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And the winner is… der Status Quo. Nachbetrachtung der Wahl in Taiwan

Bei den taiwanesischen Präsidentschaftswahlen am 14. Januar 2012 wurde der amtierende Präsident Ma Ying-jeou in seinem Amt bestätigt. Ma hatte sich in den vergangenen Jahre außerhalb Taiwans* vor allem durch seine Annäherungspolitik gegenüber dem Festland einen Namen gemacht. Seine Wiederwahl bestätigt, dass die taiwanesische Bevölkerung vorerst einem Kollisionskurs mit dem Festland abschwört. Trotzdem sind die ca. sechs Millionen Stimmen (etwa 46%) für die Oppositionskandidatin und Befürworterin der taiwanesischen Unabhängigkeit Tsai Ying-wen, auch Ausdruck dafür, dass eine China-freundliche Politik bei zukünftigen Wahlen wieder kippen könnte. Festlandchinesische Blogger haben die Stimmung unmittelbar nach den Wahlen festgehalten und gehen den Ursachen für Wahlerfolg und Niederlage der beiden Hauptkontrahenten auf den Grund. Ein Meinungsquerschnitt zusammengefasst von Ella Daschkey und Daniel Soesanto.

Lesen Sie zum Thema auch den Artikel „Präsidentschaftswahlen auf Taiwan – Kollisionskurs oder Status Quo?

虎扑 Hupu [„Tigerattacke“]
[…]但是,越是临近台湾选举,我个人对于台湾选举的关注越是减少 […]。当然,到2012年1月14日下午16点开始公布计票结果的时候,我还是会关注这个选举的结果。毕竟,解决台湾问题是我最关心的中国现实重大政治问题之一。根据凤凰网当日21点54分公布的最终结果,蔡英文得票6093578票,占总得票数的45•6%;马英九得票6891139票,占总得票数的51•6%;宋楚瑜得票369588票,占总得票数的2•8%。[…]考虑到当前岛内外总体形势比较有利于蔡 英文的对手,这个得票数的大部分可以看作民进党为首的台湾绿营的铁票。[…] 我的看法是勉强护住了蓝营的基本盘。考虑到这是在宋楚瑜参选催动了蓝营基本群众的投票热情的情况下的结果,是国民党用“九二共识“来恐吓选民的情况下的结果,这个总得票代表的人数实际上还包括一部分非蓝营的维持现状派的人的选票。[…] 考虑到“九二共识“已经被国民党马英九当局异化,考虑到国民党马英九当局与民进党在政治战略论述和政治战略手段上的日益接近,这个选举实际上是台湾地方政 治势力内部政治整合的又一次政治催化过程。[…] 就是国民党又有了四年的时间来进一步完善其政治战略及政治战略步骤,政治战略资本略有增加。国民党似乎在台湾政治战略格局中的地位稳固了一些,但这是以国民党对民进党为首的地方分离势力的政治妥协为代价的。[…] 尽管国民党马英九 当局仍然在口头上坚持“九二共识“,但是,经过国民党马英九当局加以异化的“九二共识“已经难以遏制和扭转台湾去中国化的趋势。总的来说,台湾去中国化的 趋势比过去大为加深了。这种去中国化的趋势不象过去[…],而是通过以“中华民国“名义进行的地方割据下自成体系的政治体 制、经济体制、文化教育体制渗透到民众的心理中,很难加以消除。从这个意义上说,如果说台湾选举中有胜利者,那么,胜利者可以说是国民党马英九当局,也可以说是包括民进党在内的台湾地方政治势力,但并不见得就是国家统一力量的胜利。现在为马英九胜选欢呼,只不过是重复2008年为马英九胜选欢呼的戏码,最后还是要由希望转为失望的。如果没有意外事件的发生,画饼充饥,望梅止渴,还将延续至少四年。[…]

