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Chinas Rotes Kreuz im Sumpf der Korruption

Im Juni entfachte ein Skandal um das chinesische Rote Kreuz Diskussionen in Chinas Blogs und Foren. Die zwanzigjährige Guo Meimei hatte sich in ihrem Blog als „commercial general manager“ des Roten Kreuzes geoutet und dort gleichzeitig ihren immensen Reichtum, der teilweise offenbar über das chinesische Rote Kreuz finanziert worden war, zur Schau gestellt. Wie auch die New York Times berichtet, befindet sich Chinas größte Hilfsorganisation angesichts einer Reihe von Korruptionsfällen schon länger in einer Glaubwürdigkeitskrise. Im April kursierte im Internet das Foto einer Restaurantrechnung über mehr als 10.000RMB, die ranghohe Mitarbeiter des Roten Kreuzes nach einem Abendessen hinterließen. Ende Juni veröffentlichte der Nationale Rechnungshof ferner einen Bericht, aus dem hervorging, dass das Rote Kreuz etwa vier Millionen Yuan zu viel für Hilfsausrüstung (der „überteuerte Zelte Skandal“) bezahlt hatte. Der „Guo Meimei-Skandal“ brachte das öffentliche Stimmungsfass schließlich zum überlaufen. Stimmen zu Korruption und Intransparenz beim Roten Kreuz, zusammengestellt von Ella Daschkey und Daniel Soesanto.


Reaktionen im Netz

Blogger „Hongyun“ schreibt, der „Guo Meimei Skandal“ habe eine große Tragweite, sowohl für das Rote Kreuz als auch für den Wohltätigkeitssektor insgesamt:

 

Der „Guo Meimei Skandal“ ist die Zündschnur, welche die Unzufriedenheit sowie Kritik der Massen und öffentlichen Meinung entfachte, zum einen gegenüber dem Modell der Verknüpfung von Wohltätigkeit und Kommerz, und zum anderen gegenüber den Informationen des Roten Kreuz zu seinen Finanzen und intransparenten Aktivitäten. (…)

Auf die Stimmung im Netz scheint Hongyuns Beschreibung zuzutreffen. Auf Nachrichtenseiten wie etwa bei der Wochenzeitung Nanfang Zhoumo zeigen viele ihren Frust gegenüber dem Roten Kreuz und erklären, dass sie spätestens seit dem Skandal kein Vertrauen mehr in die Organisation oder sogar in den gesamten Sektor haben.

 

nunu402:

Im Skandal um das Rote Kreuz ist die Wahrheit nicht auszumachen. Jedenfalls werde ich nicht mehr spenden! Früher haben wir in der Schule oder unserer Arbeitsstelle oft Spenden gesammelt und wenn du nicht gespendet hast, haben dich deine Kollegen alle angeschaut. So was Dummes wie Spenden mache ich jetzt nicht mehr. Wenn ich was Wohltätiges machen will, schicke ich direkt Sachspenden an Grundschulen in armen Bergregionen.红十字这档丑事,真相是不可能大白天下了。反正以后我就不捐钱呗!以前学校里、单位里经常组织捐款的,你不捐同事都看着你。我以后这种捐钱的傻事不做了,我做善事,就直接寄物去贫困山区小学

 

nlm1204:

Auf der ganzen Welt geht es nur noch um Profit, nach dem Profit verschwindet die ganze Welt.* (…)天下熙熙皆为利来,天下攘攘皆为利往,(…)

 

frombackchina

Das Rote Kreuz ist von Beginn an ein großes Zentralprojekt gewesen, um die Leute zu täuschen. Wie auch immer, ich werde diesen Staatsangestellten kein Geld mehr schicken.红会压根就是个忽悠人的大型央企. 反正我是不会再白送钱给那些国企职工了.

 

l6987:

Dieses Land will nicht, dass wir gute Menschen sind. Gute Menschen werden dazu gezwungen, böse Menschen zu werden. Letztendlich wird die ganze chinesische Nation vergehen.这个国家不是要我们做好人,是好人也要被逼做坏人,最后全中华民族灭亡。

 

urusgal:

Ist das nicht einfach eine Geldwäsche-Organisation? Kann die wohltätig sein?!

