Es ist eine Geschichte der neuen chinesischen Internetwelt.Bis vor kurzem waren das populärste Chatprogramm QQ von der Firma Tencent und der Virenscanner 360 enge Partner und haben viele Dienstleistungen gemeinsam angeboten. Nach Beschwerden einiger QQ-Nutzer kritisierte 360 jedoch das Sicherheitsmodul von QQ. Dieses werde von QQ benutzt, um persönliche Informationen der Nutzer zu infiltrieren. Im Gegenzug, konterte QQ, habe ein Programm von 360 die Sicherheitsfunktion von QQ angegriffen. Der Streit eskalierte weiter – eine neue Mitteilung von QQ begrüßte die Nutzer vor kurzem, dass QQ nicht mehr funktionieren werde, wenn gleichzeitig auch 360 auf dem Computer installiert sei. Der Desktop der Nutzer wurde zum Kriegsschauplatz auf dem eine Entscheidung erzwungen werden soll: QQ oder 360? Inzwischen sind die Unternehmen vor Gericht gezogen. Das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie hat von beiden eine offizielle Entschuldigung gefordert. Laut Blogger You Lika liegen die Fronten eigentlich ganz woanders: bei der Privatsphäre im Internet und der Verantwortung der Internetunternehmen. Eine Ãœbersetzung von Jingjie Hou und Jost Wübbeke.
Es handelt sich um einen Interessenkampf zwischen 360 und QQ […] Der erste Internetkrieg der Welt auf Leben und Tod wird auf abermillionen Desktops ausgetragen. […] Die Internetnutzer erleben persönlich das Unheil und die Unvorhersagbarkeit dieses digitalen „Abenteurerlandes“. Der intensive Kampf zwischen Tencent und 360 hat innerhalb und außerhalb der Branche große Aufmerksamkeit erfahren […] Zhou Hongwei [der Chef von 360, A.d.Ãœ.] hat angegeben, dass im Duell mit Tencent weniger als 20% der Nutzer verloren wurden. Ãœber den Nutzerverlust bei QQ ist nichts bekannt, aber nach Baidu* haben Instant Messenger wie MSN, Mobil-Feixin und Xinlang UC einen großen Zuwachs an Aufmerksamkeit bekommen. Tencents Aktien sind am 13. November von 189 Hongkong Dollar wieder auf den Wert von 178 Hongkong Dollar vom 4. November abgesackt […] Einen zu großen Vorteil konnte sich Tencent QQ offensichtlich nicht erarbeiten.
Ein Blick in die Vergangenheit von Tencent
Blicken wir einmal zurück, wie Tencent seine Hegemonialstellung aufgebaut hat […] In Zeiten knapper Finanzmittel wandte sich Ma Huateng**  an die Firma Xinlang. Hätte Xinlang damals Tencent gekauft, hätte sich das [chinesische] Internet heute ganz anders entwickelt. Tencent ist [für mich] eine sehr bewundernswerte Firma. Auf dem Markt der Instant Messenger hat Tencent schon einmal einen Kampf mitgemacht. Damals schenkten sich UC, Paopao und sogar Shengda`s Quanquan wirklich nichts. Anders als bei diesen Firmen  gehört Instant Messaging aber zum Kerngeschäft von Tencent. […]  Als die anderen Unternehmen ihre [Brachen-] Schwerpunkte gefunden hatten und träge wurden, verbesserte Tencent ständig sein Produkt. Ich denke QQ ist seit 2009 zum besten Instant Messenger geworden. Verschiedenste Dienstleistungen befriedigen die Bedürfnisse der normalen Nutzer im höchsten Maße.
