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Eurorettung statt Menschenrechte? – Rückblick zu Angela Merkels Besuch in China

Vom 2. bis 4. Februar 2012 absolvierte Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Staatsbesuch in China. Ganz oben auf der Agenda stand die anhaltende Schuldenkrise im Euroraum. Berlin hoffte, Peking könne Europa finanziell unter die Arme greifen. Auch Menschenrechte und Meinungsfreiheit waren ein Problemthema. Dem prominenten Menschenrechtsanwalt Mo Shaoping wurde das geplante Treffen mit der Kanzlerin untersagt, er selber in seiner Kanzlei festgehalten. Wie denken Chinas Netizens über den Besuch? Eine Auswahl von Daniel Gerichhausen.

In vielen chinesischen Blogs, die sich mit Merkels Chinareise befassen, dominiert das Thema Wirtschaft. Der Staatsbesuch, der auch Gespräche mit Präsident Hu Jintao und Premier Wen Jiabao einschloss, wird vor allem als Versuch gewertet, chinesische Investitionen in Deutschland, aber auch Finanzhilfen für die angeschlagenen Mitgliedsländer des Euroraums einzuwerben. Uneinigkeit herrscht unter den Netizens unter anderem darüber, wie das momentane Verhältnis der beiden Staaten einzuschätzen ist.

 

Deutschland – Bittsteller oder wichtiger Partner Chinas?

Zu Beginn des Besuchs gibt sich der Medienwissenschaftler und Kritiker Hou Jinliang optimistisch. Für ihn ist Merkels Chinareise ein Ausdruck des engen Verhältnisses zwischen beiden Ländern. Das Hochwachstumsland China und das von der Schuldenkrise bisher kaum beeinträchtigte Deutschland betrachtet Hou als aufsteigende Mächte, deren Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen geboten ist. Inzwischen gehe die Kooperation zunehmend über das rein Ökonomische hinaus.

迎着冬日的寒冷,德国总理默克尔第五次踏上了中国的土地。她是龙年到访中国的第一位大国领导人,亦是默克尔新年欧洲以外的首次重要出访,恰逢中德建交40周年[…]中德经贸关系一直是两国关系的重要支柱,两国国情不同,但没有根本利益冲突,拥有广泛而重要的共同利益。 […]实际上,中德两国关系正由偏重于经贸关系转变为全面的战略伙伴关系。在世界政治舞台上,两国都发挥着越来越重要的作用。

Mit Beginn der Winterkälte hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zum fünften Mal chinesischen Boden betreten. Sie ist die erste Führungspersönlichkeit einer Großmacht, die im Jahr des Drachen [2012] nach China kommt. Außerdem ist es Merkels erster wichtiger Auslandsbesuch außerhalb Europas im neuen Jahr und er fällt genau mit dem 40. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Deutschland zusammen […] Die chinesisch-deutschen Wirtschafts- und Handelskontakte waren stets der wichtigste Stützpfeiler für die bilateralen Beziehungen. Die Situation beider Länder ist verschieden, aber sie haben keine grundlegenden Interessenskonflikte und verfügen über weit reichende und wichtige gemeinsame Interessen. […] Tatsächlich wandeln sich die chinesisch-deutschen Beziehungen gerade von einer übermäßigen Fixierung auf die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu einer umfassenden strategischen Partnerschaft. Auf der Bühne der Weltpolitik spielen beide Länder eine immer wichtigere Rolle.

Während Hou Jinliang Deutschland und China als Partner auf Augenhöhe begreift, befindet sich aus Sicht eines Users mit dem Pseudonym Goldene Schwanengans eindeutig Deutschland in der schwächeren Position. Er spart nicht mit Kritik an den deutschen Forderungen. Nur durch deutliche Zugeständnisse könne Merkel zumindest einen Teil ihrer Ziele durchsetzen. Bei ausreichendem Entgegenkommen der Europäer sei eine finanzielle Hilfe von Seiten Chinas jedoch denkbar.

