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Doch keine prochinesische Erziehung für Hongkongs Schüler: Proteste verhindern Pflichtschulfach „Patriotismus“

"Vorsicht, Gehirnwäsche!" - ein Plakat der Civic Party in einer Hongkonger Metro. ©Daniel Soesanto

In den Wochen vor den Parlamentswahlen in Chinas Sonderverwaltungszone Hongkong am 09.09.2012 haben tausende Schüler, Lehrer und Eltern gegen die Einführung eines Schulfachs protestiert, das zur Partei- und Vaterlandsliebe erziehen soll. Mit Erfolg: Der „Patriotismus-Unterricht“ wird in Hongkong nicht zur Pflicht.

Hongkong war geschockt: Ab dem kommenden Schuljahr 2012 sollte das Fach „Moral und nationale Erziehung“ verpflichtend eingeführt werden. Tausende Hongkonger Bürger gingen dagegen auf die Straße. Sie fürchteten das Schulfach als „Gehirnwäsche“ für Hongkongs Schüler. Der prochinesische „Patriotismus-Unterricht“ betont vor allem die Errungenschaften der Kommunistischen Partei und verschleiert Ereignisse wie die gewaltsame Niederschlagung der Tiananmen-Proteste 1989. Angesichts der zahlreichen Demonstrationen beugte sich Hongkongs Gouverneur Leung Chun-Ying: Das Schulfach wird zumindest nicht vor 2015 eingeführt.

 

Auf dem chinesischen Festland hingegen gehört die Nationale Erziehung schon lange zum Lehrplan. Eine junge Hongkong-Chinesin, die auf dem Festland zur Schule gegangen ist, hat in einem vielbeachteten facebook-Beitrag ihre Meinung zum Patriotismus-Unterricht veröffentlicht. Folgend eine Übersetzung von Ausschnitten des Beitrags.

 

Chinesische Schüler bekommen bereits in der Grundschule Patriotismus-Unterricht

 

Während meiner 16-jähringen Schulbildung folgte mir die so genannte „nationale Erziehung“ wie ein Schatten. […] Schon in der Grundschule gab es an jedem Tag, der wichtig war für Partei und Vaterland, verpflichtende Rede- und Aufsatzwettbewerbe. Dort musste man sich aktiv hervortun und – soweit man das als Grundschüler eben kann – ein Loblied auf die Errungenschaften der Partei singen. Damals haben wir auf primitive Weise die erste „patriotische Erziehung“ erhalten.

 

Trotzdem waren die endlosen Indoktrinationen sogar für Musterschüler […] nichts als papageienartig nachgesprochene Worte. Sie kamen nicht von Herzen und sind niemals in unserem Inneren angekommen. Warum? Weil die nationale Erziehung von allen Unterrichtsfächern das alltagsfremdeste war. Wir hatten in unserem ganzen Leben nicht einen Funken von dem von uns besungenen und gelobten neuen Leben und neuen China gespürt.

 

Das eigentliche Ziel des chinesischen Patriotismus-Unterrichts? Eine Beförderung für die Lehrer

 

Die Lehrer legten viel Wert auf unsere Patriotismus-Erziehung. Nicht etwa, weil sie selbst glaubten, dass das, was sie uns da erzählten, besonders wichtig ist. Sondern nur weil es sich positiv auf das Konto ihrer dienstlichen Leistungen ausübte. Sie konnten dann zum Schulleiter gehen und eine Beförderung bekommen.

 

Auch auf der Uni wurden wir mit marxistischem Denken und den Theorien von Mao und Deng Xiaoping bombardiert. Aber was wir am meisten verachtet haben, war der Lehrer, der diesen Unterricht hielt. Wir schwänzten ganz offen den Unterricht, quatschten laut, aßen in der Klasse, guckten Filme oder schliefen auf dem Tisch. […] Der Lehrer konnte nichts dagegen unternehmen. Denn er hatte bereits den Respekt der Schüler verloren. Wir wussten alle, dass nur ein völlig ungebildeter Erwachsener solche Sachen unterrichten konnte.

 

Muss man gegen die chinesische nationale Erziehung protestieren?

 

Nachdem man das gelesen hat, fragt man sich: Gelingt die patriotische Erziehung? Sie ist – so kann man wohl sagen – gescheitert. 16 Jahre lang tun die Lehrer ihr Möglichstes um uns etwas einzutrichtern, aber egal wie sie es auch anstellen: Niemand glaubt ein Wort.

 

Aber andererseits ist die patriotische Erziehung auch ein außergewöhnlicher Erfolg. Denn obwohl jeder weiß, dass alles von A bis Z erlogen ist, sind es doch Dinge, an die sich seit mehreren Jahrzehnten Generationen von Chinesen erinnern und denen sie Beachtung schenken.

 

Ist die patriotische Erziehung in China zum Fürchten?

 

Tatsächlich ist ihr konkreter Inhalt überhaupt nicht zum Fürchten. Stattdessen trägt ihre übertriebene Propaganda nur noch mehr dazu bei, dass sie völlig lächerlich wirkt.

 

Aber sie ist eben doch zum Fürchten, denn wenn man solche Lügen landesweit lehrt, werden sie sich immer weiter verbreiten.  […] Wie viele Lehrer gibt es, denen völlig klar ist, dass alles komplett erlogen ist und die es trotzdem im Unterricht als reine Wahrheit verkaufen müssen? Das wiederum dient dann dazu, die Denkrichtung für die Schüler vorzugeben! So führt die patriotische Erziehung dazu, dass uns chinesischen Schülern und Lehrern, dem Fundament der chinesischen Bildungswelt, das Lügen in Fleisch und Blut übergeht! Genau das ist der Teil an der patriotischen Erziehung, den man fürchten sollte!

 

Die Folgen der patriotischen Erziehung

 

Wenn du also heute Chinesen fragst, ob sie an den Kommunismus, an die Kommunistische Partei glauben. Ob sie der heutigen Regierung vertrauen. Dann gibt es schätzungsweise nicht viele, die das bejahen. In einer so entwickelten Internetkommunikationsgesellschaft, wie der heutigen, kann man in einem Zweiparteienstaat von den vielen Rechtsbeugungen und Vergehen schwerlich nichts wissen. Aber obwohl es so ist, schweigen viele Chinesen darüber.

 

Ob der staatliche Erziehungsunterricht aus dem Honkong von morgen das China von heute machen kann – das kann man nicht wissen. Aber ich appelliere dafür, dass er eingestellt wird.

 

 

Zum Weiterlesen:

 

Felix Lee: „Furcht vor Pekinger „Gehirnwäsche““, TAZ online, 02.09.2012

 

Spiegel: „Hongkong verzichtet auf Pflichtfach „Patriotismus““, Spiegel Online, 08.09.2012

 

Keith Bradsher: „Hong Kong Retreats on ‘National Education’ Plan“, New York Times online, 08.09.2012

 

Bilder der Proteste gibt es hier zu sehen.

 

Kategorien: China Global, Gesellschaft, Politik, Tags: , , . Permalink.

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Eine Antwort zu Doch keine prochinesische Erziehung für Hongkongs Schüler: Proteste verhindern Pflichtschulfach „Patriotismus“

  1. avatar Miriam sagt:

    Hier noch ein interessanter Artikel des Journalisten und Bloggers Chang Ping zum Thema, übersetzt und veröffentlicht vom China Media Project der Universität Hongkong.
    http://cmp.hku.hk/2012/09/04/26585/

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