Neues Psychiatrie-Gesetz – Kann Missbrauch verhindert werden?

Neues Psychiatrie-Gesetz – Kann Missbrauch verhindert werden?

Zwangseinweisung geistig gesunder Menschen in Psychiatrien ist seit Jahren ein Problem in China - das neue Gesetz soll diese Willkür verhindern © Wikimedia Commons

Am 1. Mai 2013 trat das Psychiatrie-Gesetz in China in Kraft, nachdem es vor 27 Jahren entworfen worden war. Der Missbrauch von psychisch kranken Menschen ist in China keine Seltenheit. Durch das Gesetz sollen die Rechte der Patienten gestärkt werden. So ist es von nun an Pflicht, vor der Einweisung in eine Psychiatrie, eine offizielle ärztliche Diagnose vorzulegen. Chinesische Netizens diskutieren über Wirkung und mögliche Grauzonen des neuen Gesetzes.

 

In China gibt es mittlerweile offiziell mehr als 100 Millionen Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden. Das entspricht acht Prozent der chinesischen Gesamtbevölkerung. Viele dieser Patienten sind jedoch durch Repressalien von den örtlichen Behörden zwangsweise in eine Psychiatrie eingewiesen worden, z.B. weil sie eine Petition in Peking einreichen wollten, um örtliche Korruptionsfälle zu entlarven. Die Einweisung in psychiatrische Kliniken auf Grund solcher Banalitäten erhitzt auch die Gemüter der chinesischen Netzgemeinde.

 

Gesetz schützt nicht vor Machtmissbrauch

 

An vielen Orten in China kooperieren Psychiatrien mit den örtlichen Behörden, um sogenannte „Verräter“ zu entlarven. Netizen Fu Ruisheng sieht in dem neuen Gesetz keinen Erfolg, wenn der Staat den Machtmissbrauch nicht in den Griff bekommt.

 

Der Ursprung des Problems ist entweder Machtmissbrauch oder die Verletzung der Rechte. (…) Der größte Fortschritt des Gesetzes ist, dass dadurch die unfreiwillige Aufnahme in die Psychiatrie abgeschafft werden soll. Jedoch müssen wir darauf achten, wer entscheidet und wie entschieden wird bzw. wer durchführt und wie durchgeführt wird.其病根往往不是权力滥用,就是权力的缺位。(...)虽然此次法律最大的进步之一是删除了“非自愿住院”,但我们还需关注由谁决定、如何决定以及由谁执行、如何执行。

 

Lässt das Gesetz zu viel Spielraum?

 

Das neue Gesetz zur psychischen Gesundheit wird wegen seiner Grauzonen von vielen Netizens als Täuschung angesehen. Der große Interpretationsspielraum verbessert die Situation von Petitionsstellern aus Sicht Zhang Tianweis, Zeitungsredakteur aus Peking, nicht, sondern gefährdet diese vielmwehr.

 

Der Klausel „die stationäre Behandlung der psychisch kranken Menschen ist den Patienten überlassen“ folgt ein langer „Rattenschwanz“. So heißt es z.B. für Ausnahmefälle: „Psychisch kranke Menschen, die ihr eigenes Verhalten nicht erkennen oder kontrollieren können und Gefahr für sich, die Öffentlichkeit oder andere Personen und Störung der öffentlichen Ordnung darstellen, können unfreiwillig stationär behandelt werden.“ Fallen unter diese Leute,  „die ihr eigenes Verhalten nicht kontrollieren können“ demnach nicht auch Petitionssteller, die jahrzehntelang hartnäckig für ihre Rechte gekämpft haben? Stellt ihr Verhalten nicht eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar? Bisher ist die Störung der öffentlichen Ordnung immer als Grund herangezogen worden, um geistig gesunde Menschen zwangsweise in die Psychiatrie einzuweisen. Also, keine falschen Erwartungen!在“精神障碍的住院治疗由患者自主决定”的条款后面,不得 不加了一条长长的例外后缀:“只有精神障碍患者不能辨认或者不能控制自己的行为,且有伤害自身、危害公共安全或者他人人身安全、扰乱公共秩序危险的,才能 对患者实施非自愿住院医疗。” 而按照这一条款,那些固执地几十年坚持上访的人,算不算“不能控制自己的行为”?他们的行为算不算具有“扰乱公共秩序危 险”?事实上,以往的所有“被精神病”事件,都是以“扰乱公共秩序”而被精神病院强行“收治”的。

 

Wang Lin, Professor an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Hannan University, betont, dass die Öffentlichkeit große Erwartungen an das Gesetz habe. Schließlich sei es ein Gesundheitsgesetz, das die Rechte von psychisch kranken Menschen schützen soll.