Je mehr die Wahlen in Taiwan näher rückten, desto weniger habe ich mich persönlich dafür interessiert […]. Als man damit begonnen hatte,  am 14. Januar 2012 um 16 Uhr die ausgezählten Wahlstimmen zu veröffentlichen, war ich natürlich [trotzdem] sehr gespannt auf die Resultate. Das endgültige Ergebnis war um 21:54 Uhr laut der Nachrichten von Ifeng folgendes: Tsai Ying-wen erhielt 6.093.578 Stimmen, womit insgesamt 45,6% an sie gingen; Ma Ying-jeou erhielt 6.891.139 der Stimmen und bekam dementsprechend 51,5%; und James Soong gewann 369.588 Wählerstimmen, was 2,8% entspricht. […] Hält man sich die internen und externen Umstände [Taiwans] vor Augen, war Tsai Ying-wen eine recht gute Kontrahentin. Das Wahlergebnis kann somit als Bestätigung der Führungsposition der DFP im grünen [Oppositions-] Lager gesehen werden. […] Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, dass [Ma’s Stimmen] nicht genügen, um die Basis für das blaue Lager dauerhaft zu halten. Wenn man berücksichtigt, dass es einerseits eigentlich die Wahlteilnahme von James Soong gewesen ist, welche die Leute dazu bewegt hat, ihre Stimmen dem blauen Lager zu geben und die KMT andererseits den „Konsens von 1992″** missbraucht hat, um den Wählern mit einem Schreckensszenario zu drohen, sind diese Zahlen repräsentativ für den Teil der Wähler, der das blaue Lager normalerweise nicht unterstützt, aber dennoch den Status Quo befürwortet. In Anbetracht dessen, dass sich Ma Ying-jeou eigentlich schon vom „Konsens von 1992“ distanziert hat und dass sich KMT und DFP in Bezug auf Abhandlung und Abwicklung der politischen Strategie immer näher gekommen sind, war diese Wahl im Grunde genommen wieder einmal das Ergebnis der Taiwan-internen Machtpolitik. […] Die KMT hat jetzt noch einmal vier Jahre Zeit, ihre politischen Strategien zu vervollkommnen und Kapital für sich daraus zu schlagen. Die Politik der KMT scheint bislang relativ stabil, allerdings ist der Preis dafür [auch], dass sie gegenüber der DFP politisches Entgegenkommen gezeigt und auf lokaler Ebene Macht an sie abgetreten hat. […] Ma Ying-jeou unterstützt den „Konsens von 1992“ auch weiterhin, aber dadurch, dass die KMT ihn mittlerweile so sehr verändert hat, ist die „Sinisierungs-Tendenz“ Taiwans nur noch schwer zu stoppen, bzw. umzukehren. Die Annäherung Taiwans an die VR China ist heute viel stärker als früher […]. Jedoch ist diese [Sinisierung] aufgrund eines eigenständigen [taiwanesischen] politischen Systems, Wirtschaftssystems, sowie Bildungs- und Kultursystems, welche sich unter dem Namen „Republik China“ in die Köpfe der Menschen eingebrannt haben, nur schwer fortzusetzen. Wenn man vor diesem Hintergrund von Sieg und Niederlage bei den Wahlen in Taiwan sprechen möchte, sind KMT und DFP sowohl Gewinner als auch Verlierer, damit ist auch die Taiwan-interne politische Macht der DFP gemeint. Auf der anderen Seite scheint es [durch die Wahl] keinen Fortschritt für eine Wiedervereinigung zwischen Taiwan und der VR China zu geben. Der Wahlsieg von Ma Ying-jeou wird bejubelt, dasselbe Schauspiel des Wahlsiegs von 2008 scheint sich zu wiederholen und am Ende werden sämtliche Hoffnungen doch bloß wieder enttäuscht. Falls nicht irgendetwas Unerwartetes passiert, werden sich die Illusionen und falschen Hoffnungen mindestens weitere vier Jahre hinziehen.

 

„dql-201212“ erkennt in dem zunehmenden wirtschaftlichen Austausch zwischen der VR China und Taiwan auch eine wachsende politische Unabhängigkeit und ist der Ansicht, dass keine Partei zukünftig die Wahl haben wird, die Annäherung zum Festland abzulehnen.

dql-201212
台湾的经济越来越依靠大陆,不论是马英九当选,还是蔡英文或宋楚瑜当选,都没有能力改变这个现状,都必须反对“台独“,承认和维护“九二共识“。

Die taiwanesische Wirtschaft ist immer mehr auf das Festland angewiesen. Egal ob es nun Ma Ying-jeou ist, Tsai Ying-wen oder James Soong, der die Wahlen gewonnen hat. Keiner von ihnen hat die Macht, dies zu ändern. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich der „Unabhängigkeit“ zu widersetzen und den „Konsens von 1992“ anzuerkennen.