 

Mehr Tranzparenz ist nötig

 

„Da na zatan“ beschwert sich über das arrogante Verhalten der Führungsriege des Roten Kreuzes und implizit auch über die Verknüpfungen zur Regierung; niemand geringeres als Staatspräsident Hu Jintao ist Ehrenvorsitzender des Roten Kreuzes. Die mangelnde Transparenz stößt bei dem Blogger auf großes Unverständnis, ist sie doch gerade Voraussetzung für Glaubwürdigkeit und Erfolg wohltätiger Organisationen. Hier eine Zusammenfassung:

 

Der Sekretär der Generalversammlung des Roten Kreuzes, Wang Rupeng, hat verkündet, dass die extremen Emotionen einiger Netizens die größtenteils ertragreiche Arbeit des Roten Kreuzes verleugnten und er hoffe, dass die Leute und die Medien in der Lage seien, den Guo Meimei Skandal rational zu betrachten. Bis heute sieht es also nicht danach aus, als würde es eine ehrliche Entschuldigung und Wiedergutmachung für die Vorfälle geben, geschweige denn, dass die Verantwortlichen dafür gerade stehen werden. Auch angesichts der vorherigen Ereignisse wie der „Himmel-hohen Restaurantrechnung“ und der Kauf „überteuerter Zelte“ für die Katastrophengebiete haben diejenigen, die die Anweisungen entgegengenommen haben, offensichtlich nichts zu befürchten. Wenn sich auch noch mehrere solcher Skandale Innerhalb kurzer Zeit ereignen, wie kann die Öffentlichkeit darüber dann nicht verärgert sein?

 

Man muss bedenken, dass ein öffentliches, transparentes Wohltätigkeitsumfeld die Garantie für die Glaubwürdigkeit Gemeinwohl-orientierter Organisationen ist, wie auch der ehemalige Vorsitzende der Carnegie Corporation in New York, Russell, sagte: Karitative Projekte müssen einen gläsernen Geldbeutel haben. Wie viel Geld in deiner Tasche ist und was du damit machst, sollte transparent wie Glas sein, so dass alle Leute es sehen können. Da Vertrauen und Erwartungen der Öffentlichkeit das Geschäft der karitativen Unternehmen sind, liegen sie zugleich auch in deren Verantwortung. Aber seit diesem Jahr hinterfragen sämtliche Gesellschaftskreise den Grad der Transparenz und die Glaubwürdigkeit karitativer Institutionen. Gemäß des „Berichts zur Transparenz von Wohltätigkeit 2010″ wird deutlich, dass nach dem Erdbeben in Wenchuan und der Schneekatastrophe im Süden 2008 die Spendenbereitschaft sprunghaft anstieg, aber der Transparenzgrad von wohltätigen Organisationen sich seitdem nicht verbessert hat; etwa 75% der Organisationen „veröffentlichen überhaupt keine oder nur wenige Informationen“.

 

Die Intransparenz des Sektors hat bisher den Fortschritt chinesischer karitativer Unternehmen verhindert. Gerade das chinesische Rote Kreuz, als Gallionsfigur der Wohltätigkeit, sollte die Initiative ergreifen und fundamentale Änderungen durchführen, vollständig Informationen veröffentlichen, die Finanzen transparent gestalten, seine Erscheinung und Glaubwürdigkeit neu zu formen und auf diese Weise das Vertrauen und den Glauben der Öffentlichkeit an das Rote Kreuz und Chinas karitative Unternehmen wiederzugewinnen. Natürlich, das Spendensystem des Roten Kreuzes, das Ende Juli online gehen soll und die Spenden für das Yushu-Erdbeben**, welche als erstes Programm öffentlich kontrolliert werden, können als Signal gewertet werden, dass das Rote Kreuz selbst Fortschritte machen möchte. Aber selbst wenn sie Fehler einräumen, ist das eher eine „Beschönigung“. Die Öffentlichkeit kann sich weder mit der Haltung zufrieden geben, mit der das Rote Kreuz die Probleme angeht, noch kann sie der Kontrolle vertrauen, der das Rote Kreuz unterliegt.

 

Stärkere Kontrollen gegen systematische Korruption

 

„Lehrer Yang aus Fengqing, Wuhan“ geht einen Schritt weiter und erklärt, dass Betrug bei Organisationen wie dem Roten Kreuz an der Tagesordnung sei:

 

Schlimmer als die finanzielle Intransparenz des Wohltätigkeitssektors ist dessen Betrügerei. Laut eines Berichts haben einige Wohltätige über eine karitative Organisation für 17 Kinder gespendet, aber nur drei davon haben Spenden erhalten. Von Briefen der Schüler, die die Spender zu Tränen gerührt haben, waren acht sogar gefälscht. In den letzten Jahren gibt es Geschichten über das Rote Kreuz, die so unzählig wie Bäume im Wald sind. Einige sagen, dass Spenden missbraucht wurden, um illegal Immobilien zu bauen, einige sagen, dass Sachspenden für Profit verkauft wurden, einige sagen, dass der Name des Roten Kreuzes genutzt wurde, um illegalen Handel zu betreiben. Was die Spender auch abschreckt, ist die Verwaltungsgebühr bei der Spendenannahme. Einige sagen, sie zahlen 10 Prozent, andere 19. Wenn man Wohltätigkeitsprojekte betreibt, muss man dafür sorgen, dass die Leute einem vertrauen. Ohne Glaubwürdigkeit gibt dir niemand Spenden.

