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Kommt mit dem Boom die Versöhnung? – Ethnische Konflikte in Xinjiang und die Pläne der Regierung

Auf dem Spruchbanner lässt die "Projektdienststelle für die Rundumerneuerung maroden Wohnraums in Kashgar" die Anwohner wissen: "Die Rundumerneuerung maroden Wohnraums kommt dem Volk zu Gute - Partei und Regierung sorgen sich um euch". ©Gesa Stupperich

Seit den 1980er Jahren erschüttern ethnische Unruhen in regelmäßigen Abständen die Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas. Im Juli 2009 starben bei Ausschreitungen nach Demonstrationen in Urumqi mehr als 200 Menschen. Unter dem Motto „Go West西进” sollen Industrieansiedlungen und Infrastrukturausbau der Provinz mehr Wirtschaftswachstum bringen und die Spannungen lösen. Im chinesischen Internet diskutieren Blogger darüber, ob und unter welchen Umständen der zentral verordnete Wirtschaftsboom die Volksgruppen in der krisengebeutelten Region versöhnen kann.

 

Wirtschaftsboom als Auslöser der Spannungen

 

Wem kommt das Wirtschaftswachstum* in Xinjiang eigentlich zugute? Der uighurischen Bevölkerung oder dem Profit chinesischer Firmen? Diese Frage stellen sich internationale Medien und Menschenrechtsorganisationen immer wieder. Auch zahlreiche chinesische Blogger knüpfen diesbezüglich häufig an die Wirtschaftspolitik an. Wirtschaftliche Faktoren, insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit und ein niedriges Bildungsniveau, so Netizen „Sehnsucht nach einem klaren Morgen”, seien Hauptursachen für Instabilität.

 

Uighuren, die in Urumqi arbeiten, waren kaum an den Ausschreitungen von 2009 beteiligt. Der naheliegendste Beweggrund für diejenigen Uighuren, die auf die Straße gingen, war vermutlich, dass sie keinen festen Platz in der Gesellschaft hatten, keine Perspektive besaßen und von Separatisten aufgewiegelt wurden (…). Genau wie die Generation der in den 1980er/90er Geborenen im Landesinnern wollen auch junge Uighuren nicht mehr das Feld bestellen, sondern ihr Geld anderswo verdienen. Aber wegen ihres geringen Bildungsstands (die meisten gehen nach der Mittelschule ab), verdienen sie fast nichts.在乌鲁木齐各单位上班的维族人,很少参与2009年乌鲁木齐事件,没有身处一个固定的正常社会“组织”,自身处境不佳,再加上 分离主义分子的挑唆,这可能就是维族人上街的简单原因吧。(...) 就像内地的80后、90后一样,维族年轻人也不愿意种地,愿意出去打工挣钱,但由于文化水平低(很多维族人初中毕业就辍学了),打工也挣不了许多钱 (…)。

 

Strukturreformen müssen gesamte Bevölkerung erreichen

 

Auch „Unkonventioneller Patriot” sieht die Hauptursache für die zunehmende Feindseligkeit zwischen Han-Chinesen und Uighuren in der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Wohlhabend seien vor allem Han-Chinesen, die Xinjiangs Wirtschaft dominierten. Er fordert die Verbesserung des Gesundheits- und Rentenwesens, kostenlose Schulbildung und die verstärkte Ausbildung von Fachkräften, um diese Kluft zu schließen. Doch um der Region einen anhaltenden Wirtschaftsboom zu bescheren, der die Volksgruppen versöhnen kann, müssen die strukturfördernden Maßnahmen der Regierung auch greifen. „Sehnsucht nach einem klaren Morgen” und „Leben im Wind, der das Meer erfasst” geben zu bedenken, dass dafür langfristige finanzielle und planerische Anstrengungen nötig seien.

