch in China für Schlagzeilen und lässt soziale Medien heiß laufen: Charlie oder nicht Charlie?

 

Die offizielle Reaktion fiel erwartbar aus: Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping kondolierte seinem französischen Amtskollegen François Hollande telefonisch und betonte den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus. Ebenso verurteilten die Staatszeitungen Renmin Ribao (People’s Daily) und Huanqiu Shibao (Global Times) den Anschlag scharf. In bester Tradition kann sich dabei allerdings letztere eine Breitseite gegen „den Westen“ wieder nicht verkneifen und verfällt der Schwarz-Weiß-Malerei. Ihr Kommentar kann so gelesen werden, dass der Anschlag eine Folge des Versuchs sei, der übrigen Welt „westliche“ Werte aufzupfropfen. Gegenüber – so wörtlich – „unbeliebten Gesellschaften“ wende der Westen „sprachliche Gewalt“ an. Andere Meinungen hätten global kaum eine Chance, Konflikte seien so vorprogrammiert.

 

Der Westen sollte den Wunsch haben, Konflikte zu entschärfen. Es ist nicht ratsam, seine eigenen Werte ins Zentrum zu rücken und durch Kompromisslosigkeit Eskalation zu fördern.西方应当有缓解冲突的意愿,而不宜以自己的价值为中心,以零和态度推动摩擦升级。

 

Was darf Satire?

 

Mit „Werte“ ist hier vor allem die Pressefreiheit gemeint. Dass westliche Regierungen und Medien diese nun bei ihrer Beurteilung des Anschlags so sehr unterstützten, hält die Huanqiu Shibao für „diskutabel“; zu schützen seien auch die religiösen Gefühle der Muslime. Die Zeitung ignoriert dabei, dass Charlie Hebdo nicht das alleinige Sprachrohr des Westens ist und dass die Schärfe der Karikaturen auch in Europa und den USA kritisiert und über die Grenzen von Presse- und Meinungsfreiheit diskutiert wird, gerade hinsichtlich religiöser Gefühle.

 

„Was darf Satire?“ ist da dieser Tage eine oft gestellte Frage. „Alles“, antwortete der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky. Auf Chinas größtem Kurznachrichtendienst Sina Weibo sehen das viele anders: Dort ist, bei aller Solidarität, Bestürzung über die Ereignisse und Bewunderung für die Kultur öffentlichen Trauerns in Frankreich, häufig auch zu lesen, dass Charlie Hebdo zu weit gegangen sei. „Gewalt“, meint ein Nutzer, „steckt nicht nur in Gewehren und Fäusten, sondern auch in der Sprache.“ David Brooks‘ Kommentar für die New York TimesI am not Charlie Hebdo“ findet eine Menge Zustimmung. Sicher auch deswegen, weil der Stil des französischen Blattes für Chinesen sehr ungewohnt sein dürfte: (Politische) Satire findet in China öffentlich so gut wie nicht statt, kein Magazin könnte es sich erlauben, so provokant wie Charlie Hebdo zu sein. „tufanwang“ differenziert:

 

Ich verurteile terroristische Gewalt, aber ich bin nicht Charlie.我谴责恐怖暴力,但我不是查理。

 

yueyuanhuahaodexingfu“ schreibt:

 

Die Karikaturen von Charlie Hebdo mag ich selbst nicht so sehr. Ich kann auch verstehen, warum manche die Zeitschrift widerlich finden. Aber das ist kein Grund für Terroristen, einfache Bürger zu töten!我个人是不太喜欢查理的某些嘲讽的,也理解有些人为什么会讨厌它,但这都不是恐怖分子屠杀平民的理由!

 

Und in den Kommentarspalten der Huanqiu Shibao schreibt ein anderer Nutzer:

 

Erst war ich ziemlich aufgebracht, aber dann musste ich an die Cartoons dieser Zeitschrift denken… Mannomann… Das ist eine Geschichte, in der sich ein Idiot über einen Verrückten erst lustig macht und dann von diesem erschlagen wird…本来这事发生后我是相当义愤填膺的,但是后来想起来这杂志社出过的漫画。。。哎。。。这就是一个傻子戏弄一个疯子,然后被疯子一砖拍死的故事。。。

 

Einen viel härteren Ton stimmen besonders jene Foren an, in denen sich extreme Vertreter der chinesischen Linken tummeln. Hier steht man knietief im Meinungsmatsch der Nationalisten und Mao-Nostalgiker und sieht, warum das Internet auch Shitnet ist. Mancher beklatscht dort den Anschlag. Auf der Seite „Gesellschaft der Roten Lieder“ (Hongge hui) meint „zd2wpq“ lapidar:

 

Wenn du den Glauben anderer Menschen nicht achtest, dann achten die halt dein Leben nicht.你不尊重别人的信仰,别人就不尊重你的生命。

 

„Krank“, findet es angesichts dieser Gefahr eine Sina Weibo-Nutzerin, dass Charlie Hebdo seine neueste Ausgabe wieder mit einer Mohammed-Karikatur aufmacht. „Zodiac1981“ sieht das anders.

 

Ich unterstütze den „Todesmut“ von Charlie Hebdo, auch im Sterben sollte man lachen. Feiglinge, die sich hinter der Religion verstecken und Menschen töten, wird die Geschichte auf ewig verachten.支持《查理周刊》的“找死”行为,死也要笑着死,历史将永远鄙视那些躲在宗教背后只会杀人的懦夫……

 

Zur Mäßigung rät hingegen Nutzer „mockingbird7“, für ihn hat Satire Grenzen.

 

Meinungsfreiheit erlaubt Satire, aber auf keinen Fall Beleidigungen – für Medien gilt das umso mehr.言论自由下可以讽刺,但绝不包括侮辱,对媒体来说更是如此 。

 

 

 

 

Zum Weiterlesen

 

Benjamin Knight und Greta Hamann: „Die ewige Frage: Was darf Satire?“, Deutsche Welle, 11.01.2015.

 

David Brooks: “I am not Charlie Hebdo”, New York Times, 09.01.2015.

 

tagesschau.de: „Die Terror-Tage von Frankreich – Chronologie der Ereignisse“, 10.01.2015.

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