 

Für „Hongyun“ ist dies nicht verwunderlich, liegt das Problem doch bei der Verknüpfung zur Regierung und damit im System selbst. Er plädiert daher für eine eindeutige Gesetzgebung und Verregelung karitativer Organisationen:

 

Das Auftreten aller möglichen Probleme liegt darin begründet, dass im chinesischen Wohltätigkeitssystem inhärenter Missbrauch und ein nicht-öffentliches, intransparentes Arbeitsmodell existieren. […] Aus historischen Gründen sind Chinas Mainstream-Institutionen von Grund auf regierungsgefärbt und haben überhaupt keine Transparenzgewohnheit. Diese Institutionen sind normalerweise alle von der Verwaltung geführt, oft ist ihre Macht groß und ihre Verantwortung gering. Kontrollen können leicht umgangen werden, was dazu führt, dass es den wohltätigen, gemeinwohlorientierten Organisationen an Glaubwürdigkeit mangelt. Vom Rechtssystem her gesehen gibt es zwar das „Gesetz zum Roten Kreuz“, aber gerade in diesem Gesetz existieren viele Schlupflöcher. Gleichzeitig schreibt es auch keine konkreten Strafmaßnahmen fest. Und bezüglich seines Charakters ist das chinesische Rote Kreuz dem Anschein nach zwar eine Regierungsinstitution, aber in seiner Natur ist es immer noch eine soziale Organisation, deren Verhalten einfach von keiner spezifischen Institution kontrolliert wird. […] Wie der Wert der Geldspenden zu bewahren oder zu erhöhen ist und wo die Spenden der Bevölkerung letztendlich hingehen, ist die Kernaufgabe der wohltätigen Organisationen. Will man das Vertrauen des Volks in karitative Organisationen gewinnen, dann muss man diese Kernaufgaben graduell verregeln und diese Arbeit im Tageslicht durchführen. […] Dafür ist es erforderlich, dass wohltätige Organisationen über jegliche Medien die entsprechenden Ministerien und die Bevölkerung regelmäßig, detailliert über ihre Einkommen und Ausgaben informieren, ihre Finanzen regulieren sowie offen und transparent verwalten. Erst wenn die Bevölkerung sehen oder nachvollziehen kann, dass ihre Spenden letzten Endes zur Hilfe für Menschen in Not verwendet werden, werden die Wohltätigkeitsorganisationen das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen und schließlich ihre Unterstützung erhalten. […]

 


„Sun Yangguang“
resümiert:

 

In jedem Land ist Wohltätigkeit ein sensibler Nerv der Staatsbürger. Niemand könnte es ertragen, wenn seine eigene barmherzige Spende für andere Zwecke missbraucht oder in Korruption versickern würde. (…) Eine Organisation, die von unzähligen Menschen Spenden erhält, muss strenge Überprüfungen und Kontrollen akzeptieren, das ist die Realität der Wohltätigkeitsbranche. Wenn die Glaubwürdigkeit verloren geht, dann endet auch das Leben der Wohltätigkeitsbranche.在任何一个国家,慈善都是国民的敏感神经。任何人都受不了自己的爱心捐赠被人挪做他用,或者贪污掉。(…) 一个接受亿万人捐款的组织,必须接受亿万人严苛检验和监督,这就是慈善事业的现实。一旦失去了公信力,那么慈善事业的生命也就告终了。

 

 

_____

* Zitat aus dem Shiji (史记) von Sima Qian (司马迁) um 100 v. Chr.

** Yushu = tibetische Präfektur in der Provinz Qinghai

 

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3 Antworten zu Chinas Rotes Kreuz im Sumpf der Korruption

  1. avatar red_dragoon sagt:

    Liebe „Stimmen aus China“,

    vielen Dank für eure ausführlichen Recherchen und Artikel! Vielleicht ist es bei diesem Thema noch wichtig hinzuzufügen, dass Guo Meimei tatsächlich _keine_ Mitarbeiterin des Roten Kreuzes war. Das ändert nichts an den internen Problemen der Institution, sollte aber gesagt werden. Vielmehr soll ihr Vorgesetzter „Vizesekretär einer dem Roten Kreuz angeschlossenen Firma“ sein.

    http://the-diplomat.com/china-power/2011/07/05/guo-meimei-and-the-red-cross/

    http://www.shanghaidaily.com/nsp/National/2011/08/04/Guo%2BMeimei%2Bdeeply%2Bsorry/

    One love,
    Dragoon

  2. avatar Ella sagt:

    Lieber Dragoon,

    vielen Dank für deinen Kommentar und das Lob für unsere Recherche-Arbeit. Gut, dass du nochmal betont hast, das Guo Meimei kein Mitglied des Roten Kreuzes ist. Das sollte schon deutlich werden.

    Vielen Dank auch für deine Links.

    Hoffe, du wirst weiterhin Spaß beim Lesen unserer Artikel haben.

    Beste Grüße,
    Ella

  3. Pingback: Rotes Kreuz wieder in den Schlagzeilen | Newswok

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