第一,吸引中国官方和中国金融机构在德国乃至整个欧元区开展投资;第二,争取北京方面支持增强国际货币基金组织的资源,以对付全球金融危机,并投资于欧元区各国国债以及欧元区纾困基金; […]欧元区国家很缺钱,中国有巨额的外汇储备,买一点欧元区国家的国债是可行的,不过,中国更想买的是拥有先进技术的欧洲企业,只要欧元区国家不让中国失望,中国应该不会让它们失望的。[…]如果德国人真想做点有意义的事情,还是去想想办法让三大评级公司把下调的欧元区国家的评级重新调上来吧。[…]德国有求于中国的地方是非常多的[…]。

Erstens wirbt sie dafür, dass offizielle chinesische Stellen und chinesische Finanzinstitutionen in Deutschland und sogar in der gesamten Eurozone Investitionen tätigen. Zweitens setzt sie sich dafür ein, dass Peking eine Aufstockung der Mittel des Internationalen Währungsfonds unterstützt, um die weltweite Finanzkrise anzugehen, und in die Staatsschulden der Eurostaaten sowie den Rettungsfond der Eurozone investiert. […] Den Staaten der Eurozone mangelt es stark an Geld. China hat eine riesige Summe von Währungsreserven. Ein paar Staatsschulden von Euroländern zu kaufen ist möglich. Allerdings möchte China noch lieber europäische Hochtechnologieunternehmen besitzen. Nur wenn die Staaten der Eurozone China nicht enttäuschen, sollte China sie nicht enttäuschen. […] Wenn die Deutschen wirklich etwas Sinnvolles tun wollen, sollten sie besser überlegen, wie sie die drei großen Rating-Agenturen dazu bringen, die Ratings der herab gestuften Euroländer wieder herauf zu setzen. […] Was Deutschland von China verlangt ist extrem viel […].

Nach Abschluss des Besuchs schätzt Wang Yong, Professor und Leiter des Forschungsinstituts für Bankenreform, das Ergebnis des Merkel-Besuchs positiv ein. Auf der als liberal geltenden Webseite QQ stellt er fest, beide Seiten könnten das Treffen als Erfolg werten.

默克尔访华,除了进一步巩固了中德战略伙伴关系之外,还为加强中欧经贸合作营造了更加良好的环境。同时,中德深化合作可以在欧洲范围实现示范效应,进而推动中国在欧洲投资的便利。

Merkels Chinabesuch war nicht nur ein weiterer Schritt zur Konsolidierung der strategischen Partnerschaft von Deutschland und China, sondern hat auch ein noch besseres Umfeld geschaffen, um die chinesisch-europäische Handelskooperation zu stärken. Zugleich kann die vertiefte chinesisch-deutsche Zusammenarbeit im europäischen Rahmen einen Demonstrationseffekt haben und in der Folge chinesische Investitionen in Europa erleichtern.

 

Deutschlands Schwäche und ihre Folgen für die Menschenrechte in China

Der Autor Tan Haojun, der sich in seinem Blog vor allem zu ökonomischen Themen äußert, stellt hingegen fest, Merkel habe aufgrund sachpolitischer Zwänge von einigen ihrer ursprünglichen Positionen und Forderungen abrücken müssen. Mit Genugtuung vermerkt Tan, dass die zuvor eher als China-kritisch aufgefallene Kanzlerin sich, insbesondere in Sachen Menschenrechte, nun deutlich konzilianter zeige. China könne mit neuem Selbstbewusstsein gegenüber Europa auftreten.

首先,默克尔作为对华问题上的强硬派,[…]。如在人权及西藏问题上频频给中国施压、带头会见达赖喇嘛等。此后,她虽然多次访华,但每次访华,态度都不象她的前任那么友好、那么务实。所以,此次访华能够变得 „谦逊“起来,不再那么强硬,还是承受着很大的心理压力的;第二,就在默克尔访华前,德国舆论还要求默克尔能够继续在人权问题上给中国施压,[…]而是缓和多了。可见,她面对舆论的压力也是很大的;第三,也是最重要、最强大的“压力“,那就是欧洲希望中国把超过3万亿美元的外汇储备投入欧元区。 […] 值得注意的是,从此次默克尔顶着“压力“访华,以及访华时态度的转变中,到给了中国一个很好的启示,那就是,在与欧洲的交往中,应当更加自信、更加不卑不亢。

