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Sind Chinesen unhöflich?

„Große Touristenströme sind das neuste Exportprodukt Chinas – ‚Chinesen‘, das ist zu einem Synonym für ‚unkultiviert‘ und ‚unhöflich‘ geworden.“ – So beginnt ein Artikel der chinesischen Wochenzeitung „Nanfang Zhoumo“.

Der Verfasser des Artikels berichtet weiter: Das Kulturbüro der KP und das staatliche Tourismusbüro haben am 22. September 2006 zehn „unkultivierte Verhaltensweisen chinesischer Touristen im In- und Ausland“ veröffentlicht, das Kulturbüro der KP will nun in den nächsten drei Jahren einen Plan bezüglich der „Qualitätsverbesserung zivilisierter Verhaltensweisen chinesischer Touristen“ erarbeiten, um die „Soft Power“ der Volksrepublik zu stärken. Gerüchte, dass unkultiviertes Verhalten von chinesischen Touristen möglicherweise mit einem Reiseverbot bestraft werden könne, wiesen die verantwortlichen Stellen allerdings zurück.
Sun Longji, Professor an der Geschichtsfakultät der Universität Memphis, sieht einen Grund für den „Mangel an grundlegender Höflichkeit im öffentlichen Raum“ in der frühen Kindheit der Chinesen, viele Chinesen seien damit aufgewachsen, dass sie ihren köperlichen Bedürfnissen wie Urinieren freien Lauf lassen können, so haben die Hosen vieler kleiner Kinder einen Schlitz hinten, man nennt sie auch „Schnellfeuerhosen“. Daraus hätte sich dann, so Professor Sun, eine Beliebigkeit im Bezug auf alle Verhaltensweisen im öffentlichen Raum, sich z.B. auch an keine Zeiten und Regeln zu halten, entwickelt. Guo Xiaocong, Professor an der Fakultät für Kommunikation und Kultur des Instituts für internationale Beziehungen, spricht sich für „mehr konkrete Anleitung und weniger Verordnungen über Kultiviertheit/Anstand“ aus. Man müsse zudem unterscheiden zwischen „tierähnlichen Verhaltensweisen“ wie Spucken, Popeln, Schuhe im öffentlichen Raum ausziehen etc., „ungebildeten Verhaltensweisen“ und solchen, die aus einem Unwissen bezüglich anderen kulturellen Gewohnheiten entstehen.

Chinesische Reiseleiter berichten von Schwierigkeiten mit Reisegruppen, viele chinesische Gäste fühlten sich beleidigt und diskriminiert, wenn man sie zu oft auf unzivilisierte Verhaltensweisen hinwiese.
Zwei taiwanesische Doktoranden erzählen, dass sie einmal als sie einer weinenden Kommilitonin, die vom Fahrrad gefallen war und die keiner beachtete, geholfen hatte, diese dann sagte: „Ihr seid bestimmt nicht aus der Volksrepubblik, oder?“

Bezüglich der Gründe für unzivilisiertes Verhalten zieht Professor Guo die chinesische Geschichte heran. Während in der Tang- und Song-Zeit die chinesische Kultur im Ausland der Inbegriff von Zivilisiertheit war, brachte die Ming-Dynastie durch das Bevölkerungswachstum, soziale Spannungen etc. allerlei „Bandenmentalitäten“ hervor, deren Einfluss bis heute noch in der chinesischen Geslelschaft wirkt. Es sei eben „überlebensnotwendig“ sich heute so zu verhalten, meint Professor Sun. Denn in der chinesischen Gesellschaft kennt man keine Regeln, sondern nur Bekannte, man braucht „Beziehungen“, in diese investiert man dann, aber nicht in den großen öffentlichen Raum.

Einen weiteren Grund sieht er in dem Zusammentreffen von traditionellen Gewohneheiten auf dem Land und dem modernen Leben in der Stadt. Lautes Sprechen und Spucken ist auf dem Land kein Problem, aber eben in der Stadt, wo sich geballte Menschenmassen bewegen.

Prof. Xie Jianxiong von der Fudan Universität in Shanghai sieht auch die Kulturrevolution und das Konzept des „Klassenkampfes“ als Schuldige für solche Verhaltensweisen. Denn diese beiden Phänomene hätten zum einen die Einstellung gefördert, dass sich vieles mit Gewalt lösen lasse und zum anderen hätte es vielen Leuten ein unnötiges Feindbild in den Kopf gesetzt, denn „zu Feinden ist man nicht höflich“, so Professor Zhu Dake aus Shanghai. Er sagt, dass es in China nicht an Bildung mangele, aber diese Art der „Kampfbildung“ geändert werden müsse.

Professor Guo meint: „Ein Volk, welches durch seinen Geist die Welt erfreut, erntet erst den Respekt anderer, und solch ein Prozess ist auch für das Zivilisationsniveau der eigenen Bevölkerung ein großer Gewinn.“

Die Kommentare zu diesem Artikel auf dem Sina-Blog enthalten sehr harte Urteile über die Lage der chinesischen Gesellschaft und Kultur:

– „Das ist doch ganz einfach (…) die meisten, die ins Ausland reisen, sind doch auf illegalem Weg zu Geld gekommen, die haben kein Niveau. Denn wenn man in China die Regeln befolgt, wird man nicht reich. (…) Dass man sich unanständig und unhöflich verhält, dass ist ja [hier] überall so.“

– „(…) Hier bei uns ist es überall unkultiviert/unanständig, wenn man in so einer Umgebung lebt, wie kann dass da anders sein, wenn man ins Ausland reist?“