 

Entscheidungen sind leicht getroffen, aber die Wirtschaft aufzubauen und zum Blühen zu bringen, das erreicht man nicht über Nacht.做决定容易,一步步建设繁荣起来,绝不是一朝一夕就可以完成的。

 

Wegen der begrenzten Wirtschaftskraft der Nachbarländer, infrastruktureller Mängel sowie Fachkräftemangel kann man die Entwicklung in Kashgar nicht mit Orten wie Shenzhen vergleichen. Am Anfang wird man auf die Förderpolitik der Zentralregierung und die Zuschüsse der (wohlhabenden) Provinzen angewiesen sein und erst später werden der Handel mit den Nachbarländern und Tourismus ausreichen, um auf eigenen Beinen zu stehen.由于周边国家的经济实力有限,地方经济基础、人口素质不够,所以喀什特区的建设不能和深圳等地比,只能另辟蹊径。初期只能靠国家政策和各省支援,然后才能靠周边贸易、旅游自身供血。

 

Falsches Vorgehen der Regierung

 

Netizen „Jiang Zhaoyong” sieht eine ganze Reihe von politischen Fehlern, mit denen die Regierung sich das Vertrauen der uighurischen Bevölkerung verscherzt, und damit ihre eigenen Bemühungen um Harmonie in der Region konterkariert. So hält er die Einführung von Chinesisch als Unterrichtssprache im Zuge einer kürzlich aufgelegten Bildungsreform für einen Verstoß gegen die „Verfassung der autonomen Regionen der Volksrepublik China”.**

 

Kurz vor dem Abriss: ein traditionelles Häuserviertel in Kashgar. ©Gesa Stupperich

Ein anderes problematisches Projekt sei der zentral verordnete Abriss der Altstadt von Kashgar im Rahmen der Modernisierung der Stadt.

 

Wenn eine historische Stadt wie Kashgar, mit einer solch einzigartigen, multikulturellen Geschichte umgestaltet werden soll, sollte die Regierung vernünftigerweise nicht mit einem eigenmächtig entworfenen Plan und fertigen Beschlüssen kommen. Stattdessen sollte sie die Meinungen aller Gesellschaftsgruppen Kashgars einholen und per Volksentscheid darüber bestimmen lassen, ob die Umgestaltung durchgeführt werden soll oder nicht. Das hat die Regierung allerdings nicht gemacht, was auch gar nicht weiter verwunderlich ist. Die an Diktatur und Arroganz gewöhnte Regierung denkt wahrscheinlich, dass sie schon demokratisch genug sei.改造喀什这样一个具有独特民族文化的历史老城,按道理,政府是不该擅自拿计划、出方案的,而应该广泛地征求喀什社会各界的意见,并采取喀什全体人民投票的方式决定是否拆迁改造。然而,政府却没有这样做。这并不奇怪,专权、傲慢惯了的政府,可能会认为他已经做得够民主了。

 

Ein dritter Punkt sei die strenge Kontrolle religiöser Organisationen, der „Unkonventioneller Patriot” die Kaderkorruption hinzufügt.

 

Diese kontroversen Vorgehensweisen der Regierung stoßen auch im restlichen China auf wenig Begeisterung. In Xinjiang werden sie jedoch als gezielte Zerstörung der einheimischen Kultur und Tradition wahrgenommen. All diese Punkte, so „Unkonventioneller Patriot“, seien ein Beleg dafür, dass die Zentralregierung den Status Xinjiangs als autonome Provinz nicht ernst nehme.

 

___

* Kashgar, im Süden Xinjiangs, wird nach einem Beschluss von 2010 zur westlichsten Sonderwirtschaftszone 经济特区 Chinas.

** Absatz 3, Paragraph 37招收少数民族学生为主的学校(班级)和其他教育机构,有条件的应当采用少数民族文字的课本,并用少数民族语言讲课;根据情况从小学低年级或者高年级起开设汉语文课程,推广全国通用的普通话和规范汉字。 des Dokuments sieht vor, dass in Schulen, die nicht mehrheitlich von einer ethnischen Minderheit besucht werden, „unter Umständen有条件的” Unterrichtsmaterial und der Unterricht selbst in der Sprache der jeweiligen Minderheit abgehalten werden sollten.

 

 

Zum Weiterlesen

Gesa Stupperich: „Mangelhafte Minderheiten Politik? – Ursachen des Konflikts zwischen Uighuren und Han-Chinesen„, Stimmen Aus China, 21. Dezember 2012

 

The Economist: „Let them shoot hoops”, Juli 2011

 

The Uyghur Human Rights Project

 

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