Kein Bewusstsein für Privatsphäre
Wenn Neulinge ins Internet kommen, bietet ihnen Tencent sehr vielfältige Inhalte. Mit dem Computer kann man plötzlich mit Menschen auf der anderen Seite der Welt kommunizieren. Als meine Kommillitonen sich bei QQ registrierten, sagten sie mir ganz aufgeregt ihre Nutzernummer und dann auch direkt ihre Passwörter. Von Anfang an hatten Chinas Internetbenutzer kein Bewusstsein für Privatsphäre. Später registrierten sich immer mehr Freunde bei QQ, aber sie verstanden fast gar nichts vom Internet. Damals setzten sie ihre QQ-Nummer mit ihrer Internet-Nummer gleich. Als wäre QQ das Internet. Selbst heute, ist für Internet-Nachzügler QQ Alles […]. Anders gesagt, der Beitrag von QQ zum chinesischen Internet ist wirklich außergewöhnlich. Doch auch Internetnutzer werden erwachsen. Schlussendlich werden die alten Internetnutzer diese  Produkte [von QQ] nicht mehr weiter gebrauchen und die Neuen werden das Internet auf ihre eigene Art kennenlernen. Sie werden merken, dass QQ nur ein Chat-Programm ist und dass das Internet noch viel mehr Funktionen hat […] Das Internet ist ein Geschöpf der Information. Das unkomplizierte Angebot und die einfache Nutzung von Informationen sind der wirkliche Sinn des Internets.
Die frühe chinesische Öffentlichkeit hat viele Internetmythen geschaffen. Wenn Menschen, hoffnungsvoll auf das Internet, hier in die virtuelle Welt eintreten, werden sie feststellen, dass sich das einst vertraute Tencent in fast alles einmischt. Die negativen Gefühle gegenüber Tencent breiten sich langsam aus. Es handelt sich hier also unausweichlich um eine Frage der Privatsphäre. Haben wir eine Privatsphäre? Wie genau bestimmt man die Privatsphäre? Diese Frage wurde bei Google und Facebook auch diskutiert. Selbst in Europa und den USA, wo es relativ strenge Gesetze gibt, ist das bei der Verletzung der Privatsphäre durch Internetfirmen eine schwer zu beantwortende Frage! Tencent selbst hat die Existenz von Super-Namenslisten zugegeben. Aber in wieweit hat das den Nutzern geschadet? Die Antwort ist nicht eindeutig. Die Verletzung der Privatsphäre ist in anderen Bereichen noch fataler und sollte [meiner Meinung nach] viel mehr Aufmerksamkeit erhalten. Allein 360 ist für sein Bewusstsein für die Nutzerprivatsphäre bekannt.
Die Schlupflöcher der chinesischen Gesetze
Was die [von Tencent] kopierten Softwares angeht und dass sie [die ursprünglichen Softwares, A.d.Ãœ.] von Tencent verdrängt wurden, zeigt nur, dass ihre eigenen Softwares nicht gut genug waren. Wären sie es gewesen, warum haben die Nutzer sie dann nicht gewählt? […] Wenn Tencent dir etwas nachgemacht hat, hast du es dann nicht auch ausländischen Firmen nachgemacht?
360 kann in der Tat die Öffentlichkeit nutzen. Aber ich denke, das dies nur ein kleiner Gewinn für 360 ist. Egal ob Tencent oder 360, beide Firmen haben die Schlupflöcher einer unreifen chinesischen Gesetzgebung genutzt. Beide nutzen einige in der chinesischen Gesellschaft vorhandene Probleme aus, um sich selbst weiterzuentwickeln.
Das Gesetz ist in einigen Fragen sehr ungenau und so kann Tencent ohne Furcht ein Monopol unterhalten und Software kopieren. Selbst wenn sie 100% andere Leute nachahmen ist das egal. Und 360? Weil andere Internetfirmen sich nicht für die Erfahrungen der Nutzer interessieren, schafft jedes Program auf dem Computer der Netizens einen großen Haufen Datenmüll. Fast jedes Program schiebt sich nach der Installation ganz von selbst in den Autostart, nicht wahr? Zhou Hongwei hat Wert auf diesbezügliche Nutzerinteressen gelegt und hat alle Kräfte daran gesetzt, das Sicherheitsprogramm 360 zu schaffen. Wie bereits gesagt ist es schwierig QQs Verhalten rechtlich zu fassen und entsprechend ist es nach wie vor auch schwierig zu beurteilen was 360 gemacht hat. […]
Ich beginne langsamd zu begreifen, dass die Gesellschaft sich ununterbrochen weiterentwickelt und sich das Verhalten der Bürger verbessert. Der Einfluss der Öffentlichkeit ändert sich, er wird nicht schwächer. Die Öffentlichkeit wird nicht noch mal eine falsche Wertvorstellung vorgeben, stattdessen wird sie selbst zu einem Instrumentarium der Netizens. Wie gut ein Produkt ist, hängt von der Volksmeinung ab. Ob sie den Interessen der Nutzer entsprechen, ist das Wichtigste. […]
Brauchen wir in Zukunft noch QQ?