– „(…) [Die Entwicklung] der Förderung geistiger Kultiviertheit und der Wirtschaft verlaufen gegensätzlich zueinander. [Ich] hasse diese oberflächliche, falsche Gesellschaft ohne Glauben!“

– „Die Förderung geistigen Anstands ist komplett gescheitert, es gibt nur Geld und Oberflächlichkeit“

– „Wo kann man denn in China von Tugend sprechen?“

– „Ich meine, in China fehlt es an Glauben. Man weiß nicht was passend ist und was nicht, deshalb glaubt man nur an Geld, an sich selbst. Wenn man was macht, denn nimmt man seine eigenen Maßstäbe von Gut und Böse, alles geht. Wenn man das Problem lösen will, braucht man Glauben, man braucht ein Maßstab für Verhalten. Buddhismus, Christentum, alles ist ok, finde ich.“

– „Chinesen können nicht leben und sterben wie sie wollen, das Einzige, wie sie ihren Gefühlen Luft machen können, ist im öffentlichen Raum „wild sein“, um sich ihrer Existenz zu versichern.“

– „Schau [dir] China mal an, was bringt es denn anständig zu sein? Und schau mal die Leute an, die sich daneben benehmen, was bringt es denen den Schlechtes? Dann weiß man warum sich in China niemand um Anstand schert!!!! Das ist ein Gedanke des Materialismus: frag fünf Mal „Warum“, dann kannst Du die Ursachen der Probleme der chinesischen Gesellschaft herausfinden!!!!! Bitte glaub‘ mir, diese Method ist effektiv, ich bin Firmenberater.“

– „Akzeptiert es, so ist die Realität! Den Anstand verlorene, kein Schamgefühl habende Bürger.“

Ãœbersetzt und zusammengefasst von
Kristin Kupfer

Quelle: http://news.sina.com.cn/c/2006-09-28/093911126173.shtml, Zugang am: 28.9.2006.

Kategorien: Archiv bis 2009. Permalink.

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5 Antworten zu Sind Chinesen unhöflich?

  1. avatar Kristin sagt:

    Mich macht es sehr betroffen, wieviel Zynismus und wieviel Resignation in den Kommentaren mitschwingt.
    Ein Preis der (rasanten) Wirtschaftsentwicklung?
    Ginge es um die Lage in unserer Gesellschaft, würden das Leute hier ähnlich kommentieren?

  2. avatar Isabelle Gras sagt:

    Zynismus und Selbstkritik wie oben sind meines Erachtens eher ein positives Zeichen im Sinne von „Selbstreinigungskräften“ einer Gesellschaft, von Bewußwerdung und Reflektieren des Verhaltens seiner Mitmenschen und ein Ausgangspunkt für allmählichen Wandel im Verhalten.

    Turbomaterialismus und „zivilisatorischer Niedergang“/Werteverfall als Preis für die rasante Wirtschaftsentwicklung?

    Mir scheint dies fast eine logische Folge einer EINZIG auf Wirtschaftswachstum ausgerichteten Gesellschaft zu sein. Ein Professor hier in Shanghai sagte, bis vor drei, vier Jahren hätte in China nahezu jeder bedingungslos dem Credo zugestimmt, dass man nur die wirtschaftliche Entwicklung stark genug vorantreiben müsse, um alle wirtschaftlichen und sozialen Probeme zu lösen.

    Es ist erstaunlich, dass hochkomplexe Wirkungszusammenhänge so stark vereinfacht und verkürzt von der politischen Führung kommuniziert wurden und dass der Einzelne dies auch so übernahm.

    Und wenn, wie geschehen, von der höchsten Ebene bis hinunter zum Individuum, das Ziel Wirtschaftswachstum und „reich werden“ über alles gestellt wird, so verändert sich das gesamte Wertegerüst. Das äußert sich dann bis hinein ins Alltagsverhalten…

    Inzwischen, sagte der oben genannte Professor, habe sich allerdings einiges geändert, kaum einer stimme der früheren Maxime noch zu.

  3. avatar Klaus sagt:

    Am 2. Oktober hat die chinesische Regierung eine Kampagne gestartet, um das Verhalten von ins Ausland reisenden Touristen zu verbessern. Gleichzeitig wurden Regeln für das Verhalten bei Reisen im Inland veröffentlicht.
    Das meldete Xinhua am 2. Oktober.

  4. avatar hua sagt:

    Hoffentlich halten sich die reisenden auch wirklich an den Regeln. Ich bin froh, daß dieses Problem nun gründlich diskutiert wird. Es ist peinlich für die Reisebegleiter/innen mit ihren Landsleuten im Ausland zu reisen, was auch meine Erfahrung ist. Fast jede Gruppe ist betroffen, die jungen Touristen, älteren Besucher, Beamten, Angstellten, Geschäftsleute, dienstlich Reisenden, auch mal die Wissenschaftler… Es liegt nicht nur an der schnellen wirtschaftsentwicklung, vielleicht doch irgendwo tiefer in dem Bewußtsein? Rücksichtnahme auf die anderen ohne direkten Eigennutz interessiert die Betroffenen anscheind gar nicht. Jeder von uns soll selbstkritisch sein, ohne sich beleidigt zu fühlen, so daß wir ein Volk des „Landes der Sitten und Höflichkeit“ bleiben.

  5. avatar Leifeng sagt:

    Seit kurzem gibt’s ein Buch zum Thema…Heißt „Die Chinesen kommen!“…Passender Name oder? ;P

Kommentare sind geschlossen.