 

„Sao Chen’ai“ meint ebenfalls, dass, dadurch dass die Unabhängigkeit keine realisierbare Alternative darstelle, sich auch die DFP von dieser Rhetorik distanzieren müsse, wenn sie weiterhin als politische Partei in Taiwan ernst genommen werden möchte.

扫尘埃 Sao Chen’ai [„Staubfeger“] 民进党是台独党,在政治上不可能和大陆对抗,台独永远不能实现, […] 这次蔡英文没有达到目的,是因为台湾的百姓大多数已经看穿了台独不能实现,反而会有 巨大的风险,不想再对她投资了。 […]

Die DFP ist die Partei der Unabhängigkeit. [Aber] als politische Partei kann sie sich nicht dem Festland widersetzen, sodass die Unabhängigkeit Taiwans eigentlich unerfüllbar bleiben wird. […] Dass Tsai Ying-wen ihr Ziel dieses Mal nicht erreicht hat, liegt daran, dass die Mehrheit der taiwanesischen Bevölkerung mittlerweile realisiert hat, dass eine Unabhängigkeit Taiwans wohl eher illusorisch und eine viel zu großes Risiko ist, welches sie nicht bereit sind einzugehen. […]

 

Auch für „Ge’er Cao“ sind die Gründe für Tsai Ying-wen’s Misserfolg eindeutig:

戈尔草 Ge’er Cao
[…] 根本原因看似这次选举失败是没有承认“92共识“,其实这只是现象,其中深层次原因还是因为民进党顽固的坚持台独路线,坚 持台独路线,因此不能承认“92共识“,导致选举失败!这次失败,不算是蔡英文的失败,根本就是民进党的失败。 […] 如果民进党不能反思自己的台独路线,民进党在台湾将永远的输下去!李灯灰办不到的台独,陈水扁也办不到,蔡英文更没有办到,后面的民进党主席依然办不到。[…] 昨天民进党败选后,蔡英文终于很客观的发表了败选感言,还非常有担当的辞去了民进党主席。客观的说,她在昨天的表现非常理性!这是蔡英文在选举中没有过的 理性,如果民进党能够理性的反思,彻底抛弃走不通的台独路线,回归到一个中国的原则上来,民进党还有希望![…] […] Der wirkliche Grund für Tsai Ying-wen’s Niederlage liegt darin, dass sie den „Konsens von 1992“ [offiziell] nicht anerkennt. Das ist aber bloß die eine Seite. Die viel tiefer greifende Ursache liegt darin, dass die DFP weiterhin engstirnig an der taiwanesischen Unabhängigkeit festhält. Und weil sie darauf beharrt, kann sie den „Konsens von 1992“ nicht unterstützen, was letztendlich zur Wahlniederlage geführt hat! Dieser Misserfolg ist aber eigentlich keine persönliche Niederlage für Tsai Ying-wen, sondern die Niederlage der gesamten DFP. […] Wenn die DFP ihren Weg der taiwanesischen Unabhängigkeit nicht noch einmal überdenkt, wird sie in Taiwan für immer verloren sein! Lee Teng-hui*** hat die Unabhängigkeit nicht realisiert, Chen Shui-bian*** hat sie nicht realisiert, Tsai Ying-wen wird sie erst recht nicht realisieren und auch nicht die kommenden Vorsitzenden der DFP. […] Nach der gestrigen Wahlniederlage, hat sich Tsai Ying-wen ganz sachlich geäußert und man konnte eine äußerst resignierende DFP-Vorsitzende sehen. Objektiv betrachtet hat sie sich gestern sehr vernünftig verhalten; so vernünftig wie während des gesamten Wahlkampfes nicht. Wenn die DFP nun nochmal über alles nachdenkt, die Idee einer Unabhängigkeit Taiwans aufgibt und zur Ein-China-Politik zurückkehrt, wird es wieder Hoffnung für sie geben! […]

 

„Bo Lingfan“ interpretiert den Wahlsieg von Ma Ying-jeou als eine Bestätigung dessen, dass auch die taiwanesische Bevölkerung mittlerweile eine Wiedervereinigung mit dem Festland befürwortet.