 

Der Knackpunkt zur Verhinderung der Zwangseinweisung von geistig gesunden Menschen ist nicht „das Prinzip der (freiwilligen) stationären Behandlung“, sondern die Regulierung der Ausübung öffentlicher Gewalt. Das Gesetz zur psychischen Gesundheit beschränkt offensichtlich nicht die öffentliche Gewalt, sondern die Macht der Kliniken und der Fachärzte. (…) „Das Gesetz zur psychischen Gesundheit“ ist ausschließlich ein Gesetz zur Gesundheit und zur Gewährleistung der Rechte psychisch Kranker, aber kein Verwaltungsrecht, welches die öffentliche Gewalt beschränkt (…).遏制“被精神病”的关键并不在“住院原则”,而在规范公权力的行使。《精神卫生法》的主要约束对象显然不是公权力,而是医疗单位与专业医生。(...) 《精神卫生法》只是一部“卫生法”,一部精神病患者的权益保障法,而非以限制公权为主要内容的行政法 (…).

 

Forderung nach einem Gesetz zum Schutz von Petitionsstellern

 

Yan Yanwen, Mitglied der China Writers Association und Redakteurin, sieht das neue Gesetze als notwendig an, um vor allem Petitionssteller zu schützen. Sie ist der Ansicht, dass ein Gesetz zur psychischen Gesundheit allein nicht ausreiche.

 

Die Forderung nach rechtlicher Ahndung für „Rache an Petitionsstellern“ sollte im Strafrecht (das gerade revidiert wird) verankert werden. Auf der anderen Seite sollte schneller über das „Gesetz zum Schutz der Petitionssteller“ entschieden werden. Nur dann kann man mit dem Gesetz zur psychischen Gesundheit „medizinische Behandlung durch Macht“ bzw. Machtmissbrauch und die „Zwangseinweisungen geistig gesunder Menschen in die Psychiatrie“ endgültig verhindern.一方面,正在启动大修的刑法条款中,应该明确增加“打击报复举报人应负刑责”的内容;另一方面,则需进一步加快制定《保护举报人法》,只有这两者与《精神卫生法》相配合,才能真正杜绝“权力行医”、公权滥用的弊端,真正杜绝公民“被精神病”的社会根源。

 

Keine Lösung im derzeitigen politischen System

 

Vor dem Hintergrund des jetzigen politischen Systems in China sieht Yao Yiming, Systemkritiker und Mitglied des Independent Chinese PEN Center, keine Hoffnung auf eine wesentliche Veränderung hinsichtlich illegaler Einweisung geistig gesunder Menschen in die Psychiatrie.

 

Im heutigen China, in dem die Regierungsmacht über Gesetz und Menschenrechten steht, die Stabilität (des Regimes) Vorrang hat und man nach Lust und Laune beschuldigt werden kann, wird dieses Gesetz unausweichlich ein leerer Text werden; selbst wenn es die jetzige Situation eigentlich verändern sollte.在权大于法,政权高于人权,稳定压倒一切,欲加之罪何患无辞的当今中国,即使这部法律的确有改善现状的意图,也难免不会沦为一纸空文,

 

 

 

 

Zum Weiterlesen

 

China verabschiedet Gesetz zur psychischen Gesundheit“, China Radio International, 29.10.2012.

 

China beschließt Gesetz über geistige Gesundheit“, Deutsche Gesundheitsnachrichten, 02.11.2012.

 

China’s New Mental Health Law: Reframing Involuntary Treatment“, The American Journal of Psychiatry, 01.06.2013.

 

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