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Dreißig Jahre AIDS aus chinesischer Sicht

Der Blogger Humphrey Wou verfasste zum Anlass des dreißigsten Welt-Aids-Tags (01.12.2010) ein Lied, mit dem Titel „Tag„. Warum es zu diesem Lied gekommen ist beschreibt er in einem kurzen, aber ergreifenden Blog-Eintrag in dem er seine ganz persönliche Geschichte erzählt.

Tag

Es gibt stille Tage, an denen man glaubt das Freude und Lachen nur eine Legende, ein Gerücht sind, und [Tage an denen] man glaubt Alles hat eine Sonnenseite. Ein Krieg ohne Rauch, wie viele Leben sind genommen worden, weinen, beschuldigen, denk nur bald sind es schon dreißig Jahre, denk. Denk! Das ist der Tag an dem meine Tränen leise fließen

 

Es läuft alles auf dich hinaus, plötzlich verlor ich mich, zerbrochenes ich. Atmend, aber, ohne einen tiefen Atemzug nehmen zu können sagst du, du liebst mich, nennst mich dein unzweifelhaftes „für immer“, den Segen kurz vor dem Ende- das nimmt mir meine Waffen, weine! Weine! Das ist der Tag an dem ich weine bis ich keine Tränen mehr hab

 

Ein Krieg ohne Rauch, wie viele Leben sind genommen worden, weinen, beschuldigen, denk nur bald sind es schon dreißig Jahre

 

Brüder, Schwestern, egal, ob ich sterbe oder lebe, es gibt nicht eine Wunde, welche nicht eine Spur im ganzen Leben, in der ganzen Welt, hinterlassen hat, wie viel Schmerz und Wut ein Herz aufnehmen kann, dafür gibt es keine Worte, man kann nur den Himmel fragen und sich selbst

 

Brüder, Schwestern, geliebte Menschen, es gibt nicht einen Verlust den ich vergessen könnte, du sagst du liebst mich, nennst mich dein „für immer“, deinen Segen kurz vor dem Ende der nicht aufgeben will. Das hilft uns stark zu sein, komm! Komm! Dies ist nicht mehr ein Tag and dem Tränen fließen

 

Warum ich das Lied geschrieben habe

 

In Wahrheit habe ich „Tag“ schon eineinhalb Jahre vor dem [Weltaids-] Tag verfasst. Mit zwei Freunden habe ich das Lied dann aufgenommen, dass hat natürlich etwas gedauert.
Es scheint wie ein kurzer Augenblick, doch nun jährt sich das erste Auftreten von AIDS schon zum dreißigsten Mal. Wenn ich mich ans Jahr 1981 zurückerinnere, fällt mir ein, das ich damals in San Francisco einen Bericht gehört habe, welcher bekannt gab, dass es innerhalb einer Gruppe von Homosexuellen eine „Schwulen-Krankheit“ gäbe und man begann zu sagen, dass dies „GAY-Krebs“ sei. Na, wenn es so was gibt, kann man da noch wie früher weiterleben? „Man glaubt Alles hat eine Sonnenseite“.

 

Später verliebte ich mich in eine Person die an AIDS erkrankt war. Innerhalb von vierzehn Monaten durchlebte ich die strahlendsten und auch die tragischsten und schmerzvollsten Tage meines Lebens. Ich liebte ihn und versprach, ihm bis zum allerletzten Tag zu helfen. Er liebte mich und schenkte mir den letzten Satz seines Lebens: das er mich liebt und ich seine ewige und unzweifelhafte Liebe bin. Einige Freunde verstanden das nicht „diese Abschiedsworte nehmen meine Waffen“* wie kann das „meinen Mut stärken“? Welchen Sinn hat das? […]

 

Nachdem er starb begannen die Alpträume, viereinhalb Jahre des nicht Aufraffens. Fast jeden Abend konnte ich keinen Schlaf finden, tagsüber verbrachte ich dann ein Leben ohne je richtig aufzuwachen. Die typischen Anzeichen einer Depression. Ich begann die Nacht zu fürchten, meine Augen starrten auf die Uhr neben dem Bett: zwei Uhr, drei Uhr, vier Uhr, fünf Uhr…

 

Doch plötzlich kam ein Tag an dem ich wieder [richtig] aufwachte, an dem nicht sofort Tränen flossen, an dem ich mich nicht mehr beklagte. Mein Leben fing wieder an und ich hatte erneut das Bedürfnis nach Vorne zu gehen.
Ich schlug einen neuen Weg ein, begann herumzureisen und ging in die AIDS Pflege. So vergingen die Tage und Jahre meines Lebens. In diesen zehn Jahren verstarben, Einer nach dem Anderen, viele gute Freunde. Unter ihnen gab es einen sorglosen, herzlichen, hilfsbereiten Freund, der keine einzige Minute nicht lächelte; einen Tenor mit blondem Haar und blau grünen Augen, welcher in seinem ganzen Leben nicht einen Freund hatte und einen der ein sehr enger Freund meines [verstorbenen] Liebsten war, mit welchem ich viel gesprochen habe und der mir sehr ans Herz wuchs.

 

Ich lernte an ihrem Krankenbett zu sitzen, ihre Hand zu halten und ihnen still und ruhig beim Schlafen zuzusehen. Ich lernte sie nach ihrem Bedauern, ihren Hoffnungen und Entscheidungen zu fragen. Ich lernte die Hinterbliebenen zu informieren und unseren Tränen und unserer Wut freien Lauf zu lassen. Ich lernte nicht überflüssig viele Beileidsbekundungen auszusprechen. Der Tod stellte für mich keine Bedrohung mehr dar, im Gegenteil, lernte ich mich wahrhaftig um die letzten Momente ihres Lebens zu kümmern und sie aufrichtig zu lieben. Wegen diesen wunderschönen Seelen habe ich „Tag“ geschrieben.

 

________
* Anm.d.Ãœ. „Waffen“ im Sinne von Fähigkeit mit dem Tod des Freundes umzugehen

 

 

 

Kategorien: Gesellschaft. Permalink.

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