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Li Hongxias Tod – Der lange Weg zur Gerechtigkeit

Das Kreiskrankenhaus Luyi in der Provinz Henan, in dem Li Hongxia behandelt wurde; Screenshot von Weibo, 21.6.2016

Ein Sarg im Wohnzimmer – als Andenken und als Anklage. Die Familie der im März ermordeten Li Hongxia versucht verzweifelt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu lenken und damit auf ein weit verbreitetes, wenn auch verstecktes Thema: häusliche Gewalt.

 

Der Fall erregte in der Tat einiges Aufsehen in der zentralchinesischen Provinz Henan und später auch auf internationaler Ebene. Lis Ehemann Zhang erwürgte sie in einem staatlichen Krankenhaus – und niemand griff ein. Ärzte und Krankenschwestern behaupten, zu dieser Zeit Mittagspause gemacht zu haben.

 

Wenige prominente Fälle, wie der Li Hongxias, stehen symbolisch für viele leidende Frauen in China. Laut einer Erhebung der Regierung ist jede vierte Frau davon betroffen – und die Dunkelziffer ist bekanntermaßen hoch.

 

Netizens thematisieren Ehekonflikte

 

Im Netz wird nicht nur über bekannte Fälle diskutiert, sondern viele Nutzer teilen ihre persönliche Erfahrung und suchen Rat. Eine Nutzerin der Diskussionsplatform Tianya hat selbst Traumatisches erlebt:

 

Gestern Abend hat mein Mann mich geschlagen, ich liege jetzt im Bett und jede Bewegung schmerzt, sogar Atmen tut weh. Er ist jetzt zurück in die Stadt gefahren, wo er arbeitet, doch es ist nicht das erste Mal. Er ist so stark, ich habe mich nicht gewehrt, hatte keine Kraft und keine Gelegenheit. Wir sind erst drei Monate verheiratet, ich habe wirklich nicht mit häuslicher Gewalt gerechnet!昨天晚上打我打到肋软骨挫伤,躺在床上每动一下都痛,连呼吸都痛。他回去他工作的城市了,其实不是第一次。他身体强壮,我根本没有还手的力量也没有机会。可是没想到会家庭暴力,我们才新婚三个月啊!

 

Ein anderes Tianya-Mitglied „Dein Schal“ rät, bei anderen Familienmitgliedern Hilfe zu suchen:

 

Wenn du nicht bereit bist, Dich scheiden zu lassen, erzähle es deinen Eltern oder Schwiegereltern. Es gibt nichts, was Du vor ihnen verbergen solltest. Du musst nicht alles alleine auf dich nehmen. Ich habe Vertrauen in die Fähigkeiten der älteren Generation.如果还不舍得,告诉你父母或他父母,没什么可以瞒双亲的,别什么都自己扛,相信老人的承受能力

 

Die letzte Hoffnung vieler junger Chinesen sind Ratschläge ihrer Mütter und Väter. Gleichzeitig zögern viele Opfer, sich überhaupt jemandem anzuvertrauen, weil sie der Überzeugung sind, dass solche Konflikte nur das Paar etwas angehen.

 

Angst vor der Scheidung

 

Der Druck zu heiraten ist hoch für junge Chinesen – und später der Druck zusammenzubleiben, da eine Scheidung immer noch großes soziales Stigma bedeutet. User „Verletzte Dame“ erzählt:

 

So viele Leute heiraten nur, weil man in einem bestimmten Alter heiraten muss. Doch vor der Hochzeit und nach der Hochzeit scheint er wie ein anderer Mensch.很多人结婚只是在需要结婚的年龄碰到个差不多的就结婚了。结婚前和结婚后不像同一个人

 

Des Weiteren spielt der Streit um das Sorgerecht eine Rolle. Häufig bleiben die Kinder nach der Scheidung bei der Familie des Ehemannes. Tianya-Nutzer „10ao“  hängt an ihrem Sohn und will sich deswegen nicht trennen:

 

Ich habe große Angst um meinen Sohn, denn ich wollte ihn eigentlich so gut wie möglich erziehen. Ich weiß nicht, was ihr davon haltet, aber ich finde, solange man keine Kinder hat und man unter 30 ist, kann man sich scheiden lassen. Ich bin schon 36. Ich werde auch weiterhin traurig sein. Aber so verbringe ich eben mein Leben und ergebe mich der Demütigung.现在唯一让我放心不下的就是我儿子, 我还计划给他最好的教育,有时这样, 我不知道你怎么想的,没有孩子,如果你还不到30,完全可以选择离婚,而我36了,以后也很难过的,可是就这样忍气吞声过一辈子又好不心甘。

 

Andere, wie Netizen „Das sind die zwei“, widersprechen:

 

Wenn ihr solche Bedenken wegen der Kinder habt, glaubt ihr dann, dass Kinder in einer solchen Umgebung gesund aufwachsen können?过多考虑孩子,你觉得孩子在这种家庭氛围中能健康成长?

 

Gesetzgeber verspricht Besserung

 

Seit dem Jahr 2000 hat es Versuche gegeben, auf kommunaler Ebene Richtlinien einzuführen. Diese allerdings haben in den seltensten Fällen strafrechtliche Folgen. Selbst der Oberste Gerichtshof in Peking kam bei einer eigenen Untersuchung zu dem Schluss, dass diese Gesetze unzureichend waren. Die Nachforschungen hätten ergeben, dass Gerichte in Fällen, in denen Frauen in Notwehr selbst gewalttätig werden, nur selten die Vorgeschichte von häuslichen Übergriffen bei der Urteilsfindung in Betracht zögen.

 

Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Fall war Li Yan, die ihren gewalttätigen Mann im Kampf umgebracht hatte. Sie wurde zunächst zum Tode verurteilt – bis der Oberste Gerichtshof das Urteil in lebenslange Haft umwandelte.

 

Für Li Hongxia und ihre Familie kam jede Rettung zu spät. Viele andere Frauen in ähnlichen Umständen aber konnten angesichts dieses juristischen Ergebnisses erleichtert aufatmen. Auch wenn für Opfer von häuslicher Gewalt noch lange keine Gerechtigkeit herrscht, nicht zuletzt mit dem im März in Kraft getretenen ersten nationalen Gesetz gegen häusliche Gewalt hat der Gesetzgeber einen wichtigen Schritt getan.

 

 

Zum Weiterlesen:

 

Yong Yang: Eine Amerikanerin kämpft um ihre Rechte in China, Stimmen aus China, 5. März 2013

 

Annette Langer: Li Yan soll hingerichtet werden, Spiegel Online, 31. Januar 2013

 

China: Gesetz gibt Opfern häuslicher Gewalt Hoffnung, China Observer, 14.03.2016 nach People’s Daily

 

Bild: Screenshot von Weibo, 21.6.2016

Kategorien: Allgemein, Gesellschaft, Tags: , , , . Permalink.

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