Ich denke, dass viele meiner Freunde an einem bestimmten Punkt vom chatten gelangweilt sind, aber es gibt immer noch neue Nutzer, die enthusiastisch mit dir chatten wollen. Vielleicht deine Neffen oder deine Eltern […]. Kunden sind nicht auf Landesgrenzen beschränkt. […] Angenommen unsere 500 guten Freunde bei QQ sind auch bei MSN. Warum sollten wir dann noch Nachrichten bei QQ hinterlassen? Wenn ich Verkäufer bei Taobao bin und meine Käufer und Kunden alle bei Aliwangwang*** sind, muss ich dann noch einen QQ-Account eröffnen? In manchen Situationen brauchen wir Instant Messenger wirklich.  Wenn ich mich nur mit einem Account anmelden kann, meine privaten Informationen verborgen bleiben und ich zwischen vielen Identitäten wechseln kann, dann, können wir zumindest theoretisch die Abhängigkeit von QQ beenden. Wenn sich die Effektivität der digitalen Produkte in der Zukunft verbessert, dann werden Browser wohl alle nötigen Funktionen umfassen, uns intelligente Programme helfen die passenden Menschen zu finden und uns vor unwichtigen Nachrichten abschirmen. Dann ist Instant Messaging nur noch eine von vielen Funktionen des Internets. Die Frage ist: Brauchen wir dann noch QQ?
Stellt Forderungen!
Ich glaube [dieses Szenario] ist keine Utopie. Vor mehr als zehn Jahre hätte wohl keiner die heutige Entwicklung des Internets erwartet. Deswegen ist es besser, in diesem Technologiebereich mehr Fleißarbeit zu leisten, als Zeit mit Medienmanipulation zu verschwenden. Vielleicht hast Du die nächste Software, das nächste Google, das nächste Facebook. Ich bin sicher, dass die diskursive Macht der Nutzer ununterbrochen stärker wird und dass Netizens in diesem Internet-Krieg [eigene] Forderungen stellen sollten.
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*die größte Chinesische Suchmaschine und Online-Lexikon, A.d.Ü.
**einer der Gründer von Tencent, A.d.Ü.
*** die chinesischen Gegenstücke zu Ebay A.d.Ü.
Sehr interessant – die Unternehmen haben ebenfalls eine Interesse an Datenschutz und Privatsphäre im Social Web, wenn auch hauptsächlich um sich Marktanteile zu sichern.
Danke für das positive Feedback.
Beste Grüße
Ich – aus Hamburg / Germany- benutze qq täglich, um mit Leuten in China zu kommunizieren, Bilder und Dateien zu versenden usw.
So einfach! Da könnte sich MSN, skype oder der ganze Amischeiß was lernen. Mir sind jedenfalls ein paar chinesische Cookies lieber, als mich google+Co ausspionieren zu lassen.
Vielen Dank für den Kommentar. Es gibt sicherlich einige Netizen die lieber qq benutzen als msn und co. Auch Weibo wird ja immer beliebter. Die Sicherung der Privatsphäre ist allerdings leider bei den meisten web tools fragwürdig. Weiterhin viel Spaß beim Lesen von SAC, wir freuen uns immer über Kommentare und Hinweise.
Besten Gruß von der Redaktion