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Die chinesische Schrift – Herausforderung und Faszination

Xu Bings Version von Wiki – die einzelnen Buchstaben sehen aus wie Bestandteile eines Schriftzeichens. © Prattflora, via Wikipedia

Die chinesische Schrift gilt als kompliziert und spannend zugleich. Auch in China, wo sie zum Alltag gehört. Dort stellen die Schriftzeichen die Menschen vor immer neue Aufgaben, ziehen sie aber auch in ihren Bann.

 

In China ist „Schriftzeichenheld“ (hanzi yingxiong 汉字英雄) derzeit eine der beliebtesten Fernsehsendungen. Sie ist so etwas wie ein chinesischer Buchstabierwettbewerb. In der Quizshow treten Kinder und Teenager an, um sich den Titel „Schriftzeichenheld“ zu verdienen. Um das zu schaffen, müssen sie das passende Schriftzeichen zu dem Wort aufschreiben, das der Moderator ihnen vorgibt. Oder sie müssen möglichst viele Zeichen zu einem Thema finden. Zum Beispiel: „Bewegungen, die man mit dem Fuß machen kann“. Die Schüler kamen auf mehr als 40 Stück.

 

Klangreich und farbenprächtig有声有色“ findet Bloggerin „Reis liebt gelbe Katze“ die Sendung. Bei insgesamt mehr als 60.000 Zeichen, von denen mindestens 2.000 für den täglichen Gebrauch nötig sind, sind das schließlich keine einfachen Aufgaben. Zu jedem einzelnen Zeichen müssen immer auch Aussprache(n), Bedeutung(en) und Strichreihenfolge auswendig gelernt werden. Hinzu kommt, dass die meisten Worte nicht aus einem, sondern aus zwei oder drei Schriftzeichen bestehen. Man muss sich also auch die Kombinationsmöglichkeiten einprägen.

 

Die lange Tradition der Schriftzeichen

 

In China sind viele Stolz auf ihre Schrift. Sie verkörpert schließlich chinesische Kultur und Geschichte. Der Schriftsteller „Zhang Ruitian“ kritisiert „Schriftzeichenheld“ deshalb. Dort ginge es nur darum, möglichst viel auswendig zu lernen. Der kulturelle Hintergrund spiele dabei gar keine Rolle.

 

Zeichen lesen und schreiben ist nur eine angeeignete Fähigkeit. Der wahre Wert und Zweck der Zeichen erschließt sich aber erst bei einem profunden Verständnis für die Kombinationen und Konnotationen der Schriftzeichen.识字、写字仅是技能,深入理解汉字组合的语意,洞悉汉字背后的思想指向,才是汉字真实的价值与目的。

 

Jemand, der sich immer wieder mit dem Facettenreichtum der chinesischen Schrift auseinandersetzt, ist der Künstler Xu Bing. Er verformte zum Beispiel lateinische Buchstaben soweit, dass sie in kleinen Quadraten angeordnet auf den ersten Blick wie Schriftzeichen erscheinen. In einem Essay erläutert Xu Bing徐冰, warum das chinesische Schriftbild Gegenstand seiner Kunst ist:

 

Jeder gebildete Mensch muss mehrere Jahre damit verbringen, um einige Tausend Zeichen auswendig zu lernen. Jedes Mal wenn er ein Zeichen schreibt, ist es als ob er eine Zeichnung oder ein kleines Gemälde erschafft. Seit tausenden von Jahren haben Generationen von Chinesen unzählige dieser Bilder erschaffen und gelesen. Wie könnte sich das nicht auf einen auswirken.每一個接受教育的人都要花上幾年時間牢記幾千個字型,每寫一個字,就完成了一張結構圖,就畫了一幅小畫。祖祖輩輩幾千年,中國人畫了多少幅圖,讀了多少幅圖,怎麼能沒有影響。

 

Schwierigkeiten im Computerzeitalter

 

Dass mit dieser Tradition bald Schluss sein könnte, befürchten nicht wenige. Durch moderne Technik haben sich die Schreibgewohnheiten im Alltag verändert. Mit der Hand schreibt kaum noch jemand.

 

Um eine SMS zu schreiben, tippt man die Umschrift in lateinischen Buchstaben und wählt dann das richtige Zeichen aus © BBC Screenshot, Lisa Krauss

Um eine SMS zu schreiben, tippt man die Umschrift in lateinischen Buchstaben und wählt dann das richtige Zeichen aus © BBC Screenshot, Lisa Krauss

Beim „Tippen“ der chinesischen Schrift, auf dem Smartphone zum Beispiel, muss man die lateinische Umschrift eingeben und dann nur noch das richtige Zeichen erkennen und auswählen.

 

Schriftzeichen lesen können ist etwas anderes als sie schreiben zu können. Dazwischen liegt ein Lernprozess.人的识字和写字并不是同步的. 从认识到会写需要一个过程. , warnt Blogger „Qi Qian Schule“.

 

Doch weil es im Alltag eben nicht mehr unbedingt notwendig ist, können Viele die Zeichen nur noch erkennen, aber nicht mehr selbst produzieren.

 

Dass dies zu einem großen Problem werden kann, hat auch die chinesische Regierung erkannt. Sie setzt sich schon lange für die Alphabetisierung im eigenen Land ein. Seit die Kommunistische Partei die Macht übernahm, stieg die Anzahl derjenigen, die lesen und schreiben können. 1949 galten noch 80 Prozent der Chinesen als Analphabeten. Ende der 1990er Jahre hingegen konnten bereits 80 Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben.

 

Kalligraphie

Schüler im Kalligraphieunterricht: Eine schöne Handschrift wird in China geschätzt © BBC Screenshot, Lisa Krauss

Damit dieser Trend sich nicht umkehrt, haben einige Lokalregierungen nun mehr Schriftzeichenunterricht an den Mittelschulen angeordnet. Blogger „Du Yongdao“ hat ebenfalls eine Idee, wie man dem Problem Herr werden kann:

 

Wenn ‚Schriftzeichenheld‘ helfen will, die Schreibfähigkeiten unserer Gesellschaft zu verbessern, dann sollten sie Worte auswählen, die wir oft verwenden, aber trotzdem schnell falsch schreiben. So könnte die Sendung positiven Einfluss auf die Schreibgewohnheiten unserer Gesellschaft haben.要有助于提高社会用字水平,就应当选择社会生活中经常使用而人们又容易写错的字词。这样才能在对社会语文生活发挥积极的作用。

 

So gesehen hat die Unterhaltungssendung einen ernsten Hintergrund. Denn eigentlich muss in China jeder ein „Schriftzeichenheld“ sein, um sich im Alltag zurecht zu finden und einer Arbeit nachgehen zu können.

 

 

 

Zum Weiterlesen

 

Celia Hatton: „When Chinese children forget how to write”, BBC China Blog, 27.04.2014.

 

Oliver Pöttgen: „China hautnah“, Stimmen aus China, 16.05.2014.

 

Alicia Zhang: „Contestants show Character in Chinese TV Show”, The World of Chinese, 22.08.2013.

 

Wolfgang Fromm: „Bildung fängt im Kindergarten an – Probleme chinesischer Eltern bei der Kindergartensuche“, Stimmen aus China, 24.04.2013.

 

 

 

Zum Weiterschauen

 

BBC: „Können Chinesen noch Schriftzeichen schreiben?“, 27.08.2014 (Chin./Engl.).

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