Zunächst ist Merkel eine Hardlinerin in Chinafragen, […]. In der Menschenrechts- und Tibetfrage etwa hat sie wiederholt Druck auf China ausgeübt, angefangen bei ihrem Treffen mit dem Dalai Lama. Danach hat sie zwar mehrfach China besucht, aber keines dieser Male war ihre Haltung so freundschaftlich und pragmatisch wie die ihres Amtsvorgängers. Deshalb konnte sie bei diesem Besuch entweder anfangen, „bescheidener“ zu werden und nicht länger so unnachgiebig zu sein, oder aber großen Druck standhalten. Zweitens hat die öffentliche Meinung in Deutschland unmittelbar vor Merkels Chinabesuch von ihr verlangt, in der Menschenrechtsfrage weiterhin Druck auf China auszuüben, […] aber sie hat sich sehr gemäßigt. Daran kann man sehen, dass auch der Druck der öffentlichen Meinung, dem sie ausgesetzt war, sehr groß war. Drittens, und das ist auch der wichtigste, stärkste „Druck“, hofft Europa, dass China seine Devisenreserven von mehr als drei Billionen US-Dollar in die Eurozone investiert. […] Es ist beachtenswert: Dieser Besuch, bei dem Merkel so viel „Druck“ ausgesetzt war, und der Wandel in Merkels Einstellung haben China eine sehr gute Erkenntnis beschert. Nämlich, dass es im Umgang mit Europa mehr Selbstvertrauen haben und weder übertrieben bescheiden noch allzu überheblich sein sollte.

Auch Yang Bin vom Forschungsinstitut für Marxismus an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften sieht Chinas Position gestärkt, rät aber von übertriebenem Enthusiasmus ab.

中国不应对德国总理默克尔访华求助中国援助欧债危机的低姿态感到飘飘然,应充分吸取当年美国高官访华求助中国援助次贷危机[…]的教训。

China sollte angesichts der bescheidenen Haltung, mit der die deutsche Kanzlerin Merkel bei ihrem Besuch um die Hilfe Chinas in der europäischen Schuldenkrise gebeten hat, keine Selbstgefälligkeit empfinden. Vielmehr sollte es ausreichende Lehren daraus ziehen, dass im selben Jahr hohe amerikanische Offizielle China besucht und um Hilfe bei der Subprime-Hypothekenkrise […] gebeten haben.

Ein konkretes Beispiel für das Pekinger Selbstvertrauen in puncto Menschenrechte wiederum liefert der chinesische Blog „Rechtsschutznetz„. Der Blogger beklagt, dass ein vereinbartes Treffen zwischen Angela Merkel und dem bekannten Menschenrechtsanwalt Mo Shaoping kurzfristig abgesagt wurde.

但2日下午,北京公安局国保大队的警员来到莫少平律师事务所会见莫少平律师,明确表示奉命阻止莫少平律师参加晚上与默克尔的会见。莫少平律师据理再三交涉,但国保说是奉命行事,[…]不能放行,请莫律师配合。在国保警员的坚持阻止下,莫少平律师最终无法成行,只得放弃与默克尔会见,他对此表示难以理解和十分遗憾!

Aber am Nachmittag des 2.[Februar 2012] kam ein Polizist der Abteilung für Staatssicherheit des Amts für öffentliche Sicherheit in Mo Shaopings Kanzlei, um sich mit dem Anwalt zu treffen. Er machte deutlich, dass er den Befehl erhalten habe, Mo Shaoping davon abzuhalten, am Abend an dem Treffen mit Merkel teilzunehmen. Mo Shaoping versuchte wieder und wieder, zu verhandeln, aber die Staatssicherheit sagte, man habe einen Befehl erhalten und führe ihn aus.  […] Man könne ihn nicht gehen lassen und bitte um seine Kooperation. Da der Staatssicherheitsbeamte darauf beharrte, ihn festzuhalten, hatte Mo Shaoping schließlich keine Möglichkeit, aufzubrechen. Er konnte nur das Treffen mit Merkel aufgeben und drückte sein Unverständnis und großes Bedauern darüber aus!

Für die Bundeskanzlerin war der Staatsbesuch indes zumindest ein Teilerfolg. Zwar zeigte sie sich bestürzt darüber, dass Peking das Treffen mit Mo verhinderte. Chinas Zusage, eine Beteiligung am europäischen Rettungsschirm zu prüfen, kann jedoch bereits als Fortschritt gelten.

 

Zum Weiterlesen:

 

Mehr zur Menschenrechtssituation in China: Volksheld und Vaterlandsverräter – Chinesische Meinungen zu Ai Weiwei

 

 

Interview mit Angela Merkel vor ihrer Abreise nach China

 

 

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