驳领凡 Bo Lingfan
马英九的连任,充分说明台湾和平统一,已经日益成为台湾民众人心所想,再要独立是不可能了。马英九第一任向大陆初步开放,已经使台湾民众初偿甜头,再来一任,深化交往。 […] 进一步开放,台湾民众就完全消除了过去的误导和不良猜测,发现改革后的大陆竟是与台湾那样相像,还会越来越像 […]。进一步开放,大陆盼统一的热情接纳和支援 […]。民进党要搞独台,台湾的民众,除了少数极端分子,没有人会赞成。恐怕连民进党要想执政,非抛开独台主张不可,否则永远选民占不了多数。就算执政,也不好像从前了,因为已骗不了民众 […]。否则,民众就要轰他们下台。 […]

Die Bestätigung von Ma Ying-jeou in seinem Amt ist ein Hinweis darauf, dass Taiwan eine friedliche Wiedervereinigung möchte und dass dies immer mehr auch ein Wunsch der taiwanesischen Bevölkerung ist, was eine Unabhängigkeit undenkbar macht. Während Ma’s erster Amtszeit hat sich Taiwan gegenüber dem Festland geöffnet, der taiwanesischen Bevölkerung einen Vorgeschmack gegeben und den Kontakt verstärkt. […] Ein weiterer Schritt in Richtung Öffnung bedeutet, dass die Taiwanesen vergangene Missverständnisse und Vorurteile ablegen könnten. Sie werden feststellen, dass sich Taiwan und die VR China im Grunde genommen immer ähnlicher geworden sind. Dies bedeutet schließlich auch, dass das Festland [endlich] mit dem Gedanken der Wiedervereinigung spielen kann […].Die DFP will die Unabhängigkeit Taiwans, aber außer ein paar wenigen Extremisten gibt es unter der taiwanesischen Bevölkerung dafür keine Befürworter. Wenn die DFP wirklich wieder zur Regierungspartei werden möchte, muss sie den Gedanken der Unabhängigkeit ablegen, da sie ansonsten nie die Mehrheit der Wählerstimmen ergattern wird. Auch wenn sie anstrebt, erneut an die Macht zu kommen, wird es nicht wie früher sein, weil sie das Volk schon damals erfolglos getäuscht hat […]. Und wenn sie es doch schaffen sollte, wird das Volk sie schon von ganz allein aus dem Amt jagen. […]

 

Es bleibt bei den letzten beiden Aussagen jedoch offen, welche Rolle die DFP – sollte sie ihr wesentliches Charakteristikum und ihr Streben nach der formellen Unabhängigkeit Taiwans aufgeben – überhaupt noch in der taiwanesischen Parteienlandschaft spielen soll. Zumal die Einschätzung, dass es sich bei den Unterstützern lediglich um eine Minderheit handele, fragwürdig ist. „Xian He“ schreibt abschließend resignierend:

闲鹤 Xian He [Beschäftigungsloser Kranich] 两岸的交往、交流更加广泛和深入,各方面的融汇将更加细腻,两岸的依存关系将有较大的增强,两岸的互信可能得到较大提高。但是,中国两岸分治对立的情况在近4年还难以化解 […]。

Kontakt und Austausch zwischen beiden Seiten der Taiwan-Straße haben sich vertieft und das Entgegenkommen wird noch weiter gehen. Die derzeitige Beziehung zwischen den beiden Seiten wird die Abhängigkeit voneinander vergrößern und das gegenseitige Vertrauen verbessern. Allerdings wird das Problem, dass sich auf beiden Seiten zwei grundverschiedene Regierungen gegenüber stehen, in den kommenden vier Jahren wohl nur schwer zu lösen sein. […]

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* Taiwan = offiziell: Republik China auf Taiwan

** Im Konsens von 1992 einigten sich Vertreter der Kommunistischen Partei und der Kuomintang auf das „ein-China-Prinzip“. Demnach erkennen beide Seiten an, dass es nur einen chinesischen Nationalstaat gibt. Allerdings ließen sie sich gegenseitig Interpretationsspielraum, wer nun genau den chinesischen Nationalstaat repräsentiert.

*** Lee Teng-hui (KMT) war Präsident der Republik China auf Taiwan von 1988-2000 und Chen Shui-bian (DFP) von 2000-2008. Beide sympathisierten mit einer taiwanesischen Unabhängigkeit, wobei Chen diese auf radikalere Weise verfolgte.

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